Die Zeit der Lippenbekenntnisse ist vorbei.
Exzesse stürzen NFL vom hohen Ross
Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die NFL ein ernstes Gewaltproblem hat. Es vergeht kaum noch ein Tag ohne einen weiteren Prügelexzess (Die NFL-Saison LIVE im TV auf SPORT1 US und im LIVESTREAM).
Nach Ray Rice und Adrian Peterson folgten nun Carolinas Greg Hardy und Arizonas Jonathan Dwyer (News) - immer ging es um häusliche Gewalt.
Ein Thema, das die sonst so auf ihre Imagepflege bedachte Liga lange Zeit ignorierte oder mit geringen Strafen ahndete. Dafür zahlt auch Commissioner Roger Goodell nun einen hohen Preis.
"Die NFL hat keine moralische Autorität mehr. Das Beispiel, das momentan für College- oder Schulteams gesetzt wird, ist inakzeptabel. Die NFL muss ihre lasche Einstellung zu Gewalt gegenüber Frauen ändern", kritisiert Terry O'Neill, die Präsidentin der "National Organization for Women".
Kodex und Benimm-Kurs reichen nicht
Zwar könnte argumentiert werden, dass private Handlungen und Probleme der Spieler die NFL nichts angehen, aber wenn immer wieder medienwirksam der hohe Standard des ligaeigenen Verhaltenskodex propagiert wird, ist es schwer, die Verantwortung zu leugnen.
Die Häufung der Entgleisungen - von Trunkenheit oder Drogenmissbrauch ganz zu schweigen - macht deutlich: ein zweitägiger Crash-Kurs in Benimm-Regeln ("Rookie Symposium") reicht nicht aus.
Hier wird vollmundig angepriesen: "jegliches Verhalten, welches die Integrität oder Reputation der NFL gefährdet" solle bestraft werden.
Häusliche Gewalt nicht ernst genommen
Doch genau darin lag in früheren Jahren das Problem.
Während Goodell - oder seine Vorgänger - bei Drogen oder Alkohol oftmals mit Null-Toleranz-Politik Stärke zeigen wollten, wurden häusliche Ausraster oftmals als "Hand augerutscht" zu Kavaliersdelikten verharmlost.
Selbst Rice war ja zunächst nur für zwei Spiele aus dem Verkehr gezogen worden - bis ein zweites schockierendes Video auftauchte. Die Vernehmung seiner Frau durch Goodell in Rice' Beisein ist zudem äußerst fragwürdig.
Früherer FBI-Chef ermittelt
Inzwischen wurde eine unabhängige Untersuchung unter dem ehemaligen FBI-Boss Robert Mueller angestrengt. Um die Liga aus der medialen Schusslinie zu nehmen, reicht das noch lange nicht.
Am 2. Spieltag flogen bereits Banner mit "Goodell Out" über die NFL-Stadien. Bei Spielergewerkschaft und den großen Stars ist der unnachgiebige 55-Jährige ohnehin nicht sonderlich beliebt - nicht nur wegen seines Jahresgehaltes (2013: 44,2 Millionen Dollar).
"Aus meiner Sicht ist das Klima in der NFL momentan eine Schande. Viele Leute fällen vorschnelle Urteile. Gerade weil die NFL eine solche Macht hat, sollte sie erst alle Fakten kennen", kritisierte Brandon Marshall, der 2008 wegen Verstoßes gegen den Verhaltenskodex für ein Spiel gesperrt war.
Bierlieferant sorgt sich
Dass die Liga auf den öffentlichen Druck mit Abschirmung Goodells reagiert und den Schwarzen Peter in Form von härteren Sperren an die Spieler weiterreicht, kommt ebenfalls nicht gut an und ist zu kurzsichtig (BERICHT: Prügelvater Peterson droht Gefängnis).
Die entscheidende Motivation, plötzlich drastisch Umzudenken und rigoros vorgehen zu wollen, ist aber das Geld.
"Wir sind enttäuscht und zunehmend beunruhigt über die jüngsten Vorfälle. Wir sind noch nicht zufrieden mit der Art und Weise, wie die Liga auf Verhaltensweisen reagiert, die unserer moralischen Norm derart deutlich widerstreben ", erklärte ein Vertreter von Anheuser-Busch, Mutterunternehmen des offiziellen Bier-Lieferanten der NFL.
Bei solchen Statements schrillen in den heiligen Hallen des Football in New York die Alarmglocken. Denn letztlich ist auch die NFL nur ein Multimilliarden-Unternehmen.
Vikings feuern Simpson
Die Sponsoren und TV-Partner haben eine riesige Bedeutung und können ständige Schlagzeilen über Verhaftungen und Skandale überhaupt nicht gebrauchen.
Die Minnesota Vikings sind durch das Peterson-Debakel und den Rückzug der Hotelkette Radisson so eingeschüchtert, dass sie nun Receiver Jerome Simpson gleich feuerten, weil er zum wiederholten Mal wegen Alkohols am Steuer erwischt wurde.
"Wir haben sicherlich Fehler gemacht und müssen genau wie die Spieler bessere Entscheidungen treffen", ließ Goodell in einem Statement ausrichten.
Die Fälle der vergangenen Wochen zeigen, dass es mit dieser Einsicht und bloßem Aussortieren einzelner Störenfriede nicht getan ist - der moralische Zeigefinger ist ohnehin verloren.