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Boxen: Tod von Patrick Day - Ringarzt über Ablauf und Sicherheit für Boxer

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Boxen: Tod von Patrick Day - Ringarzt über Ablauf und Sicherheit für Boxer

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Nach Drama: So wird Boxen sicherer

Der Tod von Patrick Day erschüttert die Boxwelt. Ringarzt Dr. Stephan Bock erklärt bei SPORT1, wie das Boxen sicherer werden kann und spricht über gefährliche Kämpfe.
Der Junior-Mittelgewichtler Patrick Day ist am Mittwoch im Beisein seiner Familie und engen Freunde im Memorial Hospital in Chicago an seinen Kampfverletzungen gestorben.
von Markus Bosch

Der Tod von Patrick Day erschüttert aktuell die Boxwelt.

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Nach seiner K.o.-Niederlage gegen Charles Cornwell musste Day notoperiert werden, bevor er am Mittwoch nach vier Tagen im Koma seinen Kopfverletzungen erlag. Hätte das tödliche Unglück verhindert werden können? 

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Dr. Stephan Bock vom Bund Deutscher Berufsboxer spricht im SPORT1-Interview über die Einhaltung des Reglements beim Day-Kampf und erklärt, warum der Ringarzt nicht eingegriffen hat.

Für die Zukunft plant der BDB laut Bock zahlreiche Maßnahmen - doch es gibt große Unterschiede zwischen den einzelnen Verbänden. Der Ringarzt, der sogar bei einem Klitschko-Kampf dabei war, erklärt, warum dies so ist und spricht weitere Probleme an.

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SPORT1: Herr Dr. Bock, was sind aus Ihrer Sicht beim Kampf von Patrick Day, der später verstorben ist, erkennbare Fehler gewesen?

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Dr. Stephan Bock: Das ist schwer zu sagen, wenn man nicht unmittelbar dabei war. Aber man hätte den Kampf aus gesundheitlichen Gründen nach dem ersten Niederschlag in der achten Runde abbrechen müssen. Stattdessen hat man weiterlaufen lassen. Zwar stand Day danach wieder, aber man hätte das beenden müssen. Wenn Kämpfe eindeutig sind, macht es nach einem Niederschlag nur wenig Sinn, sie weiterlaufen zu lassen.

SPORT1: Wie sieht das normale Prozedere während eines Kampfes aus und wie sind die Aufgaben zwischen Ringrichter und Ringarzt verteilt?

Bock: Der Ringrichter ist die höchste Instanz und entscheidet, ob der Kampf zu Ende ist oder nicht. Der Ringarzt hat leider überhaupt keinen Einfluss bei dieser Entscheidung. Wenn sich der Ringrichter nicht sicher ist, kann er den Arzt hinzuziehen. Das muss aber von ihm ausgehen. Als Arzt kann ich nicht in den Ring, wenn ich sehe, dass es besser wäre, den Kampf abzubrechen. Ich beobachte das Geschehen in der Ringecke.

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"Vom Reglement her war überhaupt kein Fehler"

SPORT1: Lief das bei Days Kampf korrekt ab?

Bock: Ja, leider zum Nachteil des Boxers. Vom Reglement her war es überhaupt kein Fehler.

SPORT1: Was sind die Problematiken dieser Regelung?

Bock: Wenn Boxer schwer K.o. gehen und der Ringrichter noch zählt, darf ich aufgrund des Reglements noch nicht in den Ring. Da fehlt oft die Empathie des Ringrichters für die Boxer. Stattdessen könnte man direkt den Kampf abbrechen, dann könnte der Arzt die Arbeit direkt aufnehmen.

SPORT1: Gab es einen Kampf, bei dem Sie selbst von dieser Regelung betroffen waren?

Bock: Der Kampf zwischen Vitali Klitschko und Shannon Briggs im Jahr 2010 war so ein Fall. Klitschko hat seinem Gegner zahlreiche harte Schläge verpasst. Ich war bereits während des Kampfes sehr sauer auf den Ringrichter, weil ich wusste, das kann in die Hose gehen. In der zehnten Runde bekam Briggs dann noch einen harten Schlag auf den Kopf und wackelte richtig. Zum Glück schmerzten Klitschko nach seinen ganzen Schlägen die Fäuste, sodass er nicht mehr in dem Tempo weitermachen konnte. Aber der Ringrichter hat mich in den zwölf Runden nicht ein Mal gefragt. Ich war anschließend sogar auf der Pressekonferenz.

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SPORT1: Was müsste sich im Reglement aus Ihrer Sicht ändern?

Bock: Der Arzt müsste mehr Einfluss erhalten. Gerade in Kämpfen, in denen ein Boxer derart überlegen ist, dass der andere nur einsteckt. Momentan können wir nur, wenn wir gefragt werden, den Abbruch empfehlen. Der Ringrichter muss dann über den Abbruch entscheiden. Zwar folgen sie in 99,9 Prozent unserer Empfehlung - aber zum Beispiel bei Arthur Abrahams Kampf, als er den doppelten Kieferbruch hatte, ließ der Ringrichter weiterlaufen. Er wurde anschließend lebenslang gesperrt.

Darum wurde der Kopfschutz abgeschafft

SPORT1: Würde auch ein Kopfschutz, wie er bei den Amateuren lange vorgeschrieben war, helfen?

Bock: Natürlich bringt ein Kopfschutz etwas, aber er ist bei den Amateuren auch schon wieder weggenommen worden, weil der Boxstil sich verändert hat. Man hat festgestellt, dass Boxer, die als Amateure mit Schutz geboxt haben, später ohne Schutz, immer mit den Köpfen zusammengestoßen sind, weil sich der Stil so verändert hat. Dabei erlitten sie immer schwere Cuts oder Frakturen im Gesicht. Der Boxstil hat sich zum Negativen verändert.

SPORT1: Was wären weitere Punkte, um die Sicherheit im Boxsport zu gewährleisten?

Bock: Die Boxer müssen jedes Jahr untersucht werden, wie es bei uns im BDB bereits vorgeschrieben ist. Dabei ist auch ein MRT vom Kopf wichtig. Wenn sie schwer K.o. gehen, beispielsweise mit Bewusstseinsverlust, benötigen Sie ebenfalls ein MRT, um zu untersuchen, ob es Hirnverletzungen gibt oder nicht. Außerdem sprechen wir Schutzsperren aus, dass die Boxer gesperrt werden. Wird ein Boxer für ein halbes Jahr gesperrt, muss er beim BDB noch einmal eine neurologische Untersuchung absolvieren, bevor er wieder in den Ring darf.

SPORT1: Gibt es Probleme mit der Einhaltung der Schutzsperren?

Bock: Die Sperren gelten weltweit, aber werden umgangen. Das fängt schon direkt nach dem Kampf an. Wenn ich eine Sperre ausspreche, kommen oft das Management und der Boxer selbst und stellen den Sinn in Frage. Sie wollen unbedingt die Freigabe haben, weil schon wenige Wochen später der nächste Kampf ansteht. Dabei wird auch getrickst, beispielsweise durch einen Wechsel des Landesverbandes, um wieder in den Ring zu kommen. Das ist total gefährlich.

SPORT1: Warum gefährlich?

Bock: Viele Verbände haben nicht die deutschen Standards mit jährlicher MRT-Untersuchung und neurologischer Untersuchung nach sechs Monaten Sperre. Einige Verbände sagen, dass das nicht notwendig ist, was eine große Gefahr ist. So könnten die Boxer zum Beispiel mit einem Aneurysma (lebensgefährliche Gefäßerweiterung, Anm. d. Red.) in den Kampf gehen, das dann bei einem Schlag auf den Kopf zu bluten anfängt.

BDB erarbeitet "Concussion Protocoll"

SPORT1: Was unternimmt der Boxsport, um sicherer zu werden?

Bock: In der kommenden Woche ist eine große Konferenz mit allen Weltverbänden, bei der über die Sicherheit diskutiert wird. Denn ein solcher Fall, wie aktuell bei Patrick Day, diskreditiert den Boxsport.

SPORT1: Kann man sich sogar etwas von der NFL abschauen, die als Vorreiter im Umgang mit Kopfverletzungen gilt?

Bock: Wir erarbeiten aktuell eine Richtlinie, die für alle Boxer beim BDB gilt. In Anlehnung an das Concussion Protocol der NFL werden dabei auch Tests erarbeitet, die die Sportler jedes Jahr absolvieren müssen. Dabei handelt es sich beispielsweise um Reaktionstests oder Tests des Kurzzeitgedächtnisses, bei denen am Computer schnell die Fortschritte oder die Rückschritte erkannt werden.

SPORT1: Warum kann diese Regelung nicht direkt weltweit eingeführt werden?

Bock: Das Boxen ist ein sehr heterogener Sport. Wir haben keine Verträge mit den einzelnen Managern oder Boxställen.