Jedes Jahr versuchen die besten Skispringer der Welt in seine Fußstapfen zu treten, doch bisher sind sie alle gescheitert. Denn nur Sven Hannawald ist es gelungen, alle vier Springen der Vierschanzentournee in einem Jahr zu gewinnen.
Hannawald prophezeit spannenden Zweikampf
© SPORT1-Grafik: Getty Images/Paul Haenel
Vor den Auftakt der Tournee in Oberstdorf (Dienstag ab 17.15 Uhr im LIVETICKER) spricht die Skisprung-Legende bei SPORT1 über seine Favoriten, die Schwierigkeit des Grand Slams und Österreichs Sorgenkind.
SPORT1: Sieben Mal in Folge gab es zuletzt einen Sieger aus Österreich. Wird diese Serie in diesem Winter endlich durchbrochen?
Sven Hannawald: "Ich glaube schon, aber nicht, weil ich es den Österreichern vielleicht nicht gönnen würde. Sondern nach dem, was man bisher gesehen hat, tun sie sich allgemein etwas schwerer als in den letzten Jahren."
SPORT1: Wer ist dann Ihr Favorit auf den Sieg?
Hannawald: "Ich bleibe bei meinen zwei Topfavoriten Peter Prevc und Severin Freund, weil sie in dieser Saison schon gezeigt haben, wie gut sie drauf sind. Auch die Norweger sind gut in Form. Ich weiß aber nicht, ob sie das nervlich weiterhin alles so durchhalten. Wenn man mal als Letzter oben steht, kann der ein oder andere schon mal anfangen zu flattern. Prevc und Freund haben da weitaus mehr Erfahrung."
SPORT1: Prevc macht aktuell einen etwas stärkeren Eindruck als Freund. Trauen Sie ihm auch den Grand Slam - und damit die Einstellung Ihres Rekords - zu?
Hannawald: "Ich bin schon ein bisschen gespannt, weil zuletzt in Engelberg zwei Faktoren zusammengekommen sind: Einerseits hat Prevc wenig Probleme mit wechselnden Schanzen, konnte das dort gut ausspielen und ist stark gesprungen. Andererseits hatte Freund in Engelberg schon immer Schwierigkeiten und war viel weiter weg von seinem eigentlichen Leistungsniveau. Deshalb ist die Schere zwischen den beiden auch so extrem auseinandergegangen. Trotzdem gibt es im Vorfeld der Tournee ja immer einen, der besonders im Blickpunkt steht und eventuell vier Siege schaffen könnte. Und für diese Rolle hat sich Prevc mit seinen Leistungen angeboten."
SPORT1: Was macht es so schwer, die vier Springen nacheinander zu gewinnen?
Hannawald: "Jeder bringt sein Paket mit, so wie ich auch. Dann gibt es aber auch immer wieder tagesaktuelle Dinge, die auf einen zukommen, die man während der Saison nicht trainieren kann. Das sind gewisse Störfaktoren, die man wahrnimmt und mit denen man irgendwie zurechtkommen muss. Der mediale Druck wird natürlich vom ersten bis zum letzten Springen immer größer. Dabei ist der Druck für Deutsche oder Österreicher am größten, weil es eben eine deutsch-österreichische Tournee ist. Springer anderer Nationen kriegen das ganze Drumherum aufgrund der Sprachprobleme wahrscheinlich nicht ganz so mit."
SPORT1: Ist das dann auch der Schlüssel? Wie schafft man es, die Power und die Konzentration dennoch zu bewahren?
Hannawald: "Da ist jeder verschieden. Der eine muss sich komplett zurückziehen, der andere braucht den Trubel drum herum, weil es ihn noch mehr motiviert. Es gibt kein Geheimrezept. Ich bin damals ganz normal an die Sache herangegangen, auch wenn die Tournee schon immer mein ein und alles war. Ich hatte von Anfang an eine innige Beziehung dazu, die mich irgendwie automatisch immer drei Klassen besser springen lassen hat." (SERVICE: Alle Fakten zur Vierschanzentournee)
SPORT1: Freund haben Sie bereits angesprochen, aber wie schätzen Sie die Chancen der anderen Deutschen ein?
Hannawald: "Die haben alle schon im Training, in Einzelsprüngen und zum Teil auch im Wettkampf gezeigt, dass sie vorne dabei sein können. Die Frage ist nur, ob sie das auch permanent abrufen können. Der Vorteil von Severin Freund ist, dass er in den letzten Jahren so viele Erfahrungen gesammelt hat, dass er auch Dinge ausblenden und ganz normal seine Sprünge abrufen kann. Das fehlt den anderen noch. Es kann aber auch sein, dass sie während so einer Tournee irgendwann über sich hinauswachsen. Wichtig ist, dass in Einzelsprüngen das Potenzial da ist, um mitzuhalten. Und das ist definitiv bei allen vorhanden."
SPORT1: Was trauen Sie Gregor Schlierenzauer zu, der ja die meisten Springen in dieser Saison ausgelassen hat?
Hannawald: "Da müssen wir mal abwarten. Trotz seines Rekords der meisten Weltcup-Siege ist er weiterhin ein permanent fokussierter, perfektionistischer Sieg-Springer. Aktuell scheint es ihm schwerzufallen, sich zu motivieren und das Loch zu füllen. Wenn man den inneren Antrieb aber nicht mehr hat, weiß ich nicht, ob es dann wirklich sinnvoll ist, zur Tournee zu fahren und dort um Platz 20 mitzuspringen. Auf der anderen Seite hat er natürlich schon die nötige Erfahrung. Am Ende kann Gregor das nur selbst wissen."
SPORT1: Könnte erneut ein Senkrechtstarter wie zuletzt Thomas Diethart und Stefan Kraft die Tournee gewinnen? Haben Sie einen Geheimfavoriten?
Hannawald: "Möglich ist es in jedem Jahr. Ich glaube aufgrund der bisherigen Saisonergebnisse aber nicht, dass erneut einem Österreicher die Überraschung gelingt."