Er ist gar nicht so lange her, der letzte große Triumph des neuen Klubs von Renato Sanches. Und doch wirkt er wie ein Ereignis aus fernen Zeiten.
Das erwartet Sanches in Lille
Im Jahr 2011, vor acht Jahren, wurde der OSC Lille Meister der Ligue 1 - kurz bevor Paris Saint-Germain den Investoren-Deal mit Katar abschloss. Während PSG durch die damit verbundenen Geldströme zum fast unangefochtenen Herrscher von Fußball-Frankreich wurde, erlebte Lille turbulente Jahre, die im vergangenen Jahr beinahe mit dem Sturz in die Zweitklassigkeit endeten.
Umso erstaunlicher, was dann geschah: Lille schloss die vergangene Saison als Tabellen-Zweiter ab, zog in die Champions League ein - und hofft nun unter anderem durch den Sanches-Deal darauf, den Aufschwung zu stabilisieren.
OSC Lille: Ein Klub mit großer Vergangenheit
Der Titelgewinn 2011 war für LOSC der Höhepunkt einer stetigen Entwicklung, seitdem der Klub aus der 230.000-Einwohnerstadt an der Grenze zu Belgien im Jahr 2000 wieder aus der Ligue 2 aufgestiegen war.
Lille war seitdem Stammgast in europäischen Wettbewerben, schlug große Namen wie Manchester United, den FC Liverpool und den AC Mailand. Unter Trainer Rudi Garcia krönte sich Lille dann zum nationalen Champion, zu seinen Meisterspielern zählten die angehenden Nationalverteidiger Adil Rami und Mathieu Debuchy, Star-Angreifer Gervinho und ein junges Sturmtalent namens Eden Hazard.
Nachdem Garcia 2013 zum AS Rom wechselte, hatten die Klubverantwortlichen ein weniger gutes Händchen bei der Trainerwahl. Zuletzt wurde Ende 2017 Marcelo "El Loco" Bielsa entlassen, in höchster Abstiegsnot auf dem vorletzten Tabellenplatz - was in einer Schlammschlacht und vor Gericht endete.
Ehemaliger F1-Boss zieht die Fäden
Erst kurz zuvor hatte sich der Klub hinter den Kulissen neu aufgestellt: Der spanisch-luxemburgische Geschäftsmann Gérard López – bekannt auch als ehemaliger Präsident des Lotus-Teams in der Formel 1 – übernahm als Präsident und Eigentümer. Als Sportdirektor heuerte er den exzellent beleumundeten Luis Campos an, vorher erfolgreiches Transfer-Mastermind beim AS Monaco.
Campos und Bielsas Nachfolger Christophe Galtier, der Lille durch seine kontinuierlich gute Arbeit als Trainer beim AS St-Étienne auffiel, rissen das Ruder herum. Und wie.
Nachdem Galtier - 52 Jahre alt und ehemaliger Ligue-1-Verteidiger – Lille erst am letzten Spieltag 2018 vor dem Abstieg rettete, wurden die "Doggen" zur Überraschungsmannschaft der darauffolgenden Spielzeit.
Bayern-Flirt Pépé als Erfolgsgarant
Garant des Erfolgs war vor allem der ivorische Rechtsaußen Nicolas Pépé, den Campos 2017 für 10 Millionen Euro aus Angers holte – und in diesem Sommer für 80 Millionen an den FC Arsenal weiterverkaufte.
Pépé schoss 2018/19 in 38 Liga-Spielen 22 Tore und wurde durch seine Fabel-Saison auch zum hoch gehandelten Kandidaten für die Nachfolge des zurückgetretenen Arjen Robben beim FC Bayern.
Stattdessen geht der bei Bayern nie glücklich gewordene Mittelfeldmann Sanches nun den umgekehrten Weg – und findet dort ein auch ohne Pépé immer noch sehr vielversprechend besetztes, junges Team vor.
Wie findet sich Sanches bei Lille zurecht?
Pépés Landsmann und Flügelpartner Jonathan Bamba ist Lille treu geblieben, das frühere Wolfsburger Sturmtalent Victor Osimhen - für 12 Millionen vom RSC Charleroi aus Belgien gekommen - hat sich mit einem Doppelpack zum Ligastart gegen Nantes auch gleich prächtig eingeführt. Als Verheißungen gelten unter anderem auch der neue Offensiv-Antreiber Yusuf Yazici und Rechtsverteidiger Zeki Celik, zwei Jung-Nationalspieler aus der Türkei.
Kann Sanches sich in das Kollektiv einfügen? Die oft geäußerte Sorge, dass er sich schon wieder in einem neuen Land und mit einer neuen Sprache zurechtfinden muss, relativiert sich dadurch, dass es bei Lille eine starke portugiesischsprachige Fraktion mit drei Teamkollegen aus Portugal und vier Brasilianern gibt.
Der ebenfalls aus Portugal stammende Sportchef Campos ist zudem nicht für wahllose Transfers bekannt, er wird einen Plan haben. Sanches hob schon bei seiner Vorstellung hervor, dass der Klub ihn "wirklich wollte".