Vom DFB-Team berichten Martin Volkmar, Matthias Becker, Jochen Stutzky und Onur Özdamar
Die Durchwurschtler
Die Männer in den weißen Hemden genossen den warmen Applaus im Nürnberger Stadion.
Dumm nur, dass es die tapferen Freizeitkicker aus Gibraltar waren, die in den Trikots der deutschen Nationalmannschaft ihre Ehrenrunde absolvierten.
Die echten Weltmeister schlichen am andere Ende des Platzes die Ränge ab. Auch für sie gab es vom höflichen und leidensfähigen Publikum Applaus - unter den sich aber unüberhörbare Pfiffe mischten.
Selten hat sich der 4:0-Erfolg eines DFB-Teams so sehr wie eine Niederlage angefühlt. Nicht mal gegen den kleinsten aller Zwerge kann die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw derzeit restlos überzeugen. Die Nationalmannschaft bewegt sich vier Monate nach dem Triumph von Rio durch die Sinnkrise.
Die Mängelliste ist lang
Und dem Bundestrainer geht das zunehmend auf die Nerven. Einen Tag vor dem Spiel hatte er noch einen deutlichen Warnschuss an sein Team gerichtet. Veränderungen müsse es im neuen Jahr geben. Stillstand ist Rückschritt. SHOP: Jetzt DFB-Fanartikel kaufen
Nach so viel Stillstand wie im Offensivspiel der zweiten Halbzeit war die Laune Löws nach den 90 Minuten sehr mäßig.
"Ich hätte mir von der Mannschaft heute mehr erwartet, vor allem in der zweiten Halbzeit. Wir sind nicht mehr die Wege gegangen, die wir hätten gehen müssen, um den Gegner vor größere Probleme zu stellen", tadelte er.
Zu wenige Ideen, zu wenig Tempo, zu wenig Durchschlagskraft - die Mängelliste von Nürnberg ist lang. "Wir hatten nicht viele Tore mehr verdient. Wir sind zu viel mit dem Ball gelaufen, hätten schneller spielen können", kritisierte Toni Kroos, dem es auch nicht gelang, mit seinen Pässen mehr gefährliche Situationen heraufzubeschwören.
So klangen die Tore bei SPORT1.fm
Jerome Boateng schimpfte: "Damit kann man nicht zufrieden sein. In der zweiten Halbzeit laufen wir rum, als ob es ein Freizeitspiel ist."
Löw enttäuscht von Bewährungskandidaten
Es ehrt Kroos und Boateng, zwei der herausragenden Nationalspieler des Jahres 2014, dass sie sich selbstkritisch zeigen. Sie werden auch bei Löws geplantem Neuaufbau ab kommendem März eine zentrale Rolle spielen.
Für andere aus dem aktuellen Kader gilt das nicht zwangsläufig. "Da hätte ich vom ein oder anderen, der jetzt mal die Chance hatte, sich zu zeigen, mehr erwartet. Mehr Zug zum Tor, mehr Torgefahr, mehr Torabschlüsse", klagte Löw.
Namen nannte er natürlich nicht. Bei dieser Fehlerbeschreibung war aber recht klar, dass unter anderem der Gladbacher Max Kruse im Frühjahr womöglich vergeblich auf einen Anruf des Bundestrainers warten wird.
Lukas Podolski wurde von Löw zwar noch teilweise in Schutz genommen, bekam aber auch eine deutliche Ansage: "Letztendlich müssen wir und er uns überlegen, was das nächste Jahr bringt."
Hoffen auf den Neustart
Podolski merkt man seine Probleme beim FC Arsenal überdeutlich an. Und Löw braucht im nächsten Jahr Spieler, die vor allem im Kopf wieder frisch sind. "Einige Spieler werden froh sein, wenn das WM-Jahr dann auch rum ist", sagte der DFB-Coach.
Nach der Quälerei gegen Gibraltar hatten die meisten Akteure ihre ganz eigene Erklärung parat, weshalb es nicht zum erhofften Befreiungsschlag kam. Der volle Terminkalender (Thomas Müller), die extrem defensive Taktik der Gäste (u.a. Manuel Neuer und Mario Götze) und die vielen fehlenden Stammkräfte (Toni Kroos) lagen in der Hitliste der Ausreden ganz weit vorne.
Es wird sich durchgewurschtelt, durch diese letzten Aufgaben des Jahres. Am Dienstag geht es noch gegen Ex-Weltmeister Spanien.
Das wäre für viele schon mal eine gute Gelegenheit, um sich für den von Löw angekündigten Neustart des Systems 2015 gut in Position zu bringen.