Der Ritterschlag folgte unmittelbar nach dem Schlusspfiff.
Ritterschlag für Schalker Knappen
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Abgekämpft, erschöpft und ausgepumpt hatten sich die Schalker auf den Weg in ihre Fankurve gemacht, als sich plötzlich sogar die Anhänger von Real Madrid teilweise von ihren Sitzen erhoben und klatschten.
Arm in Arm standen die Schalker da auf dem Rasen des Bernabeu. Dort, wo sie in den 90 Minuten zuvor Cristiano Ronaldo und Co. phasenweise an die Wand gespielt, die nicht für möglich gehaltene Sensation vor Augen hatten. In Madrid. Gegen Real. Den Titelverteidiger.
Den Blick hatten die Schalker dabei Richtung Himmel gerichtet. Dorthin, wo sich die eigenen Fans immer noch verwundert die Augen rieben, feierten und ausgelassen sangen. Der Jubel vermischte sich mit dem anerkennenden Applaus der Königlichen.
Mehr geht eigentlich nicht. Fast nicht.
Ein Mix aus Emotionen
Denn kaufen können sich die Schalker unter dem Strich dafür auch nichts. Am Ende fehlte nach dem ebenso grandiosen wie unglaublichen 4:3-Sieg ein einziger Treffer zum Einzug in das Viertelfinale der Champions League.
Auf Understatement hatten sie im Vorfeld gemacht. Erklärt, man sei klarer Außenseiter, habe eigentlich kaum eine Chance aufs Weiterkommen. Gut verkaufen wolle man sich, das beste Ergebnis herausholen. Anständig verabschieden aus der Königsklasse.
Was man halt so sagt, wenn man bei einer der weltbesten Mannschaften mit der Bürde eines 0:2 aus dem Hinspiel antreten muss.
Dass es am Ende tatsächlich fast zum königsblauen Wunder gereicht hätte, sorgte dann auch für einen reichhaltigen Mix aus Emotionen. Perplex waren sie. Stolz. Glücklich. Aber auch enttäuscht und traurig. Fast sogar ein wenig niedergeschlagen.
Benedikt Höwedes stand sinnbildlich für die Gemütslage im Schalker Lager. "Wir haben ein riesiges Spiel gemacht, wir haben uns nicht beeindrucken lassen. Wir haben richtig klasse gespielt. Wenn wir alle den Ball fordern, können wir auch Real an die Wand spielen", sagte der Kapitän. Und fügte hinzu: "Wir hätten einen Tacken mehr verdient gehabt."
Fast zehn Kilometer mehr
In der Tat: In den Statistiken des Spiels war Schalke auf Augenhöhe mit Real oder besser. Fast zehn Kilometer mehr liefen sie als die Königlichen. Nur in der Addition der Treffer war Real um eben das eine Tor besser. Vier Treffer im Bernabeu – das war zuvor nur dem FC Bayern im Jahr 2000 gelungen, in der K.o.-Runde der Königsklasse noch gar keinem Klub.
"Wenn man vier Tore macht und nicht weiterkommt, dann ist das bitter. Wir sind auch ein bisschen perplex. Wir waren sehr nah dran, das hat uns keiner zugetraut", sagte Marco Höger.
Im Mittelfeld hatten die Schalker die Schaltzentrale der Madrilenen im Griff, Max Meyer war nicht zu halten, 47 seiner 50 Pässe, viele mit Risiko, kamen zum eigenen Mann.
Lauffreudig und passsicher
Schalke stand im üblichen 5-3-2 offensiv ausgerichtet und auf den Außen hoch, attackierte immer wieder früh, ging mit zunehmender Spieldauer ein immer höheres Risiko, stets lauffreudig, ohne an Passsicherheit einzubüßen. Beim Umschaltspiel drängte Schalke mit mehr Spielern als sonst in die Offensive, stellte Real so vor einige unlösbare Aufgaben.
Immer wieder gestikulierte die Bank von Real wild mit den Fingern, doch bitte auf die Nummer sieben (Meyer) zu achten. Doch der 19-Jährige wirbelte und dribbelte Real schwindelig.
Einziger Wermutstropfen: Lediglich in der Defensive schlichen sich Unkonzentriertheiten und Fehler ein, die Real letztlich im Spiel und im Wettbewerb hielten.
Möglicherweise war der Auftritt ganz nebenbei ein gelungener Wink für Sami Khedira, mit dem die Schalker inzwischen öffentlich flirten. "Ich bin für vieles offen, konzentriere mich aber auf die Aufgabe bei Real", sagte der Weltmeister.
Nicht ernst genommen
Meyer selbst war am Ende ein wenig enttäuscht, auch wenn der Stolz auf ein "geiles Spiel" überwog: "Das bleibt immer in Erinnerung. Ich bin aber auch ein bisschen sprachlos. Fünf Minuten länger und wir hätten es geschafft. Real hat uns von Anfang an nicht richtig ernst genommen, nachher hat man dann die Anerkennung gesehen."
Anerkennung für eine Mannschaft, die mit Leidenschaft und Herz gespielt hat. Mutig und entschlossen. Und vor allem unbekümmert mit Youngstern wie Meyer (19), Torhüter Timon Wellenreuther (19), Leon Goretzka (20) oder Leroy Sane (19), der nach seiner Einwechslung munter mit wirbelte und seinen ersten Königsklassen-Auftritt mit einem Tor krönte.
Mutmacher für die Zukunft
Ein Mutmacher für die kurzfristige Zukunft in der Liga, wo sich Schalke nun mit reichlich Rückenwind der Aufgabe widmen kann, sich erneut für die Champions League zu qualifizieren. Erste Bewährungsprobe: Am Samstag (ab 15.00 Uhr, im LIVETICKER und auf SPORT1.fm) bei der abstiegsbedrohten Hertha.
Gleichzeitig war es aber auch ein Mutmacher für die mittel- und langfristige Zukunft.
"Wenn die Jungs bodenständig bleiben, an sich arbeiten und einen guten Willen haben, werden sie weiter auf Schalke spielen. Die Zukunft unserer Mannschaft ist abgesichert2, sagte Trainer Roberto Di Matteo.
Das dürfte in der Tat dann noch mehr wert sein als dieser Sieg.