Von allen Dingen, die die Fußballnation in den vergangenen Wochen aushalten musste, war dieses gewiss das schlimmste.
Goleo gegen den Rest der Welt
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Das Titelbild einer großen Tageszeitung, auf ihm Goleo VI, reglos und mit weit aufgerissenen Augen auf einem Rollwagen liegend - darüber die Zeile: "Schuss ins Herz".
Bei näherer Betrachtung stellte sich dieses Titelblatt als journalistische Überspitzung heraus, Goleo ist wohlauf, wie mehrere, mit der Materie vertraute Quellen unabhängig voneinander versichern. Eine schwere Zeit erlebt er trotzdem. Wieder einmal.
Denjenigen, die ihn nur als das fröhliche Maskottchen der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 kennen, muss man an dieser Stelle wahrscheinlich in Erinnerung rufen, wie sehr Goleos junges Leben von Tiefschlägen geprägt war.
Man denke an die Insolvenz seines Mutterkonzerns, dessen kommerzielle Erwartungen Goleo nie erfüllen konnte. An die Enthüllungsgeschichte des Magazins Öko-Test, das Spuren einer fruchtbarkeitsschädigenden Substanz in Goleos Blut nachwies und im Zuge dessen die Rolle seines langjährigen Weggefährten Pille in Frage stellte. Und, über allem, an den Hohn, den Spott.
"Zottelvieh", "debil", "langes Elend", "Strafpunkte für Dummheit": Die Kritiker hatten Goleo auf dem Kerbholz, von Beginn an. Landauf, landab rieben sich verständnislose Menschen an der Gestalt des freundlichen Löwen. Die Gründe dafür waren vielfältig, der womöglich entscheidende ist in einem so großen wie beiläufigen Wikipedia-Satz auf den Punkt gebracht: "Auch dass die Figur keine Hose trug, führte in manchen Ländern zu Irritationen."
Es war Goleos persönliche Tragödie: Er hielt für die WM den übergroßen Kopf hin und bekam die Prügel ab, während die anderen, behosten Beteiligten des Sommermärchens sich feiern ließen.
Dass die nun selbst in die Kritik geraten sind, während der hosenlose Löwe über jeden Verdacht, in die eigene Tasche zu wirtschaften, erhaben ist: Es hilft ihm nicht weiter. Zu sehr hängt in der allgemeinen Wahrnehmung alles mit allem zusammen. Die WM-Krise ist Goleos Krise, so kommt es letztlich rüber, auf Zeitungstitelbildern und anderswo.
Wer will es Goleo verdenken, dass er in dieser Lage abgetaucht ist, sich nicht mehr öffentlich äußern will?
Einen siebenseitigen Fragenkatalog von Hoffmanns Erzählungen ließ Goleo unbeantwortet, verwies auf die internen Ermittlungen und die externe Untersuchung durch eine renommierte internationale Maskottchen-Kanzlei.
Gleich wie diese ausgehen mag: Es ist nicht zu erwarten, dass sie Goleos Ruf reparieren wird, so laufen Affären dieser Art schlichtweg nicht.
Irgendetwas bleibt immer hängen, irgendwelche Konsequenzen werden immer gezogen, wenn nicht von einem selbst, dann von anderen.
Es wirkt wie ein böses Vorzeichen, dass genau jetzt auch die Letzten, bei denen man noch Solidarität mit der zahmen Raubkatze vermuten konnte, auf Abstand gegangen sind.
Die Sprecher der ARD Tagesschau, von Medienkritikern und Verschwörungstheoretikern bis vor kurzem als goleosche Gesinnungsgenossen vermutet, haben soeben den Gegenbeweis angetreten - und damit begonnen, ihre Jahrzehnte lang verborgene Beinbekleidung in die Kameras zu richten.
Ein Zufall? Womöglich, womöglich nicht, es bleiben weiterhin viele Fragen offen.
Aber so oder so kann Goleo nur einen Schluss aus der Entwicklung ziehen: Dass er sich fühlen muss, als wäre er der Einzige, der in dieser Fußballnation ohne Hose dasteht.