Von Clemens Gerlach
Die pure Trostlosigkeit im Norden
Bis Weihnachten ist es noch fünf Wochen hin. In Hamburg war schon am Sonntag Bescherung. HSV-Cheftrainer Josef "Joe" Zinnbauer verteilte: Es gab kräftig Lob, jeder bekam etwas ab.
Die Bremer zeigten sich als großzügige Gäste und brachten Geschenke mit.
Innenverteidiger Assani Lukimya begünstigte bei der 0:2-Niederlage den ersten Treffer der Hamburger mit einem naiven Abwehrfehler, den zweiten erzielte Torwart Raphael Wolf gleich selbst per Eigentor.
Das mit 57.000 Zuschauern ausverkaufte 101. Duell der Traditionsklubs war ein trostloses Spiel. Agieren die Teams in dieser Verfassung weiter, wird es kommende Saison mindestens einen norddeutschen Verein weniger in der Bundesliga geben.
Zinnbauer will Überzeugendes gesehen haben
Zinnbauer tat dennoch so, als habe sein nun auf Platz 15 befindliches Team eine überzeugende Vorstellung geboten und nicht lediglich drei Punkte in einem Kräftemessen zweier Abstiegskandidaten geholt.
Den "Willen" seiner Mannschaft stellte er heraus und dass diese vorhatte, "in die Spitze zu spielen".
Einem Spieler musste Zinnbauer unbedingt, so wirkte es jedenfalls, "ein Riesenkompliment" machen: Rafael van der Vaart. Der Niederländer habe "viel dafür getan, den Ball nach vorne zu bringen".
Was daran so bemerkenswert sein soll, dass sich ein zentraler Mittelfeldmann, der geschätzte 3,5 Millionen Euro Jahresgehalt kassiert, aktiv am Spielaufbau seiner Mannschaft beteiligt, erschließt sich nicht wirklich.
Van der Vaart nur Durchschnitt
Van der Vaart, beim HSV neben Velon Bahrami als zweiter Sechser aufgeboten, zeigte gegen Bremen eine vollkommen durchschnittliche Leistung. Er strengte sich an und kämpfte, Spielwitz oder Grandezza gar versprühte der 31-Jährige nicht.
Die Hamburger waren gegen Bremen überlegen, echte Torchancen gab es dennoch wenige. "Man sieht, dass es noch nicht so hinhaut, wie wir uns das vorstellen", stellte Abwehrmann Heiko Westermann fest.
Das ist eine freundliche Umschreibung für die Tatsache, dass der HSV vor allem offensiv sehr wenig zustande bringt. Sechs Tore in zwölf Bundesligaspielen lautet die magere Ausbeute, kein Oberhaus-Klub trifft seltener.
Teuer, aber kaum erfolgreich
Die drei am weitesten vorne agierenden Stammspieler, Pierre-Michel Lasogga, Nicolai Müller und Lewis Holtby, haben eines gemeinsam: Sie sind teuer, bringen aber kaum Ertrag. Fortschritt ist nicht zu erkennen.
Auch nach dem Werder-Spiel gab es beim Fast-Absteiger der vergangenen Saison, der nun wieder unten drin hängt, die gleichen Slogans.
Man brauche Zeit, so Zinnbauer. Von einem "langen Weg" sprach Westermann, der wegen seines rüden Einsteigens gegen Werder-Stürmer Nils Petersen eigentlich vom Platz gestellt hätte werden müssen.
Zum Glück für die Hamburger, denen erstmals seit Mitte Mai in einem Bundesligaspiel mehr als ein Treffer gelang, waren die Bremer noch schwächer.
"Wir haben uns mehr versprochen, waren insgesamt nicht so vehement", gab Werder-Sportdirektor Thomas Eichin zu.
Bremer Rückschlag, neuer Vertrag für Skripnik
Für Bremen war die Niederlage im Prestigeduell ein Rückschlag. Zuvor hatte es unter dem neuen Cheftrainer Viktor Skripnik drei Pflichtspielsiege nacheinander gegeben.
Grund genug dem neuen Coach einen Vertrag bis 2017 zu geben, auch Co-Trainer Torsten Frings erhält ein neues Arbeitspapier mit der gleichen Laufzeit.
Durch das 0:2 in Hamburg ist das Team aber wieder Vorletzter.
"Jeder weiß, dass wir Defizite haben ohne Ende", sagte Skripnik. Nach dem Auftritt in Hamburg mochte dem 45 Jahre alten Ukrainer niemand widersprechen. Abwehr konfus, Angriff lau ? so konnte es nichts werden.
"Mutiger spielen und mehr nach vorne"
Ich wünsche mir, dass wir mutiger spielen und mehr nach vorne", so Skripnik. Ohne den am Knie verletzten argentinischen Stürmer Franco di Santo blieb es beim Wunsch.
Skripnik verteidigte zwar Ersatzmann Petersen: "Er hat sich bemüht." Dennoch sehnt der Nachfolger Robin Dutts die Rückkehr seines mit sechs Bundesliga-Toren besten Angreifers herbei.
Wann dies sein wird, kann der Werder-Coach nicht sagen. "Ein bis sechs Wochen fällt di Santo laut unserer medizinischen Abteilung aus."
Eines weiß Skripnik aber ganz genau: "Jeder sieht, dass es ein Riesenunterschied ist."