Seit Dienstag ist die Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio beschlossene Sache. Das Mega-Event soll wegen der Coronakrise nicht wie geplant dieses Jahr, sondern spätestens im Sommer 2021 ausgetragen werden.
Heidemann: "Ist natürlich tragisch"
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Die Verlegung bringt zahlreiche Komplikationen mit sich. Ältere Sportler, die ihre Karriere nach den Spielen 2020 beenden wollten, befinden sich im Dilemma. Finanzielle Einbußen spielen ebenso eine Rolle wie der Umgang mit Qualifikationskriterien. Zudem droht ein Terminchaos.
Eine, die die aktuelle Situation sowohl aus Athleten- als auch aus Funktionärssicht nachvollziehen kann, ist Britta Heidemann. Die deutsche Fecht-Olympiasiegerin von 2008 ist Mitglied der Athletenkommission des IOC.
Im SPORT1-Interview analysiert die 37-Jährige die durch die Verschiebung entstandene Problematik und nennt Lösungsansätze.
SPORT1: Das IOC hat lange gezögert, die Spiele zu verschieben. Hätte man aus IOC-Sicht nicht schon vorher ein Zeichen setzen müssen, dass der Termin von Olympia 2020 in der Coronakrise nicht mehr zu halten ist – und nicht erst so lange wartet, bis einzelne Athleten und ganze Länder absagen?
Britta Heidemann: Die Corona-Entwicklung war extrem dynamisch, selbst vor zwei Wochen sah unsere Welt noch ganz anders aus. Dass sich das IOC bei seiner täglichen Beobachtung der aktuellen Weltgesundheitslage aber natürlich nicht erst seit Sonntag intensiv mit einer Verschiebung befasst, kann man daran ablesen, dass jetzt bereits ein neuer Zeitrahmen, nämlich bis zum Ende des Sommers 2021, feststeht. Das passiert ja nicht in zwei Tagen. Eine klare Kommunikation dieser Tatsache hätte dabei sicherlich die Aufregung aus der Diskussion der letzten Tage genommen. Ehrlich gesagt bin ich jetzt einfach nur froh, dass ein neuer Termin gefunden wurde und es nicht zu einer kompletten Absage kam. Aus Sportlersicht wäre das das schlechteste Szenario gewesen.
Heidemann: Terminplanung "eine Mammutaufgabe"
SPORT1: Die finanzielle Seite ist sicher ein großes Problem – aber auch die Terminkollision mit einigen Verbände (wie die IAAF), die 2021 Weltmeisterschaften angesetzt haben. Welche Probleme kommen jetzt auf die Organisatoren zu?
Heidemann: Organisation und Umsetzung Olympischer Spiele sind unglaublich komplex. Sie zu verschieben, ist eine beispiellose Herausforderung. Da hängen global so viele Stakeholder mit dran, die alle koordiniert werden müssen: Die bestehenden Wettkampfkalender der einzelnen Verbände, Mietverträge für die Infrastuktur, die Abstimmung mit den Fernsehanstalten, die ja auch bereits ihre Jahresplanung haben oder die Koordination von Volunteers, um nur einige zu nennen. Es müssen einfach tausende neue Absprachen und Reglungen getroffen werden. Das ist eine Mammutaufgabe.
SPORT1: Glauben Sie, dass die Mehrheit der deutschen Athleten die Verschiebung unter diesen Umständen gutheißt? Wird es jetzt sogar zu Karriereenden kommen? Und wie könnten die Athleten kompensiert werden, wenn ein Großteil ihrer Einnahmen für 2020 wegbricht?
Heidemann: Klar. Die Gesundheitslage lässt derzeit keine andere Entscheidung zu. Durch die sich zuspitzende Corona-Entwicklung und die damit verbundenen Einschränkungen haben für viele Sportler zudem weltweit immer schwierigere Trainingsbedingungen gehabt und sich Sorgen um die noch ausstehenden Qualifikationswettkämpfe gemacht. Die Erleichterung wird groß sein, dass jetzt erst einmal der Druck weg ist. Gleichzeitig werden sich die Sportler nun noch einmal ganz neu auf die Spiele vorbereiten müssen, und sicherlich werden einige Athleten, die jetzt vielleicht auf dem Höhepunkt ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit stehen, nächstes Jahr ihren Zenit überschritten haben. Das ist natürlich tragisch. Den Athleten der Sportfördergruppen steht zum Glück kein Gehaltsausfall an, und den anderen Kaderathleten wurde durch die Sporthilfe ihre Weiterbezahlung versichert. Wie sich die Verschiebung auf Sponsorenverträge auswirken könnte, ist momentan einfach noch überhaupt nicht abschätzbar.