Wer am Frankfurter Waldstadion in die S-Bahn steigt und in Richtung Hauptbahnhof fährt, kann es nicht übersehen. Von der Fassade eines fünfstöckigen Mehrfamilienhauses, direkt an der nächsten Station in Niederrad gelegen, blickt das Konterfei von Anthony Yeboah herab.
Ein Abbild unserer kranken Zeit
Der ghanaische Stürmer ist einer der größten Helden in der Vereinsgeschichte von Eintracht Frankfurt. Übermalt ist sein Porträt mit einem seiner berühmtesten Sätze: "Wir schämen uns für alle, die gegen uns schreien." Er stammt aus einem offenen Brief, den Yeboah gemeinsam mit Souleyman Sané und Anthony Baffoe im Jahr 1990 geschrieben hat, um sich gegen den Rassismus in deutschen Fußballstadien zu wehren.
1989 war Yeboah beim Hinspiel der Relegation gegen den 1. FC Saarbrücken mit Affenlauten verunglimpft und mit Bananen beworfen worden. Und das, obwohl sein Wechsel zur Eintracht schon feststand. Mit zwei Toren im Rückspiel hätte Yeboah die Pöbler fast mit dem Abstieg der Frankfurter bestraft. Die Ereignisse waren aber auch einer der Auslöser für eine Diskussion über den Alltags-Rassismus im Stadion. Die hessischen Comedy-Helden Badesalz – glühende Eintracht-Fans – verarbeiteten die Geschehnisse in einem ihrer berühmtesten Sketche. Seit Beginn der 90er-Jahre hat sich die Situation in deutschen Stadien lange Zeit deutlich gebessert.
Anfeindungen beginnen schon im Jugendfußball
Offener Rassismus im Stadion war seitdem lange verpönt. Im sich wandelnden gesellschaftlichen Klima geraten für viele, die wie ich in dieser Zeit aufgewachsen und groß geworden sind, alte Gewissheiten aber ins Wanken. Die Grenze des gesellschaftlich Konformen verschiebt sich. Extreme und fremdenfeindliche Ansichten, die vor ein paar Jahren noch höchstens heimlich zuhause nach dem fünften Bier miteinander geteilt wurden, werden wieder salonfähig.
Nicht nur in Stadien in Bulgarien, Montenegro oder Serbien, wo beispielsweise immer wieder der englische Profi Raheem Sterling ein Opfer ist. Sondern auch im Kleinen, im Alltag hier bei uns.
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Ein SPORT1-Kollege betreut eine F-Jugend-Mannschaft und gibt zu, dass er selbst dort den Kindern manchmal schon gerne die Ohren zuhalten möchte.
Ein anderer trainiert die Jugendmannschaft eines jüdischen Sportvereins. Dieser muss sich permanent Gedanken um das Thema Sicherheit machen und sah sich sogar gezwungen, das Gelände zu umzäunen. Bei Auswärtspartien sind von Zuschauern immer wieder antisemitische Äußerungen aus dunkelster Nazi-Zeit zu hören, die ich hier nicht wiederholen möchte.
Als beim Heim-Länderspiel gegen Serbien in Wolfsburg im März Ilkay Gündogan und Leroy Sané von betrunkenen Idioten beleidigt wurden, saßen viele schweigend (und still zustimmend?) daneben.
Standhaft bleiben und hart bestrafen
Die Schande, der die englische Nationalmannschaft in Sofia am Montagabend ausgesetzt war, ist nur ein weiterer Hinweis darauf, dass der Fußball aktuell das Abbild unserer kranken Zeit ist. Einer Zeit, in der Rechtsnationalisten in Osteuropa schon die Regierung stellen, oder sie unterstützen (wie in Bulgarien). Einer Zeit, in der der Ton überall – und eben auch auf dem Sportplatz - ruppiger wird. In der eine immer größer werdende Gruppe im Schutzraum der sozialen Medien Tiraden loslässt, die auf offener Straße undenkbar wären.
Gegen diese Entwicklung helfen nur zwei Dinge: standhaft bleiben und da wo es geht hart reagieren.
Standhaft bleiben, wie der bulgarische Kapitän Ivelin Popov, der sich den Berichten nach den eigenen Fans entgegenstellte, um die Beschimpfungen zu stoppen. Oder wie der eine Fan, der die Pöbler von Wolfsburg eben doch konfrontierte.
Hart sein in der Bestrafung der Vergehen. Alles andere als die Verhängung eines Geisterspiels für die bulgarische Nationalmannschaft durch die UEFA wäre ein Witz. Da sich dort die Vorfälle wiederholen, wäre womöglich sogar ein Turnierausschluss für die EM im nächsten Jahr angebracht.