Joachim Löw entglitten kurz die Gesichtszüge, als er nach dem 7:0-Kantersieg gegen Gibraltar auf der Pressekonferenz gefragt wurde, ob er denn erklären könne, was er in der zweiten Halbzeit mit einer Nagelfeile in der Hand auf der Bank gemacht habe.
Abschluss mit Schönheitsfehlern
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Doch dann fand Löw schnell die Fassung wieder. "Mir ist ein Nagel abgebrochen, das habe ich gemerkt. Es sollte nicht despektierlich sein", sagte der Bundestrainer.
Ein Fingernagel und andere Probleme
Der Fingernagel war am Samstagabend in Faro aber nicht der einzige Schönheitsfehler.
In der ersten Halbzeit ließen die Nationalspieler mehrere beste Chancen ungenutzt, was den ehemaligen Stürmer auf die Palme brachte.
"An der Grenze zur Arroganz"
"Ich musste in der Halbzeit laut werden, weil die Chancenverwertung nicht gestimmt hat. Das war an der Grenze zur Arroganz", sagte Löw zum erneut fahrlässigen Umgang mit hundertprozentigen Torchancen.
"Wir haben den Torwart angeschossen oder den Ball vertändelt. Gemessen am großen Offensivpotenzial ist das nicht zufriedenstellend", meinte Löw, "danach waren wir konzentrierter und die zweite Halbzeit war absolut in Ordnung."
Schürrle und Kruse hören gut zu
Andre Schürrle berichtete nach dem Spiel, wie der Bundestrainer in der Halbzeitpause den Spielern mit deutlichen Worten klargemacht hatte, dass er nun Tore sehen wolle.
Schürrle und der für Mario Götze eingewechselte Max Kruse hatten offenbar besonders gut zugehört. Beide erzielten nach dem Seitenwechsel noch je zwei Tore und verliehen dem Ergebnis das in solchen Fällen so gerne verwendete Prädikat "standesgemäß".
Steigerungsbedarf nicht nur vor dem Tor
In der EM-Qualifikationsgruppe D steht die deutsche Mannschaft vor der Länderspiel-Sommerpause mit 13 Punkten auf Platz zwei hinter Polen, das sich beim 4:0 gegen Georgien ebenfalls keine Blöße gab. Am 4. September beginnt der viel zitierte "heiße Herbst" mit dem Spiel gegen den Tabellenführer und vier Tage später der Partie in Schottland. Am 8. Oktober muss der Weltmeister in Irland antreten. Mit einem Sieg gegen Polen wäre Deutschland bereits Tabellenführer.
Doch in den kommenden drei Spielen und bei der Endrunde in Frankreich im nächsten Jahr muss sich das DFB-Team steigern. Nicht nur in der Chancenverwertung sehe er Verbesserungsbedarf, sondern auch im Spielaufbau und im schnellen Umschaltspiele, erklärte Löw und blickte noch einmal zurück auf die elf Monate seit dem WM-Triumph in Brasilien.
Souveränität ist abhanden gekommen
"Es war ein schweres Jahr, einige hatten mit Verletzungen und Formschwankungen zu kämpfen und wir hatten nicht die Souveränität wie die Jahre zuvor", gab der Bundestrainer zu. Dass gegen Gibraltar in Hälfte eins auch die Abwehr wackelte und Torwart Roman Weidenfeller dreimal retten musste, dürfte dem Ästheten Löw ebenfalls nicht gefallen haben.
Doch er ist sicher, dass die Mängel abstellen zu können: "Wir kennen die Probleme und wir werden in die Spur kommen. Wir haben großes Potenzial und werden es zeigen."
Wenn dies gelingt und die Nationalmannschaft am Ende mit den EM-Pokal gewinnt, wird auch die Geschichte mit dem abgebrochenen Fingernagel bald vergessen sein.