Es klang nach Freundschaftsdienst und Understatement, als Jürgen Klinsmann unverhofft Blitzlicht-umwittert in seinem Amt bei Hertha BSC vorgestellt wurde: Bis vor zwei Tagen nämlich, so erklärte der ehemalige Trainer der deutschen Nationalmannschaft und des FC Bayern, der nun auf einmal in Berlin Cheftrainer ist, "war nicht geplant, dass ich heute hier sitze".
Klinsmanns Fallhöhe ist enorm
Doch sein Vater, betonte Klinsmann demütig, sei schon Hertha-Fan gewesen, wie er selbst ja nun seit 2004 Vereinsmitglied - dazu hat sein Sohn Jonathan kürzlich noch für den Hauptstadt-Klub gespielt, man kennt sich also. Doch bei allen Anekdoten und familiären Banden: Klinsmanns Engagement bei der Alten Dame ist mitnichten kurzentschlossen.
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Er ist auch kein Akt spontaner Hilfeleistung, wie Hertha-Manager Michael Preetz ("Er brauchte noch mal einen kleinen Anschubser") der Öffentlichkeit weismachen will.
Bei Klinsmann steht Kalkül über allem
Wer Klinsmann und dessen Vita kennt, der weiß, dass bei dem 55-Jährigen Kalkül und eigene Ansprüche über allem stehen. "Wenn ich so etwas übernehme, dann mache ich das nicht halb", äußerte er vielsagend während seiner ersten Hertha-PK, "dann mach ich das hundertprozentig." Und zwar auf seine ganz eigene Weise.
Zur Erinnerung: Als Bundestrainer kündigte Klinsmann bei Amtsantritt an, beim DFB jeden Stein umzudrehen – und tat es, indem er zum Beispiel gegen alle Widerstände mit Oliver Bierhoff erstmals einen Manager für die Nationalmannschaft inthronisierte.
Bei den Bayern wollte er - trotz Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge - alleiniger Primus sein, nicht mehr inter pares wie beim DFB – und schuf an der Säbener Straße ein hochmodernes Leistungszentrum, von dem am Ende vor allem die Buddha-Statuen in Erinnerung blieben (auch wenn sie laut Klinsmann nicht auf seinem Mist gewachsen sind).
Vollmundigen Versprechungen unter dem Leitmotiv, "jeden Spieler jeden Tag besser machen", wurde Klinsmann in München nicht gerecht. Sie kosteten ihn letztlich Job und vor allem Reputation, die er seither nie wieder zurückerlangen konnte – was den Welt- und Europameister als Spieler, DFB-Ehrenspielführer und Architekten des Sommermärchens von 2006 bis heute wurmt.
Hertha ist deshalb Klinsmanns letzte Chance, den Makel seines gerade mal zehnmonatigen Bayern-Missverständnisses zu tilgen.
Preetz: Klinsmann hat "enorme Strahlkraft"
"Ein Mann mit einer enormen Strahlkraft" sei er, gab Preetz ihm dafür mit auf den Weg. Doch sollte Klinsmann erneut scheitern, ist er als Vereinscoach in der Bundesliga kaum noch vermittelbar, bleibt wohl nur noch das Ausland und die bisherige Rolle als TV-Experte. Die Fallhöhe ist noch immer enorm.
Auch deshalb hat Klinsmann mit Torwarttrainer Andreas Köpke, "Performance Manager" Arne Friedrich und gleich zwei Co-Trainern (Alexander Nouri und Markus Feldhoff) und Fitness-Experte Werner Leuthard einen Stab um sich geschart, der ihm treu ergeben sein dürfte.
Dass Klinsmann tatsächlich nur bis Saisonende plant und dann still hinter den Kulissen als Aufsichtsrat fungiert, ist ihm kaum abzunehmen. Zu sehr denkt er wie ein Projektmanager. Herthas neuer Großinvestor Lars Windhorst hat ähnliche Visionen wie Klinsmann, träumt von einem Berliner "Big City Club" in der Champions League.
Wie sehr beide im Entwicklungsprozess der Hertha harmonieren, wird spannend sein zu beobachten.