Lewis Hamilton kennt sie. Die Extremsituationen. Wenn wenige Sekunden, vielleicht sogar Zehntel, Hundertstel über den Lohn der Schinderei einer ganzen Saison entscheiden.
Rosbergs letzte Hoffnung heißt Bottas
2007 verlor er den Weltmeistertitel auf den letzten Kilometern. 2008 holt er sich die WM dann durch ein Überholmanöver in der letzten Runde.
Wenn der 29 Jahre alte Brite mitmischt, geht's nicht ohne Drama, Tränen, Nervenkitzel. Und so wird es auch diesmal sein, beim diesjährigen Showdown, dem Großen Preis von Abu Dhabi am Sonntag (ab 13.30 Uhr im LIVE-TICKER).
Die Konstellation fürs Rennen könnte kaum spannender sein. Nico Rosberg, Teamkollege bei Mercedes und 17 Punkte im Hintertreffen (BERICHT: Rosberg holt die Pole), startet von der Pole - vor WM-Leader Hamilton (DATENCENTER: Ergebnisse des Qualifyings).
Wer Weltmeister wird, könnte letzten Endes aber der Drittplatzierte entscheiden: Valtteri Bottas. Die wichtigste Frage lautet: Was passiert in der ersten Kurve?
Rosberg schlägt zurück
Eigentlich war schon alles hergerichtet für die großen Hamilton-Festspiele.
Im Training war er am schnellsten unterwegs (News). Doch Rosberg schlug zurück. Derart, wie es vielleicht niemand dem 29-jährigen Deutschen zugetraut hatte. Auch nicht sein wohl größter Kritiker.
"Der Nico hat hier Runden hingefetzt, sowas hab ich noch nie gesehen. Was er hier geleistet hat, ist unglaublich. Solch' eine Runde auf Abruf", sagte der Aufsichtsratschef des Mercedesteams, Niki Lauda, im Interview bei "RTL". "Der geht morgen gestärkt ins Rennen. Besser kann er's nicht machen. Er weiß genau, dass er mit dieser Runde alle Voraussetzungen geschaffen hat."
Angebot an Bottas
Gemeint war die schnellste Zeit am Samstag. Rosberg benötigte 1:40,480 Minuten. Eine einzige Runde, die dem Wiesbadener doch noch die WM bringt? Der Rückstand im Klassement ist beträchtlich (DATENCENTER: WM-Stand Fahrer). Aber in Abu Dhabi gibt's 50 Punkte für den Sieg.
Rosbergs Rechnung ist einfach: Er muss gewinnen, Hamilton Dritter werden oder schlechter. Und genau da kommt Bottas ins Spiel. Der coole, abgebrühte Skandinavier.
"Ich habe dem Valtteri schon angeboten, ihm heute einen Wellness-Abend zu bezahlen, damit er beim Rennen in Topform ist und eine Wahnsinnsperformance rausholt, denn ich brauche schon noch einen Williams zwischen mir und meinem Teamkollegen", meinte Rosberg auf der Pressekonferenz nach dem Qualifying.
Nicht mehr eingeschüchtert
Seine Körpersprache sprach Bände. Er saß aufrecht, lächelte viel, redete selbstbewusst.
Nachdem er Hamilton beim Belgien-GP in Spa abgeschossen hatte und anschließend öffentlich Rüffel vom eigenen Rennstall kassierte, kam er wochenlang eingeschüchtert rüber.
Doch das alles ist vergessen. Zumindest tastete er sich vor den finalen 55 Runden dezent an psychologische Kriegsführung heran.
"Ich brauche noch etwas die Hilfe von Lewis (Hamilton, Anmerk. d. Red.). Vielleicht hat er ein bisschen Nerven gezeigt, das wäre schön, und vielleicht zieht sich das ja durch bis morgen", sagte er und schilderte, dass er auf Fehler des Teamkollegen hoffe.
Lauda stachelt Hamilton an
So, wie er sie sich selbst zum Beispiel beim Italien-GP in Monza geleistet hatte, als er geradeaus in eine Schikane statt um die Kurve gefahren war.
Der Druck entlädt sich durch die neue Ausgangslage nun auf Hamilton. Lauda, so wirkt es, versucht seinen Schützling bis zum Maximum anzustacheln.
"Der Nico geht mit seiner Frau Vivien beruhigt ins Bett. Lewis aber muss sich fragen, was hier passiert ist. Er hat kleine Fehler gemacht, die ihm eigentlich nicht passieren dürfen", meinte der Österreicher. "Er muss abrufen und so wie der Nico die schnellste Runde hinknallen können. Aber er hat es nicht hingebracht. Der ärgert sich jetzt die ganze Nacht."
Lauda warnte jedoch davor, den Ärger mit ins Rennen zu schleppen. "Das ist ganz verkehrt."
Tückische Kurve
Denn Hamilton ist für sein risikoreiches, gar aggressives Fahrverhalten bekannt. Das kann gefährlich werden. Vor allem in der ersten Kurve. Und die gilt im Yas Marina Circuit als besonders tückisch.
"In der ersten Kurve wird's wie immer sein: Ich werde versuchen, vor ihm reinzufahren und dann vorne zu bleiben", meinte Rosberg in Anspielung auf erwartete Attacken.
Es wird alles andere als einfach. Die Kurve macht nach einer langen Geraden gemein zu. Abflüge sind nicht auszuschließen.
Es ist das Horrorszenario der beiden Kontrahenten. Dabei bietet sich eben jenem Bottas mit seinem Williams in genau dieser Kurve die große Chance, die Mercedespiloten aufzumischen.
"Es geht um die Wurst"
"Wenn etwas passieren sollte und wir die Pace haben, gibt es keinen Zweifel daran, dass wir versuchen werden, nach vorne zu kommen. Wenn es die Möglichkeit gibt, Positionen gutzumachen, dann werde ich die nutzen", sagte er.
Der 25-Jährige gefällt sich offenbar in seiner Rolle als potentieller Spielverderber. "Man muss sich daran erinnern, dass das Rennen nicht in der ersten Kurve gewonnen wird", meint er weiter.
Es klang nach einer Kampfansage. Die kennt Hamilton zur Genüge. Extremsituationen der Vergangenheit haben ihn gestählt. Und so lautete sein knappes Statement zum Showdown: "Sonntag geht's um die Wurst." Mit Hamilton, mit Rosberg - und mit Bottas.