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Olympia 2020 vor Absage - Wie Japan mit dem Coronavirus umgeht

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Olympia 2020 vor Absage - Wie Japan mit dem Coronavirus umgeht

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Wie naiv Japan mit Corona umgeht

Japan will unbedingt im Sommer die Olympischen Spiele ausrichten. Doch der Kampf gegen eine mögliche Ausbreitung des Coronavirus ist inkonsequent.
Prof. Dr. med. Jürgen Scharhag wollte das U21-DFB-Team im Sommer nach Tokio zu den olympischen Spielen begleiten. Was er davon hält, berichtet er im SPORT1 Interview.
Nico Seepe
Nico Seepe
von Marcel Grzanna

Für Misaki Morimoto geht in der kommenden Woche die Arbeit wieder los. Das Yoga-Studio im Tokioter Stadtteil Minato, in dem sie arbeitet, hatte während der vergangenen Wochen vorsichtshalber die Pforten geschlossen, auf Anraten der Regierung. Pflicht war es nicht.

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"Wir werden bei jedem Kunden erst die Temperatur messen und regelmäßig die Türklinken desinfizieren. Die Yogamatten müssen einen Mindestabstand von einem Meter haben, und mehr als zehn Leute dürfen nicht gleichzeitig in einen Raum", sagt Morimoto im Gespräch mit SPORT1.

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Auch die japanischen Schulen sollen Anfang April nach einem Monat Unterrichtsausfall wieder öffnen. Zumindest dort, wo das Coronavirus den offiziellen Zahlen zufolge nicht sonderlich oder bislang gar nicht verbreitet zu sein scheint. "Warum auch nicht", sagt Morimoto, selbst Mutter von zwei Kindern. "Das Virus schadet den Kindern nicht so sehr wie den Älteren. Ich sehe keinen Sinn darin, sie weiter von der Schule fernzuhalten."

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Morimotos Aussagen fallen vor allem auf die Informationspolitik der japanischen Behörden zurück. Die Regierung scheint grenzenlos optimistisch, dass ein rasender Corona-Ausbruch in Japan jetzt nicht mehr droht - nach vier Wochen Teilschließung des öffentlichen Lebens.

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Eigentlich will Tokio im Juli unbedingt die Olympischen Spiele ausrichten. Auch, weil viele Milliarden Euro an der Einhaltung des Termins hängen. Vier Monate vor der angedachten Eröffnungsfeier scheint das Gastgeberland weitgehend von einem flächendeckenden Ausbruch der weltweit grassierenden Lungenkrankheit Covid-19.

Doch längst machen sich Zweifel breit, dass die Angaben zu den offiziell Infizierten auch tatsächlich der Realität entsprechen. 

Japan mit geringster Corona-Testquote

Japan gehört zu den Ländern mit der geringsten Corona-Testquote pro 100.000 Einwohner. Das Gesundheitsministerium sieht sich auf Nachfrage örtlicher Journalisten nicht in der Lage, aktuelle Zahlen zu möglichen Todesopfern in Spezialkliniken für Lungenkrankheiten zu veröffentlichen. Wer in diesen Tagen an einer Lungenkrankheit in einer dieser Kliniken stirbt, aber nicht auf Corona getestet wurde, den nimmt die Statistik der Covid-19-Opfer auch nicht auf.

Dass die Spiele, wie geplant, am 24. Juli in Tokio eröffnet werden, glauben inzwischen immer weniger Japaner. Nicht einmal Premierminister Shinzo Abe will mehr eisern an dem Termin festhalten. Langsam sickert den Gastgebern ins Bewusstsein, dass die Kraft von Corona auch die Standfestigkeit der olympischen Ringe ins Wanken bringen kann.

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Japans stellvertretender Premierminister Taro Aso gestand vergangene Woche das Dilemma ein, in dem sich die Regierung befindet. "Wie es der Premierminister sagte, ist es wünschenswert, die Olympischen Spiele in einem sicheren und fröhlichen Umfeld auszurichten. Aber das ist nichts, was Japan allein entscheiden kann." Das Internationale Olympische Komitee hat ein gehöriges Wort mitzusprechen.

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Deswegen lassen die Verantwortlichen ein kleines Zeitfenster geöffnet. Erst in vier Wochen soll eine endgültige Entscheidung getroffen werden. Es ist der Funke Hoffnung, der langsam, aber sicher verglüht.

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Die Angst vor den wirtschaftlichen Konsequenzen ist immens. "Unsere größte Sorge sind die Kosten für eine Verlegung", sagte Yoshiro Mori, Chef des Organisationskomitees. Tokio hat bereits bis zu 40 Milliarden Euro investiert, um die Stadt olympiatauglich zu machen. Große japanische Unternehmen haben zusammen rund drei Milliarden Euro investiert, um dabei zu sein als Unterstützer. Es ist die größte Summe, die ein lokales Organisationskomitee jemals in der eigenen Wirtschaft eingesammelt hat.

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Umso merkwürdiger ist, dass die japanische Regierung nicht alle Hebel in Bewegung setzt, um die termingerechte Ausrichtung des Großereignisses noch zu retten. Die Bilder vom vergangenen Wochenende aus Miyagi beispielsweise haben viele Japaner mit Unverständnis aufgenommen. Stundenlang hatten Fototouristen am Samstag dicht an dicht gedrängt in einer Schlange ausgeharrt, um das Olympische Feuer kurz nach seiner Ankunft auf japanischem Boden zu sehen und bestenfalls ein Foto davon zu machen.

Die Veranstalter hatten mit 10.000 Leuten gerechnet. Sie zählten um die 50.000.

Menschenmassen in Tokio weiter vorhanden

"So viele Menschen auf einem Haufen. Und die Regierung schaut dabei zu. Da muss doch jeder außerhalb Japans das Gefühl bekommen, wir seien hier völlig verantwortungslos", sagt Chikage Nose, eine Frau aus Tokio Anfang 40. Sie vermisst, wie viele ihrer Landsleute, eine klare Linie der japanischen Regierung im Umgang mit der Bedrohung durch das Coronavirus.

Erst vor wenigen Tagen verschärften die Behörden die Einreisebestimmungen für Besucher aus China, Südkorea oder Italien. Viele Firmen haben ihren Arbeitnehmern zwar das Homeoffice oder Gleitzeiten angeboten, um das öffentliche Nahverkehrssystem zu entlasten. Doch immer noch müssen jeden Morgen unzählige Pendler zeitgleich mit der U-Bahn zur Arbeit fahren. Manche posten Bilder im Internet von großen Menschenmassen, die sich in Tokio durch die Rush Hour drängeln.

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In Japan will wirklich niemand verantwortlich gemacht werden

Es gibt eine Hotline für jene, die glauben, sie hätten sich mit dem Coronavirus angesteckt. Betroffene aber klagen, die Leitungen seien völlig überlastet, es dauere Stunden, bis man dort jemanden erreiche. Wer durchkommt, erhält den Tipp, ins Krankenhaus zu gehen, erzählen sie. Wer dann nicht nachweisen kann, mit einem Infizierten in Kontakt gewesen zu sein, hat schlechte Aussichten auf einen Test. Auch wer nicht mindestens eine erhöhte Körpertemperatur aufweist, muss gehen. 37,5 Grad sind das Minimum, um getestet zu werden.

Hinzu kommt ein kulturelles Problem, wie Rochelle Kopp erklärt, eine interkulturelle Beraterin mit Sitz in Fukuoka und Kalifornien. Es sei nicht unüblich, dass Erkrankte lieber keine Diagnose wollen, weil sie fürchteten, von anderen Vorwürfe zu bekommen, dass sie sich selbst nicht ausreichend geschützt hätten und nun ihre Mitbürger gefährdeten.

Kopp selbst wurde kürzlich von einem japanischen Seminarteilnehmer kritisiert, weil sie trotz Erkältung ihrer Arbeit nachging. "Ähnlich könnte es mit Corona sein", glaubt sie. "Es ist deine Schuld, dass du im Ausland warst und keine Maske getragen hast, und du hättest häufiger deine Hände waschen sollen."

Für die Verlegung der Olympischen Spiele will in Japan nun wirklich niemand verantwortlich gemacht werden. Viele Japaner haben das Gefühl, das gelte auch für ihre Regierung.

Marcel Grzanna ist Journalist und Autor. Grzanna (marcelgrzanna@aol.com) lebte neun Jahre in China und war als Korrespondent für Ostasien aktiv.Am 21. April erscheint sein Buch "Eine Gesellschaft in Unfreiheit" im Goldmann-Verlag.