Es ist das Bild einer reifen Dame. Knallroter Lippenstift, Langhaarschnitt, Batik-Seidenschal, Kostüm. "Mein Leben als Frau", schrieb das US-Klatschmagazin "InTouch" unter ein Foto von Bruce Jenner, dem Zehnkampf-Olympiasieger von 1976.
Olympia-Held im falschen Körper
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Im Innenteil: "11 schockierende Fotos!" Doch das Titelbild ist eine plumpe Montage. Das Magazin hat dreist vorempfunden, was viele Amerikaner derzeit bewegt: Ihr Sport-Held will sich zur Frau umoperieren lassen, dokumentiert in aller Öffentlichkeit in einer TV-Dokuserie.
Stiefvater von Kim Kardashian
Noch redet Jenner, 65, in Montreal mit Weltrekord Sieger vor dem Deutschen Guido Kratschmer, nicht über seine Pläne. Das erledigt öffentlichwirksam seine Mutter, die beteuert, sie sei "jetzt noch stolzer" auf ihren Sohn als damals.
Der Hype um diese Story wird mit jener Hysterie potenziert, die allein der Name Kim Kardashian in den USA auslöst: Der Trashglamour-Superstar, bekannt für einladende Fotos ausladender Kurven und mehr, ist Jenners Stieftochter. "Es ist allein seine Sache, wann er seine Geschichte erzählen will", sagt Kardashian.
Populär wie Michael Jordan
Bruce Jenner ist nicht irgendwer in Amerika, er ist mehr als ein alterndes Leichtathletik-Idol mit immer weicheren und weiblicheren Zügen. Jenner wohnte bei Millionen Menschen im Küchenregal und saß morgens mit am Tisch, er war ab 1977 und noch einmal 2012 das Gesicht der Frühstücksflocken Wheaties - wie Jesse Owens, Carl Lewis, Michael Jordan.
Er hatte Werbeverträge mit Coca Cola und Mars, er wies jungen Menschen als Buch-Autor den Weg zu einer großen Karriere. Jenner ist Rennfahrer und war als Filmschauspieler für den Spott-Preis "Goldene Himbeere" nominiert.
Auf seiner Homepage nennt er sich den größten Athleten der Welt. "Niemand hat einen saustarken Auftritt besser gemolken als ich", hat er einmal gesagt, "und ich bin verdammt stolz darauf." Den 1500-m-Zieleinlauf von Montreal, den "Hero Shot" mit wehendem Haar und verkrampftem Gesicht, kannte lange jedes Kind.
Vorbild einer ganzen Bewegung
Nun könnte Bruce Jenner zu einer prägenden Figur der US-Transgender-Bewegung aufsteigen. "Dies alles ist wahrscheinlich viel härter als das Training für einen Olympiasieg. Es ist aber auch viel wichtiger", schrieb ein Kolumnist der New York Times, "denn Transsexuelle sehen sich Hass und Diskriminierung in erschütterndem Ausmaß ausgesetzt."
Die Kolumne schließt mit dem Hinweis, die finanzielle und mediale Ausschlachtung sei sicherlich gewöhnungsbedürftig, dennoch: "Wenn er uns damit erziehen will: Bravo! Auf geht's, Wheaties - bringt Jenner zurück auf die Packung."
"Ich bin noch derselbe Mensch"
Bruce Jenner lebt mit seiner dritten Ex-Ehefrau Kris Kardashian in Hidden Hills, Kalifornien, 2011 reichste Stadt der USA. Bei ihm leben seine fünf Kinder und mehrere Stiefkinder, die teils auch gemeinsam mit ihm in der Reality-Seifenoper "Keeping Up With The Kardashians" zu sehen sind.
Esther Jenner, 88, Bruce Jenners Mutter, wird am Telefon von Reportern bestürmt. In einem Telefoninterview, das auch in der Washington Post veröffentlicht wurde, berichtete sie: "Es war ein Schock, das muss man erst mal in sein Hirn bekommen..." Aber ihr Sohn habe gesagt: 'Mama, ich bin noch derselbe Mensch! Ich werde weiterhin Autorennen fahren, meine Flugzeuge fliegen und einen Helikopterschein machen!'". Nur eben nicht mehr als Mann, sondern als Frau. Angeblich will er sich Belinda nennen.