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Marcel Reif über den legendären Torfall vor Real Madrid - BVB am 1. April 1998

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Marcel Reif über den legendären Torfall vor Real Madrid - BVB am 1. April 1998

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Torfall-Übertragung „Anarchie auf dem Sender“

Marcel Reif erinnert an den Torfall von Madrid. Seine legendäre Moderation empfand der SPORT1-Experte zunächst eher negativ.
Marcel Reif kommentierte den Torfall von Madrid am 1. April 1998 im Zusammenspiel mit Günther Jauch
Marcel Reif kommentierte den Torfall von Madrid am 1. April 1998 im Zusammenspiel mit Günther Jauch
© SPORT1-Montage: Getty Images/Imago
Carsten Arndt
Carsten Arndt

„Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan.“

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Der Satz von Marcel Reif ist legendär - und exakt 25 Jahre alt. Am 1. April 1998 sollte der heute 73-Jährige das Halbfinal-Hinspiel in der Champions League zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund kommentieren.

Als die Real-Fans im Santiago Bernabeu kurz vor Spielbeginn einen Schutzzaun hinter einem der Tore erklommen, kippte dieser um - und riss das daran befestigte Tor mit.

Die festgelegte Anstoßzeit von 20.45 Uhr konnte dadurch nicht mehr eingehalten werden, das Tor erwies sich trotz zahlreicher Versuche als nicht reparabel. Die Lösung: Ordner brachten mit Hilfe der Fans ein Tor von Reals Trainingsgelände in einem Kastenwagen in das Stadion, die Partie wurde mit 76-minütiger Verspätung doch noch angepfiffen.

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Günther Jauch und Marcel im November 2019
Günther Jauch und Marcel im November 2019

Jauch und Reif überbrücken Wartezeit

Als klar war, dass der Anstoß nicht pünktlich erfolgen würde, schaltete der übertragende Sender RTL Moderator Günther Jauch zu Reif hinzu. Das Duo sollte gemeinsam die Zeit überbrücken, bis der Anpfiff erfolgt.

Dass diese Überbrückung weit mehr als eine Stunde dauern würde, war für niemanden abzusehen. Heraus kam ein launiges Gespräch, das den Bayerischen Fernsehpreis 1998 erhielt und 1999 für den Grimme-Preis nominiert wurde.

"Für alle die, die nicht rechtzeitig eingeschaltet haben. Das erste Tor ist schon gefallen", erzählte beispielsweise Jauch.

Die Einschaltquoten stiegen während der ungeplanten Wartezeit sprunghaft an und betrugen im Schnitt 12,76 Millionen. Als das Spiel nach 22 Uhr schließlich angepfiffen wurde, sahen nur noch etwa sechs Millionen TV-Zuschauer zu. Real gewann mit 2:0 und einige Wochen später auch die Königsklasse, Dortmund verzichtete auf einen Protest.

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Der heutige SPORT1-Experte Reif erinnert sich im Interview an den denkwürdigen Abend.

SPORT1: Herr Reif, können Sie das Thema "Torfall von Madrid" langsam nicht mehr hören oder denken Sie noch gerne daran zurück?

Marcel Reif: Ich habe das mittlerweile überwunden, dass ich es nicht mehr hören kann. Es hat sich inzwischen eingependelt. Man muss sich dafür nicht schämen. Es hat sich so ergeben, der Abend war gut, die Menschen hatten ihren Spaß. Es war lustig und das ist schon eine Menge im Fernsehen.

Weil die Fans im Santiago Bernabeu hinter dem Tor den Zaun beschädigten, an dem das Tor befestigt war, verlor Letzteres seinen Halt
Weil die Fans im Santiago Bernabeu hinter dem Tor den Zaun beschädigten, an dem das Tor befestigt war, verlor Letzteres seinen Halt

SPORT1: Über das große Echo und die Preise, die sie bekommen haben, waren Sie aber gar nicht so sehr erfreut …

Reif: Ja, weil ich für meinen Job gewürdigt werden wollte. Das war etwas, was mit meinem Job eigentlich wenig zu tun hatte. Darauf kann man sich nicht vorbereiten, das war ein bisschen Anarchie auf dem Sender. Aber mittlerweile bin ich da entspannt. Die Preise, die es da gegeben hat, waren nicht die schlechtesten. Und die Menschen, die einen darauf ansprechen, beschimpfen einen ja nicht, sondern fanden es prima. Ich habe meinen Frieden damit gemacht.

SPORT1: Sie haben gesagt, man kann sich nicht darauf vorbereiten. Hatten Sie im Anschluss trotzdem eine Art Notfallplan in der Tasche?

Reif: Dann hätte ich ja Lotto spielen müssen. Da hätte ich eher gewonnen, als dass so etwas noch einmal passiert. Ich war und bin aber auf meinen Job vorbereitet, also auf das, was in einem Fußballspiel passiert. Ich gehe entspannt in so ein Spiel, weil ich weiß, dass ich meine Hausaufgaben gemacht habe. Wenn man eine entsprechende entspannte Grundstimmung hat, dann kann man auch mit unvorhergesehenen Dingen anders umgehen. Wenn man da schon angespannt ist, kann so etwas nicht gehen. Das ist die Wahrheit.

SPORT1: Haben Sie die Situation genossen oder haben sie gebetet, dass es bald vorbei ist?

Reif: Ich kommentiere lieber Fußball als den hirnrissigen und zum Scheitern verdammten Versuch, ein Tor aufzubauen, was nicht mehr aufzubauen ist. Der große Harry Valerien (legendärer Sportjournalist, Anm. d. Red.) hat mal gesagt, in solchen Situationen zeigt sich ein Reporter. Wenn beim Skifahren Nebel ist und nicht gefahren wird, dann bist du gefragt. Wenn gefahren wird, erzählt sich die Geschichte von selbst. Ganz so einfach ist es nicht, und ich war früher auch anderer Meinung, aber es ist was dran. Wenn du einen guten Tag hast, fallen dir auch in einer solchen Situation ein paar Dinge ein. Und offensichtlich ist es das, was die Menschen auch gerne hören.

SPORT1: Begreift man in so einem Moment, dass etwas Besonderes passiert und man Fernsehgeschichte schreibt?

Reif: Was ich empfunden habe, war alles andere als das. Wir machen hier offensichtlich Quatsch, das waren meine Gedanken. Dass etwas Ungewöhnliches passiert, war natürlich nicht allzu kompliziert nachzuvollziehen. Du willst Dreier- und Viererkette erklären und bist plötzlich auf einem ganz anderen Dampfer. Aber dass das Fernsehgeschichte war, hat sich mir in keiner Weise erschlossen. Offensichtlich war es aber etwas in der Art.

Die Konsequenz des Torfalls: Das ursprüngliche Gestänge war nicht mehr zu gebrauchen und musste abtransportiert werden
Die Konsequenz des Torfalls: Das ursprüngliche Gestänge war nicht mehr zu gebrauchen und musste abtransportiert werden

SPORT1: Wie wichtig war Günther Jauch an diesem Abend? Waren sie das perfekte Duo?

Reif: So etwas als Solo kann ich mir schwer vorstellen. Wenn das zwei machen, die sich gegenseitig befideln, dann ist es sicher leichter. Wenn es dann noch jemand ist, den man kennt und mit dem man über viele Jahre befreundet ist, dann ist Vertrauen da und keiner hat das Gefühl, der andere will einen in die Pfanne hauen. Alles dient dazu, es gemeinsam lustig zu machen.

SPORT1: Ist der Torfall noch ein Thema, wenn Sie sich treffen?

Reif: Wir haben uns neulich abends getroffen. Ich habe vergessen, ihn daran zu erinnern, dass wir unseren Jahrestag haben. Aber es ist nicht so schlimm, wie wenn man seinen Hochzeitstag vergisst (lacht).

SPORT1: Während ihrer Moderation waren die Einschaltquoten doppelt so hoch als später beim Spiel. Wie konnte sich so schnell verbreiten, dass da gerade etwas Großes passiert?

Reif: Viele Leute haben mir später erzählt, dass sie angerufen wurden. Ein Freund von mir war in der Staatskanzlei bei der Arbeit und hat das Spiel quasi als Hintergrundgeräusch laufen lassen. Irgendwann hat er registriert, was da los ist, hat alles hingelegt und sich das angeschaut. Und dann müssen die Menschen sich gegenseitig angerufen haben. Nach dem Motto: Wenn du was Verrücktes sehen willst, dann schalte mal RTL ein.

Tatsächlich ließ sich noch ein Ersatztor auftreiben, mit dem die Partie nach langer Verspätung doch noch über die Bühne bringen ließ
Tatsächlich ließ sich noch ein Ersatztor auftreiben, mit dem die Partie nach langer Verspätung doch noch über die Bühne bringen ließ

SPORT1: Wie lässt man am Ende so einen denkwürdigen Abend ausklingen?

Reif: Ich musste dann ja noch das Spiel kommentieren. Kollege Jauch hat nichts mehr gemacht. Der hat das genossen und fand, wir haben das ganz gut hingekriegt. Ich musste mich ja dann noch um mein Spiel kümmern. Ich war wirklich platt. 76 Minuten hat es gedauert, bis das Spiel dann endlich angepfiffen wurde. Danach noch eine große Feier loszutreten, dazu war ich einfach nicht mehr in der Lage. Ab ins Hotel und ins Bett, mehr ging nicht.

SPORT1: Was würden Sie sagen, wenn wir Sie nächstes Jahr wieder anrufen?

Reif: Es fällt mir mittlerweile wirklich nicht mehr schwer, darüber zu sprechen. Es gab eine Zeit, da konnte ich es nicht mehr hören. Mittlerweile denke ich, es wird auf meinem Grabstein stehen, aber es gibt Schlimmeres, was da stehen könnte.

Dieser Artikel erschien erstmals am 1. April 2018