Thomas Tuchel hatte nach dem verblüffend ernüchternden Auftritt von Borussia Dortmund im Volksparkstadion gegen den Hamburger SV keine Erklärung parat. Der BVB-Cheftrainer konnte nach dem 3:1-Sieg des HSV nur die Symptome aufzählen, nicht die Ursachen.
Tuchel rätselt über schläfrigen BVB
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"Es war von der ersten Minute offensichtlich, dass uns jegliche Körpersprache und Einstellung für dieses Spiel gefehlt hat", sagte er bei Sky. "Ich habe das nicht kommen sehen."
"Ein dramatischer Unterschied"
Vor allem in den ersten 45 Minuten fand der Tabellenzweite keinerlei Einstellung zum Spiel. "Die erste Halbzeit war ein dramatischer Unterschied zwischen unserem eigenen Anspruch und unserer Leistung", erkannte Tuchel. "Deswegen sind wir unterm Strich verdient bestraft worden."
Warum die Borussen eine derart dürftige Leistung auf den Hamburger Rasen legten,war für den Dortmunder Übungsleiter nicht ersichtlich. "In der Länderspielwoche waren wir sehr fleißig, deswegen bin ich ein bisschen ratlos." Tuchels Fazit: "Mit so einer Einstellung ist nirgends etwas zu holen."
Der Unterschied, der sich auf dem Platz manifestierte, setzte sich nach dem Schlusspfiff fort: Während die Dortmunder mit gesenkten Köpfen in die Kabine schlichen, kamen die Gastgeber aus dem Lachen nicht mehr heraus.
Allen voran Pierre-Michel Lasogga, der nach seinem Führungstreffer ein Superman-Shirt unter seinem Trikot lüftete. "Auf der anderen Seite war ja Batman, deswegen konnte vielleicht nur Superman dagegen wirken", verriet er bei Sky - während neben ihm Lewis Holby einen Lachkrampf bekam.
Beim völlig verdienten Sieg der Gastgeber erzielten Pierre-Michel Lasogga (19.) per Elfmeter, Lewis Holtby (41.) und Mats Hummels mit einem Eigentor (55.) die Hamburger Treffer. Pierre-Emerick Aubameyangs (86.) Tor kam für die Dortmunder in diesem Hochsicherheits-Spiel zu spät.
Nach zuletzt vier Siegen in Serie musste der BVB wieder eine ganz bittere Pleite hinnehmen und konnte damit keinen Druck auf Tabellenführer Bayern München ausüben - Trainer Thomas Tuchel verzweifelte angesichts der desolaten Vorstellung regelrecht an der Seitenlinie. (SERVICE: Das Spiel zum Nachlesen im TICKER)
Angstgegner bestätigt seinen Ruf
Dortmund hat nur eines der letzten zehn Spiele beim Angstgegner in Hamburg gewonnen. Damit haben die Münchner beim FC Schalke 04 am Samstag die Chance, mit einem Sieg am 13. Spieltag bis auf acht Punkte davonzuziehen.
Die HSV-Fans durften nach einer spielerisch und kämpferisch überzeugenden Vorstellung über den zweiten Heimsieg der Saison jubeln. Die Mannschaft von Trainer Bruno Labbadia ist damit vorübergehend Tabellen-Achter und schielt plötzlich sogar auf die Europapokal-Plätze.
Die HSV-Abwehr stand gegen die sonst so starke BVB-Offensive um Marco Reus und Aubameyang sicher, und vorne nutzten die Hanseaten ihre Chancen eiskalt. Lasogga verwandelte sicher vom Elfmeterpunkt, nachdem BVB-Torwart Roman Bürki Ivo Ilicevic von den Beinen geholt hatte - doch der Elfmeterpfiff von Schiedsrichter Felix Zwayer war durchaus zweifelhaft. Holtby (41.) schloss dann einen Konter überlegt ins lange Eck ab. (Alle Daten zum Spiel im Datencenter)
Ginter mit dem Blackout
Zuvor hatte Weltmeister Matthias Ginter den vorentscheidenden Treffer mit einem Blackout-Pass auf Nicolai Müller eingeleitet, der wiederum Holtby bediente. Auch Hummels machte bei seinem Eigentor nach einer Holtby-Ecke eine unglückliche Figur.
Die Partie vor 57.000 Zuschauern im ausverkauften Hamburger Volksparkstadion stand ganz unter dem Eindruck der Terroranschläge von Paris eine Woche zuvor und des abgesagten Länderspiels von Hannover vor drei Tagen. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden verschärft, das Spiel musste wegen der langen Eingangskontrollen 15 Minuten später beginnen. Aber eine Absage der Partie wurde nie ernsthaft diskutiert.
"Das wäre eine solche Kapitulation, das würde ja Freudenstürme in Syrien und anderswo auslösen", sagte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Den Opfern von Paris wurde ebenso in einer Schweigeminute gedacht wie dem verstorbenen Alt-Bundeskanzler und Hamburger Ehrenbürger Helmut Schmidt. Die Spieler liefen mit Trauerflor auf.
Reus-Rückkehr bleibt wirkungslos
Beim BVB kehrte Superstar Marco Reus (Faserriss im Adduktorenbereich) zurück in die Mannschaft, der HSV musste hingegen weiter auf Spielmacher Aaron Hunt (Muskelfaserriss im Oberschenkel) verzichten.
Trotzdem hielten die Hanseaten mehr als nur gut mit, durch aggressives Pressing verhinderten die Hausherren, dass der BVB sein gefürchtetes Kombinationsspiel aufziehen konnte. Über schnelle Konter versuchte der HSV, selber gefährlich zu werden.
Nach den Gegentreffern intensivierten die Dortmunder dann ihre Bemühungen. Reus hatte eine gute Möglichkeit, doch Rene Adler parierte den Schuss aus 16 Metern ebenso souverän (23.) wie später einen Freistoß von Ilkay Gündogan (76.). Aubameyang traf nach einer starken Kombination dann doch noch, ein weiterer Treffer des Gabuners (90.+1) zählte wegen einer Abseitsstellung nicht - insgesamt war der BVB viel zu harmlos gewesen.