Von Carsten Arndt
Wiedergeburt eines Traditionsklubs
München/Offenbach - Auch dieses Mal wird Offenbachs berühmteste Glocke wieder zum Einsatz kommen.
Die "Kickers-Viertelstunde" ist längst eine feste Instanz auf dem Bieberer Berg und sorgt bei Spielern und Fans für Gänsehaut.
Das Läuten der Glocke in der 75. Minute erinnert an die erfolgreichen Zeiten der 70er-Jahre, als der OFC in den letzten 15 Minuten so manch bereits verloren geglaubtes Spiel noch umbiegen konnte.
Topspiel in der Regionalliga
Doch diese Zeiten sind längst vorbei.
Während sich der ungeliebte Rivale Eintracht Frankfurt seit Jahren mit den Topteams aus Deutschland misst, empfängt der OFC stattdessen den ehemaligen Zweitligisten Hessen Kassel (ab 19.45 Uhr LIVE im TV auf SPORT1) zum Topspiel der Regionalliga Südwest.
Wenn man die derzeitige Situation mit der von vor wenigen Monaten vergleicht, ist aber selbst das schon ein Fortschritt.
Insolvenz als Tiefpunkt
Nach einigen Jahren in Liga zwei und drei, folgte 2013 der komplette Zusammenbruch der Kickers.
Nach Lizenzentzug und Zwangsabstieg musste die Profi-GmbH Insolvenz anmelden, auf über 17 Millionen Euro waren die Schulden angewachsen.
Der Traditionsklub aus Hessen stand vor dem Aus.
Probleme mit der Tradition
"Es gibt eine Menge sogenannter Traditionsvereine die aus dem bezahlten Fußball verschwunden sind. Manchmal ist es auch hinderlich, so eine Tradition zu haben", erklärt Trainer Rico Schmitt im Gespräch mit SPORT1.
"Der immense Druck, die Erwartungshaltung, die Euphorie. All das verhindert, dass man in Ruhe arbeiten kann, wenn der wirtschaftliche Background nicht da ist, um die Dinge richtig zu organisieren", sagt der Offenbacher Coach weiter.
Offenbach in Gala-Form
Auch knapp eineinhalb Jahre später befindet sich der Verein in einer Konsolidierungsphase, vor allem was das Finanzielle angeht. Noch immer läuft das Insolvenzverfahren, steht aber immerhin kurz vor einem erfolgreichen Abschluss.
Zumindest sportlich läuft es aber derzeit wieder rund. Seit 17 Pflichtspielen sind die Hessen wettbewerbsübergreifend ungeschlagen. Nach der Auftaktpleite am ersten Spieltag pflügte das Team nur so durch die Regionalliga und sicherte sich vorzeitig die Herbstmeisterschaft (DATENCENTER: Ergebnisse und Tabelle).
Über den Erwartungen
Dabei wurde der Aufstieg nie als Ziel ausgegeben. Selbst das anspruchsvolle Offenbacher Publikum hatte vor Saisonbeginn nicht ernsthaft mit der Dritten Liga geliebäugelt.
"Wir haben mit Worms ein Überraschungsteam in Lauerstellung. Sie nehmen so ein bisschen die Rolle ein, die wir für uns angedacht hatten", sagt Schmitt.
Schmitt wiegelt ab
Doch seit der beeindruckenden Siegesserie, der im DFB-Pokal auch die Zweitligisten FC Ingolstadt und Karlsruher SC zum Opfer fielen, sieht sich Schmitt beinahe täglich mit der Frage nach dem möglichen Aufstieg konfrontiert.
"Aufgrund der Leistungen und des aktuellen Punktestandes werden wir natürlich öfter als Aufstiegsfavorit genannt. Fakt ist aber, dass nach wie vor Elversberg und Saarbrücken die Top-Kandidaten sind", versucht Schmitt die Erwartungen zu dämpfen.
Festung Bieberer Berg
Dennoch gehen die Offenbacher als Favorit in die Partie gegen den Regionalliga-Meister von 2012/2013, der mit 25 Punkten derzeit nur auf Rang acht liegt. Vor allem, da sie als Gastgeber auftreten.
Denn nach einiger Eingewöhnungszeit ist auch das neue, vor dem finanziellen Kollaps gebaute Stadion wieder zu einer Festung geworden. Sechs Spiele, sechs Siege, 18:4 Tore: Bislang gab es für die Regionalliga-Konkurrenz nichts zu holen.
"Die Fans haben einen sehr großen Anteil an unserer momentanen Entwicklung. Sie sehnen sich nach sehr gutem und erfolgreichem Fußball und derzeit können wir ein Stück weit wiedergutmachen, was sie nach dem Desaster mit dem Lizenzentzug erleiden mussten", stellt Schmitt bei SPORT1 klar.
Euphorie wächst
Über 6000 Karten wurden laut Verein bereits im Vorverkauf abgesetzt. Die Euphorie, aber auch der von Schmitt angesprochene Druck wächst von Woche zu Woche.
Angst, dass seine Spieler mit der gesteigerten Erwartungshaltung nicht fertig werden, hat der Chemnitzer dennoch nicht und verweist stattdessen auf die Moral:
"Jeder Spieler hat in den letzten Wochen ein gewisses Grundvertrauen entwickelt. Die Mannschaft weiß, mit der Situation umzugehen. Wir konnten auch schon das eine oder andere Mal einen Rückstand umbiegen."
Da sind sie also wieder, die Comeback-Qualitäten des OFC. Die "Kickers-Viertelstunde" hat ihren Zauber noch immer nicht verloren.