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Das blutende Herz eines Amateurfußballers in der Coronakrise

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Das blutende Herz eines Amateurfußballers in der Coronakrise

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Das blutende Herz eines Amateurs

SPORT1-Redakteur Carsten Arndt leidet: Zwischen Badelatschen und Laufschuhen liegen seine Fußballschuhe - und kommen nicht zum Einsatz. Ein Stich ins Herz.
In der Coronakrise fristen derzeit tausende Fußballschuhe ein einsames Dasein
In der Coronakrise fristen derzeit tausende Fußballschuhe ein einsames Dasein
© Imago
Carsten Arndt
Carsten Arndt

Ein Stich ins Herz. Immer wieder.

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Er liegt auf dem Schlafzimmerschrank. Neben der blau-grauen Tasche meines Vereins. Mehr oder weniger hochgeworfen nach dem letzten Training. In der Annahme, ihn schon bald wieder herunterholen zu müssen.

Mein Copa Mundial. Schuhgröße 44. Seit mehr als 15 Jahren mein treuester Sonntagsbegleiter. Wie viele Exemplare ich mittlerweile getragen habe, kann ich nur schwer einschätzen. 15 bis 20 dürften es über den Daumen gepeilt schon gewesen sein. Jedenfalls kann ich mich nur an ein einziges Mal erinnern, als ich fremdgegangen bin.

Mein Copa wartet nur darauf, endlich wieder zum Einsatz zu kommen
Die Kickschuhe wochenlang auf dem Schrank - ein trauriges Bild für jeden Fußballer

Ein Lotto-Schuh, der mit dem drehenden Stollen von Luca Toni (eine kurze Google-Recherche offenbarte neben einem Youtube-Video von Welt der Wunder mit dem Titel "Wunderschuh von Luca Toni", dass es sich um das Modell Zhero Evolution aus dem Jahr 2008 handelt) gelangte an meinen Knick-Senk-Spreizfuß, wurde alsbald aber wieder durch die einzig wahre Liebe abgelöst.

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Das Coronavirus hat den Amateurfußball lahmgelegt

Doch nun fristet mein Copa ein tristes, nicht geputztes und eingefettetes Dasein. Zwischen Laufschuhen und Badelatschen. Das Coronavirus hat den Amateurfußball lahmgelegt.

An jedem verdammten Sonntag ist es besonders schlimm. Wenn ich an die Kabine und den Spieltag denke, blutet mir das Herz.

Ich vermisse die Habibis und Brudis aus mehr als zehn Nationen, die leidenschaftlich über den Fußball von der Bundesliga bis hin zu Irak gegen den Iran diskutieren und im Zweifel auch längst eine Wette platziert haben.

Alle aktuellen Meldungen, Entwicklungen und Auswirkungen auf den Sport durch die Covid-19-Krise im Corona-Ticker!

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Ich vermisse es, wie wir Ü30-Spieler wissentliche Blicke über die "Jungs" austauschen, versuchen, seriöser zu wirken, im Herzen aber genau wie sie sind.

Ich vermisse meinen ägyptischen Mitspieler, der vor dem Spiel immer so tanzt, wie ich es glaube zu können, wenn der Abend etwas feuchtfröhlicher geworden ist.

Mir fehlt das Gefühl, wenn der Trainer auf der Magnet-Taktiktafel die Aufstellung offenbart. Wenn das Kribbeln immer stärker wird.

Auf Oliver Kahns Spuren in der Kreisklasse

Wenn ich in der Kreisklasse versuche, wenige Minuten vor dem Anpfiff auf Oliver Kahns Spuren zu wandeln, voll im Tunnel zu sein.

Das Gesicht im Handtuch vergraben. Die Knie beginnen zu wippen, auch der Kopf wackelt. Im Takt, immer wieder dasselbe Mantra: "Kopfbälle gewinnen, Zweikämpfe gewinnen, jeder verf* Zentimeter." Dazu das Visualisieren vergangener "Großtaten".

Dann raus auf den Platz. Ein erster Staredown beim Abklatschen mit dem gegnerischen Team. Kein Todesblick, aber durchaus verbissen (so empfinde ich es zumindest). Überall wird ein gutes Spiel gewünscht, von mir hört der Gegenspieler keinen Ton.

Die letzten Augenblicke vor dem Anpfiff
Die letzten Augenblicke vor dem Anpfiff

Ein letztes Mal gemeinsames Pushen im Kreis. Die Fersen tippeln wie wild auf den Boden. Jetzt gilt's. Anpfiff, 90 Minuten gefühlte Bundesliga!

Oberstes Gebot als Abwehrspieler: Der Gegner muss meine Präsenz fühlen. Ich will in seinen Kopf. Ich bin kein besonders unfairer Spieler (Kratzen, Beißen, Zwicken, Provozieren, Auf-die-Füße-Treten gehört alles nicht zu meinem Repertoire), aber mein Körper hat nun mal Ecken und Kanten. Und die soll er spüren. Bei jedem verdammten Zweikampf.

Ich führe in jedem Spiel zwei Duelle. Das mit dem Gegner, den ich am Ende mit meiner Mannschaft schlagen will. Und das persönliche mit dem Stürmer. Nur, wenn ich beide gewinne, ist der Sonntagabend wirklich gerettet.

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Apropos Abend: Ich vermisse es sogar - und ich hätte nie gedacht, dass es einmal so weit kommt - meine Tasche auszuräumen. Ich würde das Granulat, das beim Öffnen immer maximal unglücklich aus dem Schuhfach rieselt, sogar einzeln mit der Hand vom Boden im Bad aufsammeln.

Sollte ich also an einem Sonntag irgendwann statt der Couch endlich wieder Rasen- oder Kunstrasenplätze umpflügen und im Anschluss voller Stolz meine nässende Wunde nach einer unnötigen Grätsche präsentieren dürfen, dann verspreche ich hier hoch und heilig:

Ich werde meinen Copa mit derart viel Lederfett ehren, wie es einst nur meine Mutter tat!