Irgendwie hat so ziemlich alles, was sich beim Hamburger SV zuträgt, eine Symbolik.
Aufstieg: Das muss der HSV tun
Da sind die Krawallmacher im Fanblock, die vor aller Öffentlichkeit demonstrieren, dass in diesem Fußballklub bisweilen das Chaos regiert.
Da sind die millionenschweren Verbindlichkeiten, die das Missmanagement der vergangenen Jahre dokumentieren.
Und dann ist da diese legendäre Stadionuhr. Sie hat einfach aufgehört zu laufen. Am Samstag, gegen 17.40 Uhr. Nach 54 Jahren, 262 Tagen, 0 Stunden, 35 Minuten.
Nichts steht mehr für Hamburgs Niedergang in der Bundesliga als diese neun Ziffern Stillstand.
Der HSV wäre aber nicht der HSV, hätte er nicht schon längst eine Ersatz-Symbolik für dieses Relikt erschaffen.
Am Sonntag wurde eine neue Zeitrechnung gestartet, bestückt mit den Daten des Bestehens: 130 Jahre und 226 Tage - fortlaufend. Aus Bundesliga-Zugehörigkeit ist Tradition geworden.
Die Aura dieses Klubs soll vor Vergänglichkeit geschützt werden - und über jede Ligazugehörigkeit erhaben bleiben. Man darf diese Aktion als Zeichen des Aufbruchs deuten.
Der Absteiger bereitet die Mission Wiederaufstieg vor. SPORT1 analysiert, wie der HSV das sportliche Comeback schaffen kann.
HSV braucht neues Führungspersonal - schnell
Im Klub hatten lange falsche Verantwortliche das Sagen (Bruchhagen, Todt). Als die dann entmachtet waren, fehlten Finanzboss Frank Wettstein Mitstreiter. Dieses Führungsvakuum hat seinen Anteil am Abstieg.
Präsident Bernd Hoffmann macht deshalb Druck beim Aufsichtsrat, die künftige Struktur des Vorstands festzulegen. "Dann werden wir auch personell besetzen", sagte er zu SPORT1.
Die Kontrolleure des Klubs haben zu befinden, ob es künftig einen Sportvorstand geben soll. Auf diesen Posten bewirbt sich Bernhard Peters, bislang interimsweise Sportdirektor.
Der liegt dem Vernehmen nach nicht immer mit Hoffmann auf Linie, aber ein Abstieg bietet ja die Chance zur Neufindung - auch in Grundsatzfragen.
Nachdem Hoffmanns Wunschkandidat, der Mainzer Rouven Schröder, für den Job abgesagt hat, dürfte ihn Peters übernehmen. Die Frage ist, welchen Manager er Trainer Christian Titz zur Seite stellen wird.
Seit Tagen macht der Name Samir Arabi die Runde. Der ist Geschäftsführer Sport bei Arminia Bielefeld.
Bei den Ostwestfalen hat Arabi einen Abstieg in die 3. Liga miterlebt, den direkten Wiederaufstieg gemanagt und eine Entwicklung vorangetrieben, die die Mannschaft in die Spitzengruppe der Zweiten Liga geführt hat.
Arabi steht für ein Konzept mit jungen, entwicklungsfähigen Spielern. In dieser Hinsicht würde er gut zu Titz passen.
Leistungsträger halten, überbezahlte Profis loswerden
Im Fußball ist es der Lauf der Dinge, dass Teams auseinander brechen, wenn sie absteigen. Der HSV könnte eine Ausnahme sein.
"Wir werden den Spielern klar zu erkennen geben, was wir von ihnen erwarten", bekräftigte Wettstein am Sonntag. "Wenn man in die Augen der Spieler beim Schlusspfiff geguckt hat, hat man viele gesehen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Ich glaube auch, dass sie bereit dazu sind, den Fehler zu korrigieren."
Einer, auf den sie trotz des Abstiegs weiter zählen in Hamburg, ist Kyriakos Papadopoulos. Der Grieche ließ am Wochenende wissen, er könne sich vorstellen, auch eine Klasse tiefer für den HSV aufzulaufen.
Er wäre ein Prunkstück des Zweitliga-Kaders. Zu einem weiteren könnte Lewis Holtby werden. Der Vertrag des 27-Jährigen läuft zwar aus. Zuletzt erlebte der unter Markus Gisdol degradierte Offensiv-Akteur jedoch eine sportliche Renaissance.
Schwer vorstellbar, dass Holtby jenen Mann zurücklässt, der ihn wieder zum Stammspieler gemacht hat: Christian Titz, seinen Trainer. Mit dem ist er gut befreundet. Titz wird die nötige Überzeugung leisten, dass Holtby seine Gehaltsvorstellungen der neuen Liga anpasst.
Sturmtalent Manuel Wintzheimer hat der HSV bereits vom FC Bayern verpflichtet. Er steht für das Format an Spielern, die der Generation Hunt, Diekmeier, Salihovic und Schipplock nachfolgen soll. Die vier Profis dürften kaum eine Zukunft im Verein haben - der HSV muss sein Budget deutlich kürzen.
Die Finanzlage stabilisieren - mithilfe Kühnes
Den Klub plagen Verbindlichkeiten von mehr als 100 Millionen Euro. "Wir befinden uns nicht im wirtschaftlichen Schlaraffenland, sondern müssen uns an den Gegebenheiten orientieren, die wir nach jahrelangem Krisenmodus hier haben", sagte Hoffmann bei SPORT1.
Übersetzt sollte das heißen: Der HSV ist zu drastischen Sparmaßnahmen gezwungen, will er seinen maroden Haushalt sanieren.
Der Etat wird von 55 Millionen auf etwa 30 Millionen heruntergefahren werden. Um finanziell wettbewerbsfähig zu bleiben, ist der Klub mehr denn je auf Hilfen seines Investors angewiesen.
Hoffmann gilt als Befürworter Klaus-Michael Kühnes. Umgekehrt gilt dasselbe. Letzteres war nicht bei allen HSV-Bossen so.
Er sei froh, Kühne "als Partner" an seiner Seite zu wissen, sagte Hoffmann. "Und das soll auch so bleiben."
Identität wahren und Zusammenhalt schaffen
Die Bilder von brennenden Bengalos und Pyro-Geschossen, sie haben den HSV in ein schlechtes Licht gerückt. Das Magazin 11freunde kommentierte spöttisch: "Nicht mal absteigen können sie."
Dabei war es nur eine überschaubare Gruppe von Chaoten, die das eigene Stadion mit einem Schlachtfeld verwechselt hatte.
Hoffmann bekräftigte zwar, Titz und sein Trainerteam hätten "die Stimmung in Hamburg gedreht und die HSV-Fans wieder hinter der Mannschaft versammelt". Doch die Vorfälle vom Samstag haben dem Verein viele Sympathien genommen, die er sich zuvor mühsam zurückerkämpft hatte.
Der HSV muss eine Lösung finden, wie er mit seinen Problemfans fertig wird. Für SPORT1-Experte Marcel Reif ist das ein Prozess der inneren Hygiene.
"Der Verein muss seine echten, wahren Fans so stärken, dass sie sich von dem Pack befreien", schreibt er in seiner Kolumne. Die Bosse um Hoffmann haben den Appell offenbar verstanden.
Er sei sehr froh, sagte der Präsident bei SPORT1, dass die Chaoten im Fanblock vom Rest des Publikums isoliert worden seien. "Jetzt geht es darum, diese zu identifizieren und sie ein für alle mal aus dem Fußballstadion rauszuschmeißen."
Es wäre ein Dienst im Sinne des Fußballs, für die ganze Stadt Hamburg - und die Zukunft des HSV.