Es läuft die 51. Spielminute in der Allianz-Arena im Spiel gegen Union Berlin.
Manuel Neuer: Der neue Kahn?
Die "Eisernen" kommen relativ unbedrängt vor dem Bayern-Sechzehner zum Flanken, der Ball segelt an Freund und Feind vorbei ins Aus - eigentlich eine eher unbedeutende Szene. Eigentlich.
Nicht jedoch für Manuel Neuer. Den Bayern-Keeper brachte das etwas sorglose Defensivverhalten seiner Kollegen derart auf die Palme, dass er regelrecht explodierte.
Wild-gestikulierend verließ er seinen Fünfmeterraum, fauchte in alle Richtungen und ließ seinem Frust freien Lauf.
"Es ging um eine Situation, in der wir uns taktisch nicht clever verhalten haben. Das musste ich ansprechen", erklärte Neuer im Anschluss.
Was genau er seinen Kollegen mit auf den Weg gab, kann nur spekuliert werden. Der Inhalt der Message stand dabei jedoch nicht im Vordergrund, sondern die Signal-Wirkung.
"Das sind solche Momente, die an frühere, glorreiche Zeiten erinnern. Gerade Manuel als Kapitän ist da auch in einer wichtigen Rolle" kommentierte Thomas Müller die Situation nach der Partie.
Der Kapitän sah sich gezwungen, seine Elf wieder aus dem vorübergehenden Herbstschlaf wecken zu müssen – und weckte damit nicht nur bei Müller unweigerlich Erinnerungen an einen seiner berühmtesten Vorgänger: Oliver Kahn.
Neuer: Personifiziertes Sprachrohr
Dem "Titan“ war es jahrelang vorbehalten diese Rolle im Bayern-Trikot auszufüllen.
Oft unkonventionell, aber immer mit einer gezielten Wirkung nach außen - auch in Richtung des Gegners - rüttelte die Bayern-Legende die Mitspieler immer wieder wach.
Und das nicht nur auf dem Platz, sondern auch vor den Mikrofonen – eine weitere Parallele zum aktuellen Bayern-Torhüter.
Neuer bildet zusammen mit Joshua Kimmich, insbesondere in den vergangenen Monaten, das personifizierte Sprachrohr des Rekordmeisters. Der Ton: kritisch mahnend.
Immer wieder betont er auch nach Siegen, die Spielweise seiner Mannschaft sei nicht "Bayern-like“ gewesen, nach dem knappen Union-Sieg sah er immerhin "einen Schritt in die richtige Richtung“, um dann jedoch zu ergänzen: "Wir haben nicht geglänzt.“
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Original-Titan zum 1. Januar als Vorstandsmitglied zum FC Bayern zurückkehrt und dann vielleicht mit Neuer verlängert. Der Nationalkeeper kann sich nach SPORT1-Informationen vorstellen, seine Karriere in München zu beenden.
Torwart-Debatte weckt den Kahn in Neuer
Weshalb Neuer erst mit 33 Jahren so richtig in diese Rolle schlüpft, hat wohl mehrere Ursachen.
Neben dem offensichtlichen Alters-Faktor spielen vor allem zwei Faktoren eine entscheidende Rolle.
Zum einen fehlt es den Bayern seit dem Abgang von Führungsspielern wie Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger oder auch Arjen Robben an Persönlichkeiten, die auch öffentlich mal Kritik äußern.
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Zum anderen scheint die öffentlich geführte Torwart-Debatte in der Nationalmannschaft etwas in Neuer ausgelöst zu haben.
Zwar stellte er sich vorher auch schon immer den Medien und führte intern eine klare Sprache. Der Bayern-Keeper tritt seither allerdings auch deutlich selbstbewusster, aber auch forscher und direkter in der Öffentlichkeit auf.
Somit stärkt er gegenüber Konkurrent Marc-André ter Stegen sein Profil in der öffentlichen Wahrnehmung. Und sein Profil stärkt die Stabilität beim Rekordmeister - eine klassische Win-Win-Situation.
Kahn und Neuer: Provokante Bayern-Lieblinge
Niko Kovac gefällt das."Manuel ist eine starke Persönlichkeit und ein toller Mensch", ließ er vor dem Pokalspiel beim VfL Bochum verlauten.
"Als Trainer kann man während dem Spiel nicht so gut Einfluss nehmen. Wenn das der Kapitän übernimmt, ist das etwas, was ein Trainer möchte“, freut sich der FCB-Coach über seinen verlängerten Arm auf dem Spielfeld.
Dieser war auch stets Oliver Kahn für jeden seiner Trainer auf der Bayern-Bank. Sein berühmtes Mantra vom "Weiter, immer weiter“ war auch ein Segen für Ottmar Hitzfeld.
"Er war immer eine Persönlichkeit. Er war ein großes Vorbild für die Mannschaft. Er hat sich nie ausgeruht, wollte immer besser werden und dies auf die Mannschaft übertragen", kommt Hitzfeld auch heute noch zum Schwärmen, wenn es um seinen ehemaligen Kapitän geht.
Und auch Kahn selbst positionierte sich immer wieder öffentlich. Weder das eigene Team, noch die Bosse waren vor seinen oft provokanten Aussagen sicher.
Wer liefert, hat Recht
Doch dies mit nur einem Ziel: dem maximalen Erfolg. Und weil er stets das Maximum abrief, hatte er zumeist Recht – zumindest bot er wenig Angriffsfläche für Kritiker an seiner Kritik.
Ähnlich verhält es sich momentan auch bei Manuel Neuer. Denn ohne die entsprechende Leistung auf dem Platz wären solche Aussagen nicht angebracht – das ist auch Neuer bewusst.
Doch seit seiner langwierigen Verletzung hat sich der Nationaltorhüter peu a peu wieder an sein altes Leistungsniveau zurückgekämpft. Jüngstes Beispiel: Der überragend gehaltene Elfmeter gegen Union Berlin - nach dem Wutanfall.
Apropos Union Berlin: Keine zwei Minuten nach Neuers furchteinflößendem Wutanfall erzielte Robert Lewandowski das vorentscheidende 2:0.
Zufall oder nicht, Neuer hatte Recht.