Die Bayern sind längst Meister, aber nie satt. Am Samstag geht es in Wolfsburg noch um drei Bundesligarekorde. Zwei können sie einstellen, einen sogar brechen.
Als Bayern über 100 Tore erzielte
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Ihre 49 Rückrundenpunkte (2012/13) und ihre zehn Auswärtssiege in Folge (2013/14) wären schon mit einem knappen 1:0 erreicht. Aber dann gibt es da noch den Allzeittorrekord von 101 Treffern, der seit 48 Jahren hält.
Um ihn zu brechen, müssten sie am letzten Spieltag noch mal mindestens sechs Tore erzielen, was in Wolfsburg nicht zum ersten Mal der Fall wäre. 2017 wurden sie dort mit Carlo Ancelotti nach einem 6:0-Sieg Meister, unter Guardiola gab es 2014 ein 6:1.
Wie aber ging es eigentlich 1971/72 zu, als zum ersten und einzigen Mal in der Ligageschichte eine Mannschaft auf ein dreistelliges Ergebnis kam?
"Wir brauchten Tore, wir wollten Tore!"
Es war die hohe Zeit der "Achse" Maier-Beckenbauer-Müller. Alles drehte sich um dieses Weltklassetrio, das im Juni 1972 auch dazu beitrug dass Deutschland Europameister wurde – mit sechs Bayern und begeisterndem Offensivfußball.
Kein Wunder, den spielten sie auch in München, seit Udo Lattek im März 1970 das Zepter von Taktikfuchs Branko Zebec übernahm. 1971/72 hatte er seine Stars auf den Höhepunkt geführt, ergänzt durch die jungen Wilden Paul Breitner, Uli Hoeneß und Katsche Schwarzenbeck – Letzterer allerdings war nicht ganz so wild wie die anderen.
Lattek sagte einmal im Rückblick auf jene Saison: "Es war auch für mich das schönste Jahr in München. In dieser Saison haben wir immer voll auf Risiko gespielt. Wir brauchten Tore, wir wollten Tore!"
Es war auch die beste Saison des damals 26-jährigen Gerd Müller, dem "Bomber der Nation", der bis heute unerreichte 40 Tore erzielte. Daran erinnerten noch 2015 im Vereinsmuseum 40 rote Bälle, die an der Decke baumelten – umgeben von 61 weißen. Sie sollten Müllers Anteil am Rekord visualisieren – damals anlässlich der Ausstellung zum jeweils runden Geburtstag von Müller, Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge, der 1974 zu den Bayern kam.
Hoeneß schoss das 100. Tor
Ein Grund für den Rekord der Bayern von 1971/72 war gewiss auch, dass sie bis zuletzt um den Titel bangen mussten. Herbstmeister Schalke hielt Schritt und kam, welch glückliche Planung des DFB – am letzten Spieltag ins Olympiastadion. Es war ein doppelt bedeutsamer Tag: An jenem 28. Juni 1972 zogen die Bayern in die futuristische Arena ein und wurden gleich mit dem Premierenspiel Meister.
Verfolger Schalke wurde 5:1 geschlagen und der Torrekord auf 101 gesetzt. "Toller Offensivfußball der Bayern", titelte der Münchner Merkur. Uli Hoeneß schoss das 100. Tor, "aber das war mir in dem Moment gar nicht bewusst. Mir geht’s gar nicht so sehr um die Jubiläumssache", gestand er. Beckenbauer sorgte per Freistoß für Tor Nummer 101.
Bis heute mysteriös bleibt, wie es kam dass ausgerechnet Müller in dieser Partie leer ausging. Widersacher Rolf Rüssmann hatte es zwar angekündigt, aber das hörte man öfters und hinterher blieb nur Achselzucken, weil Müller seinem Bewacher doch wieder entwischt war. Müller sagte zu seiner 40-Tore-Saison: "Wie das passieren konnte, kann ich unmöglich in Worte fassen. Wenn's einmal läuft, keine Verletzungen auftauchen und von allen Seiten die Vorlagen kommen, dann ist es eine Freude Mittelstürmer zu sein."
Wenn Müller auf dem Platz war, war das die halbe Miete. Im Schnitt schoss er in jener Saison, in der er keine Sekunde verpasste, 1,17 Tore pro Spiel, Robert Lewandowski steht aktuell bei 1,1 (33 in 30). Zum Rekordjahr trugen insgesamt 12 Schützen bei, am nächsten kam Müller der aufstrebende Uli Hoeneß (13), es folgten Franz "Bulle" Roth (12) und Beckenbauer (6).
Auf der Anzeigetafel stand 71:1
Auch für Roth und den Kaiser waren das Karriererekordwerte. Eklatant war der Unterschied zwischen 1. Halbzeit (36 Tore) und 2. Halbzeit (65). Die Lattek-Bayern spielten ihren Gegner oft erst mal müde, ehe sie über ihn herfielen.
Lange war nicht abzusehen, dass die Bayern auf einen Torrekord zusteuern würden. Nach der Vorrunde lagen sie zwar bei 47, aber die hatte auch Borussia Mönchengladbach aufzuweisen. Nach dem 20. Spieltag hatten die Fohlen um Günter Netzer sogar drei Treffer Vorsprung. Doch regelmäßige Schützenfeste auf der Abschiedstournee im Grünwalder Stadion, wo sie ungeschlagen blieben, änderten das.
Schon im November hatte es gegen Dortmund ein 11:1 gegeben. Bayerns bis dato höchster Bundesligasieg brachte den Mann, der die manuelle Anzeigetafel bediente, in höchste Schwierigkeiten. Als das letzte Tor gefallen war, hatte er keine 1 mehr und behalf sich mit einer 7. So stand bei genauem Hinsehen ein 71:1 auf der Anzeigetafel, aber dazu waren selbst die Bayern von 1971/72 nicht imstande. Was sie garantierten waren Tore in allen Heimspielen und nur auf Schalke (0:1) und – wie so oft – in Duisburg (0:3) – streikte die Tormaschine.
In der Rückrunde schossen sie 54 Tore, auch das ein Rekord, den nur sie selbst noch zweimal einstellten – 2012/13 und 2013/14. Die aktuelle Mannschaft steht bei 50.
Der 101-Tore-Rekord blieb 48 Jahre unangetastet, nur im Triple-Jahr 2012/13 wurde es etwas gefährlicher für ihn. Da kamen die Heynckes-Bayern durch ein 4:3 im letzten Spiel in Mönchengladbach auf 98 Tore.