Präzision schlüpft manchmal in ein banales Kleid. "Er ist einfach ein Fußballer", sagt Brendan Rodgers über Emre Can. Und definiert damit die Sache im Grunde schon erschöpfend.
Prinz Emre winkt Gerrards Thron
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Der Trainer des FC Liverpool kann Can nämlich auf jeder Position von hinten rechts bis vorne links aufstellen.
Can schon mit 15 klasse
Vor der Saison kam er aus Leverkusen in den Nordwesten Englands, "der schwierigere Weg", wie Steffen Freund im Gespräch mit SPORT1 feststellt. Freund trainierte Can bereits in der U17-Nationalmannschaft, als dieser bei der WM 2011 zum ersten Mal international auf sich aufmerksam machte.
Trotz großer Konkurrenz und anfänglicher Probleme hat sich Can durchgesetzt in Liverpool und wird auch beim Europa-League-Spiel gegen Besiktas Istanbul am Donnerstag (ab 18.45 Uhr im LIVETICKER bei SPORT1) auf dem Platz stehen. "Schon mit 15 hat er sehr viel mitgebracht, war damals schon beidfüßig, kopfballstark und körperlich robust", erzählt Freund, heute internationaler technischer Koordinator von Tottenham Hotspur.
Zentral am stärksten
In der Jugend war er stets gesetzt auf der Acht, der Position in der Mitte des Spielfeldes, die er selbst als seine stärkste ansieht. Und die langfristig auch auf höchstem Niveau seine Heimat werden soll.
Weil sich aber eben dort die Weltklassespieler stapelten, verließ er 2013 den FC Bayern, erst auf Leihbasis nach Leverkusen, dann endgültig in Richtung England. Jupp Heynckes erdachte schon 2011 einen Plan B für den gebürtigen Frankfurter und stellte ihn in einem Test in die Innenverteidigung: "Vielleicht liegt seine Zukunft auch auf dieser Position, er will es nur nicht wahrhaben."
In Liverpool wieder hinten
Anders als etwa David Alaba sah Can keine Chance in München, sich über den Umweg Abwehr für seine wahre Bestimmung zu qualifizieren. Er stellte sich der Herausforderung und spielt aktuell in Liverpool – in der Abwehr.
Mit Steven Gerrard, Jordan Henderson, Lucas und Joe Allen ist hier die Rivalität im Mittelfeld ebenfalls happig. Rodgers bringt Can daher auf der rechten Seite einer Dreierkette.
Gerrards Lücke füllen
"Es ist aber auch schön zu sehen, dass er in den letzten Spielen sofort ins Mittelfeld gerutscht ist, wenn Gerrard ausgewechselt wurde", merkt Freund an. Der Plan in Liverpool lautet: Parke Can so lange woanders, bis die Legende den Verein im Sommer verlässt. Mit 21 Jahren soll Can dann die zentrale Rolle übernehmen, wenn dort zum ersten Mal seit 1998 kein Gerrard mehr spielt.
Rodgers beschreibt es so: "Er kann auf jeder der drei Mittelfeldpositionen spielen. Er hat für sein junges Alter schon viel Erfahrung. Er bevorzugt eine Rolle weiter hinten, aus der heraus er das Spiel kontrollieren kann. Aber er hat auch die Kraft und die Schnelligkeit, in die Spitze zu laufen." Schließen Liverpool-Fans bei diesen Worten die Augen, sehen sie ihren Stevie G.
Stärken auch in der Abwehr
Seine Aufgaben in der Abwehr sollen Can dabei helfen, sich langsam heranzutasten. "Dort hat man manchmal sogar noch mehr Ballkontakte und kann oft Überzahl im Mittelfeld schaffen. Weiterhin kann er dort seine defensive Stärke und Robustheit sehr gut einsetzen", erklärt Freund.
Mit der Aussicht auf die Gerrard-Nachfolge 2015 hat Rodgers Can bereits verpflichtet, nennt ihn seinen "Rolls-Royce". Diese Saison ist der Vorbereitungskurs. Prinz Emre I. wird in Liverpools Hofstaat eingewiesen, bevor er die Herrschaft übernimmt.
Wegen einer Knöchelverletzung fehlte er in der Saisonvorbereitung und auch zwischendurch für mehrere Spiele, machte zuletzt aber 16 Partien am Stück in Liga, FA Cup, Ligapokal und Europa League. Die Fans sollen bereits an einem Lied über ihn arbeiten - in England fast die größte Bestätigung für einen Spieler.
Co-Trainer Colin Pascoe bezeichnete ihn bereits als "Anführer", viele sehen in ihm den zukünftigen Kapitän. Nach einigen Windungen geht jetzt also alles recht schnell bei Can. Auch in der Nationalmannschaft? "Das wäre aus meiner Sicht noch zu früh. Er findet gerade erst seinen Stammplatz", meint Freund.
Für Türkei spielberechtigt
Noch könnte er sich für die Türkei entscheiden, erst ein Einsatz bei Bundestrainer Joachim Löw würde diese Möglichkeit ausschließen.
Setzt er sich wirklich endgültig durch in Liverpool, hat Löw keine andere Chance mehr, als Can zu nominieren. Dort könnte dann der nächste Umweg auf ihn warten: Mit Bastian Schweinsteiger, Sami Khedira und Toni Kroos bevölkern auch hier Ausnahmespieler das Zentrum. Es könnte zur nächsten Vereinigung kommen mit der Abwehr. Aber das ist schließlich kein Problem für Emre Can, den Fußballer.