Von Samstag auf Sonntag waren in Lyon die sorgenvollen Tage in Zeiten der Corona-Pandemie für eine Nacht vergessen.
Worauf Bayern bei Lyon achten muss
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Die Innenstadt glich einer Partymeile, das Rathaus wurde in das rote Licht der Pyrotechnik getaucht. Die Fans von Olympique Lyon feierten ausgelassen, schließlich war ihr Team sensationell ins Halbfinale der Champions League eingezogen. An Abstand halten war für die meisten nicht mehr zu denken.
Die erfolgreichen Zeiten von Olympique Lyon liegen weit zurück
Mit dem 3:1-Erfolg gegen Pep Guardiolas Manchester City hatte in Frankreich keiner gerechnet. Am Sonntagmorgen war das erste Ligaspiel von Lyon in der neuen Spielzeit auf den 23. August terminiert worden. An diesem Tag findet das Champions-League-Finale in Lissabon statt.
"Es gibt immer noch Raum für alle Träume der Fußballer und Fans von Lyon", titelte die Zeitung Le Progrès aus Lyon. "Zwei Heldentaten reihen sich aneinander", war bei Le Parisien zu lesen.
Vor dem Viertelfinale hatte sich wohl kaum ein die Fan einen Sieg gegen City erträumt, genauso wenig wie zuvor ein Weiterkommen im Achtelfinale gegen Juventus Turin. Schließlich sind die erfolgreichen Tage Lyons längst vorbei.
Anfang des 21. Jahrhunderts sah die Welt in Lyon noch anders aus. OL hatte sich in Frankreich zum Maß aller Dinge aufgeschwungen, von 2002 bis 2008 feierte der Klub sieben Meisterschaften in Folge.
Vor allem mit den brasilianischen Stars Juninho, Cacapa, Edmilson und Fred dominierte Olympique die Ligue 1, international blieben die Erfolge allerdings aus. Erst im Jahr 2010 wurde zum ersten Mal das Halbfinale der Königsklasse erreicht - als die große Zeit der Vereinsgeschichte eigentlich schon wieder in titellose Tristesse übergegangen war.
Lyon kann Revanche gegen Bayern nehmen
Damals scheiterte Lyon deutlich am FC Bayern. Nun, zehn Jahre später, bekommen die Franzosen ihre Chance auf eine Revanche (Champions League: Olympique Lyon - FC Bayern, Mittwoch ab 21 Uhr im LIVETICKER).
Auch wenn die Bayern bei dem - immer noch unglaublichen - 8:2-Sieg ihre Macht demonstrierten, dürften viele Fans von Lyon trotzdem von einem Einzug ins Finale träumen. Immerhin haben sie wieder eine Truppe, auf die sie stolz sind.
Das war in der jungen Vergangenheit nicht der Fall, im Dezember 2019 hatten sich Anhänger des Klubs nach der Champions-League-Partie gegen RB Leipzig sogar ein Handgemenge mit den Spielern geliefert. In den letzten Jahren kam es in Lyon immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Fans und Spielern, sowie Verantwortlichen des Klubs.
Viele der enthusiastischen Anhänger können sich mit dem Weg, den der Verein einschlägt, nicht mehr identifizieren.
Viel Leidenschaft und offensiver Fußball
Auch sportlich mussten die Fans zuletzt einige Enttäuschungen einstecken. Der Titel ist praktisch schon vor der Saison an Serienmeister Paris Saint-Germain vergeben, aber Lyon kann auch mit anderen Mannschaften in Frankreich kaum mehr mithalten.
In der Ligue 1 landete OL nur auf einem enttäuschenden siebten Rang, die Duelle mit Juventus und City zeigten aber, dass deutlich mehr in der Mannschaft steckt als graues Mittelmaß.
Mit einer emotionalen Herangehensweise und einem kämpferischen Spielstil entpuppten sie sich als unangenehmer Gegner. Hinzu kommen die großen Qualitäten in der Offensive.
"Das Wichtigste ist die Mannschaft", erklärte Moussa Dembélé, der im Viertelfinale mit einem Doppelpack zum Matchwinner avancierte: "Der Zusammenhalt bei uns ist sehr gut. Wir trainieren hart und jetzt sieht man die Ergebnisse."
OL-Trainer Garcia setzt auf schnelles Umschaltspiel
Trainer Rudi Garcia setzt auf einen offensiven Fußball, mit überfallartigem Umschaltspiel. Dabei profitiert OL von seinen blitzschnellen Offensivspielern. Diese versuchen sie mit langen Bällen oder Pässen in die Schnittstellen einzusetzen.
Der Franzose ist in seinem Heimatland umstritten, ihm haftet auch der Ruf an, dass er kein Trainer für die großen Spiele ist. Nun bewies er aber das Gegenteil.
"Die Spieler haben sein Spielsystem mit einer Dreierkette gut verstanden", meint David Fioux, Reporter bei L'Équipe, bei SPORT1: "Er hat wichtige Entscheidungen getroffen: Depay als Kapitän, Dembélé als Joker, Maxence Caqueret als Stammspieler.
Gegen City funktionierte sein Matchplan nahezu perfekt, die Frage ist, ob das auch gegen den FC Bayern der Fall sein wird.
FC Bayern ist gewarnt
Unterschätzen wollen die Münchner ihren Halbfinalgegner jedenfalls nicht. "Ich habe den Sieg von Lyon gesehen. Sie haben total verdient gewonnen", sagte Bayerns Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge der dpa.
"Sie haben zum zweiten Mal gezeigt, dass man diese Mannschaft auf keinen Fall unterschätzen darf. Sie spielen mit großer Hingabe und können mit ihren schnellen Stürmern dem Gegner Schmerzen bereiten", führte Rummenigge aus.
Der Spieler, auf den der deutsche Rekordmeister am meisten aufpassen muss, ist Memphis Depay. Der Niederländer ist mit 26 Jahren bereits Kapitän von OL. Er hätte die K.o.-Phase eigentlich wegen eines Kreuzbandrisses verpasst, nach der Coronapause wurde er für das Final-Turnier aber rechtzeitig fit.
Depay verfügt über eine überragende Technik, geniale Dribblings und einen eiskalten Abschluss. Der Stürmer hat in 137 Spielen 54 Tore für Lyon geschossen und 43 weitere Treffer vorbereitet. Immer wieder wurde er mit Wechseln zu europäischen Top-Klubs in Verbindung gebracht, die sich oftmals aber im letzten Moment zerschlugen.
Falls der Kapitän der Überraschungsmannschaft sein Team gegen den FC Bayern ins Finale schießen sollte, dann würde sich die Innenstadt Lyons wohl mehrere Tage im Ausnahmezustand befinden - und Memphis Depay würde sich bei den Fans unsterblich machen.
Raum für Träume gibt es in Lyon auf jeden Fall wieder.