Vom Hamburger SV berichtet Clemens Gerlach
Weit entfernt von Aufbruchstimmung
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Ein großer Rhetoriker war Dietmar Beiersdorfer noch nie. Der Vorstandsvorsitzende des Hamburger SV ist eher ein stiller Mann, er mag nicht gerne öffentlich reden. Am Montag musste er sich aber stellen, es ging nicht anders, schließlich wurde der neue Cheftrainer vorgestellt.
Was als Signal für einen Aufbruch gedacht war, geriet zu einer zähen Angelegenheit. "Mut und Selbstvertrauen sind jetzt wichtig", sagte Beiersdorfer über den Zinnbauer-Nachfolger Peter Knäbel. Und von den Spielern fordert er "Hingabe und Leidenschaft".
Beiersdorfer selbst aber agierte sehr fahrig, er blieb blass. Von Dynamik keine Spur. Stattdessen sprach Beiersdorfer über "Defekte in der Mannschaft" und eine über Jahre währende "depressive Phase". Nimmt man alleine diesen Auftritt, müsste man denken, der auf dem Relegationsplatz befindliche HSV sei schon abgestiegen (Die PK im Ticker zum Nachlesen).
"Ich will den Weg, den Joe Zinnbauer eingeschlagen hat, erfolgreich weiterführen." Das sagt Peter Knäbel. Der Sportdirektor des HSV soll zum Retter werden und dem Klub die seit 1963 währende Zugehörigkeit zur Bundesliga erhalten.
Rückkehr auf den alten Posten
Knäbel betreut den HSV bis zum Ende der Saison, dann kehrt er auf seinen eigentlichen Posten zurück. "Wir haben den Markt sondiert und sind nach Abwägung aller Umstände und Situationen überzeugt, dass es die beste Option für uns ist", sagt Beiersdorfer.
Ungeachtet der Tatsache, dass dies eine Plattitüde ist, hat der Vereinsboss dennoch recht. Der schwer angeschlagene HSV hatte einfach keinen passenden Coach gefunden, der längerfristig arbeiten möchte und das hohe Risiko eingeht, möglicherweise für das Abrutschen in die Zweite Liga verantwortlich zu sein.
So kann der neue Mann, der zur kommenden Saison beginnen soll, unbelastet starten. Denn Fälle wie Lucien Favre, der Borussia Mönchengladbach im Februar 2011 als Tabellenletzten übernahm und seitdem sehr erfolgreich in der Ersten Liga coacht, sind die Ausnahme.
Gerüchte um Tuchel
In Hamburg wird Thomas Tuchel als der Mann für die Spielzeit 2015/2016 gehandelt. Der 41-Jährige nimmt derzeit eine Auszeit, RB Leipzig bemüht sich sehr um ihn.
Für den ehrgeizigen Tuchel wäre der HSV - unabhängig von der Ligazugehörigkeit - die größere Herausforderung. "Ich habe mich schön öfter mit ihm unterhalten, es gibt nichts Neues", so Beiersdorfer zu den Spekulationen über Tuchel.
Erst einmal geht es für den HSV auch um den Klassenerhalt. "Ich kenne die Mannschaft bestens, es wird keine 180-Grad–Kehrtwendung geben", kündigte Knäbel an. Der 48-Jährige, der nur über rudimentäre Erfahrungen als Trainer im Profifußball verfügt, ging bei seiner Vorstellung offensiv zu Werke. "Ich will so viel meiner Energie wie möglich der Mannschaft widmen."
Nun fragen sich alle, was der Platzhalter-Coach in den acht noch verbleibenden Saisonspielen ausrichten kann. Die Partien nach der Länderspielpause haben es in sich.
Drei schwere Spiele zum Auftakt
In Leverkusen, gegen Wolfsburg und in Bremen wird ein HSV in der bisherigen Verfassung wenig holen. Die Hoffnung der Hamburger beruht auch darauf, dass die direkten Konkurrenten, insbesondere Stuttgart, Paderborn und Freiburg, nicht kräftig punkten.
Das Vertrauen in die eigene Stärke ist gering. Nicht ohne Grund: Der HSV ist keine Mannschaft, sondern eine Ansammlung von zum Teil gar nicht einmal üblen Fußballern. Nur spielen sie nicht gut zusammen.
Nach vorne bringt der HSV kaum etwas zustande. Die Hamburger haben die schwächste Offensive der Liga, erst 16 Treffer glückten. In 15 seiner bislang 26 Saisonspiele blieb der Klub torlos. Sturm ohne Drang.
Knäbel erkennt Dilemma
Um dieses Dilemma weiß auch Knäbel. "Ich will die Offensivkraft verbessern, ohne defensive Stabilität zu verlieren." Klingt gut, doch das hatte schon Zinnbauer vor. Es blieb beim Plan.
Auch Mirko Slomka und Bert van Marwijk wollten beim HSV erfolgreich sein, sie waren es aber nicht. "Es ist eine sehr schwere Situation und für uns alle eine Niederlage", sagt Beiersdorfer. Widersprechen wird ihm keiner.