Fast 16 Jahre ist es her, dass Sven Hannawald mit seinem historischen Vierfach-Triumph bei der Vierschanzentournee (alle Springen ab Samstag im LIVETICKER) die Skisprung-Welt aus den Angeln hob.
Hannawald: Grand Slam war mir egal
© SPORT1-Grafik: Imago/Getty Images/Philipp Heinemann
Nie zuvor hatte ein Springer den Grand Slam mit Siegen in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen geschafft.
Noch immer ist der heutige Eurosport-Experte der letzte deutsche Gesamtsieger bei der Tournee - dank des Gesamtweltcup-Führenden Richard Freitag aber stehen die Chancen wohl so gut wie nie, diese schwarze Serie endlich zu beenden.
Im SPORT1-Interview spricht Hannawald über Freitags Chancen, den Mythos Vierschanzentournee und erklärt, warum sein Vierfachtriumph so schwer zu wiederholen ist.
SPORT1: Herr Hannawald, was spricht für den ersten deutschen Tourneesieg seit 16 Jahren?
Sven Hannawald: Es ist einfach an der Zeit. Man sieht, dass über die Jahre alle großen Skisprung-Nationen wie Polen, Österreich oder Norwegen Tourneesieger gestellt haben - nur die Deutschen nicht.
SPORT1: Richard Freitag ist in bestechender Form. Was kann ihn überhaupt stoppen?
Hannawald: Es kommt einzig und allein darauf an, wie er mit allem umgeht. Wenn er weiter so locker bleibt, dann läuft es. Wenn er aber zu viel will, dann ist immer ein Stück Gewalt dabei - und das funktioniert im Skispringen nicht. Aber ganz klar: Richard ist die Nummer eins, die gejagt wird in diesem Jahr.
SPORT1: Würden Sie sich denn freuen, wenn Sie als letzter deutscher Tourneesieger abgelöst würden?
Hannawald: Klar, ich würde mich unheimlich freuen, wenn es so weit ist. Werner Schuster und sein Team leisten unglaublich akribische Arbeit, das sollte jetzt auch mal belohnt werden. Natürlich gab es Olympiasiege und andere Erfolge, aber Tourneesieger ist ein ganz besonderer Titel - der ist sogar einem Martin Schmitt leider verwehrt geblieben. Daran sieht man schon, wie schwierig es ist, die Tournee zu gewinnen.
SPORT1: Was ist das Besondere an der Tournee? Was macht den Mythos aus?
Hannawald: Allein der Termin ist ein Alleinstellungsmerkmal, weil rund um den Jahreswechsel sonst kaum sportliche Großereignisse stattfinden. Außerdem ist es kein einzelner Tageswettbewerb, sondern eine Serie. Die vollen Stadien, das ganze Drumherum - das ist genau das, was du als kleiner Junge erleben willst, wenn du mit dem Skispringen anfängst. Wenn du diesen Traum leben kannst, bist du einfach nur unheimlich stolz und unglaublich motiviert.
SPORT1: Wieso hat außer Ihnen noch niemand alle vier Springen gewonnen? Was ist die besondere Schwierigkeit daran?
Hannawald: Im Laufe der Tournee kommen Dinge zusammen, die man nicht trainieren kann. Sobald du Oberstdorf gewinnst und anschließend auch in Garmisch, fängt es an zu ticken. Am schlimmsten wird es nach Innsbruck, weil du dann erst wirklich merkst, was für ein Kaliber da auf dich zukommt. Das kann kein Außenstehender nachvollziehen.
SPORT1: Was ging damals vor dem letzten Sprung in Bischofshofen in Ihnen vor?
Hannawald: Ich war froh, dass es vorbei war. Mir war es vollkommen egal, ob ich Zweiter werde - Hauptsache, das ganze Theater war rum. Das hatte nichts mehr mit Skispringen zu tun. Es war einfach nur ein riesiger Rucksack, den man mit sich herumschleppt. Irgendwann geht es nur noch um die Frage: Schafft der Typ das? Deswegen rennt jeder dir hinterher. Das ist unheimlich viel Druck und lässt dich nicht mehr das tun, was du eigentlich möchtest.
SPORT1: Im Vergleich zu Ihren aktiven Zeiten: Ist es leichter oder schwieriger geworden, die Tournee zu gewinnen?
Hannawald: Damals waren die Schanzen viel unterschiedlicher, die haben sich seit meiner Zeit deutlich angeglichen. Durch die Windpunkte kann man inzwischen gewisse Wettereinflüsse herausrechnen lassen, durch die grüne Linie hat man als Springer einen Anhaltspunkt. Das sind alles Dinge, die es einfacher machen. Auf der anderen Seite ist aber die Konkurrenz natürlich unheimlich gewachsen. Damals wie heute konnte man sich kaum Fehler erlauben - und es ist insgesamt wahrscheinlich genauso schwer, die Tournee zu gewinnen.
SPORT1: Der Hype damals war riesig, Martin Schmitt und Sie wurden gefeiert wie Popstars. Lässt sich das wiederholen?
Hannawald: Die Stadien sind inzwischen wieder voll, das ist positiv und kommt an unsere Zeiten früher heran. Aber ich glaube nicht, dass die Jungs auf der Straße erkannt werden, so wie das damals bei uns der Fall war.
SPORT1: Sie sind zwischenzeitlich in ein Loch gefallen, haben dem Skispringen den Rücken gekehrt. Wie sind Sie da wieder herausgekommen?
Hannawald: Irgendwann hat mein Körper damals nicht mehr mitgemacht, aber mein Kopf war die Maschine, die den Takt vorgegeben hat. Inzwischen weiß ich, dass am Ende der Körper entscheidet, wie lange du das mitmachen kannst. Inzwischen habe ich die Ruhe gefunden, mich zuerst einmal um meine Familie zu kümmern, mich dann beruflich neu aufzustellen und jetzt bei Eurosport auch wieder die Chance zu haben, vor Ort an der Schanze zu sein. Aber eben ohne den Gedanken, alles besser machen zu müssen als alle anderen. Das ist kein Vergleich dazu, bei der Tournee oben auf dem Balken zu sitzen.
SPORT1: Gregor Schlierenzauer hat eine ähnliche Erfahrung gemacht, ist nach langer Pause jetzt aber zurück im Weltcup. Glauben Sie, dass er noch mal an alte Zeiten anknüpfen kann?
Hannawald: Ich freue mich sehr, dass Gregor wieder springt. Man sieht aber schon, dass sich die Zeit weitergedreht hat und die Jungen natürlich unheimlich Gas geben. Er war damals derjenige, der den Alten gezeigt hat, wo der Hase langläuft - jetzt ist es andersherum. Ich finde es gut, dass er gezeigt hat, dass auch er kein Roboter ist, sondern ein Mensch, der auch mal Auszeiten braucht. Er hat das Skispringen auf seine Weise geprägt - und ich drücke ihm die Daumen, dass er wieder vorne rankommt.
SPORT1: Auch Sie sind als TV-Experte bei Eurosport wieder nah am Geschehen: Was geht heute in Ihnen vor, wenn Sie an die Schanze kommen?
Hannawald: Das ist jedes Mal ein unglaubliches Gänsehaut-Feeling, weil ich jetzt die Möglichkeit habe, Dinge von außen zu betrachten. Das ganze Drumherum mit den Zuschauern und der Stimmung: Da ist man als Springer zu sehr fokussiert auf seine Leistung, um das wahrzunehmen. Heute habe ich da mehr Gänsehaut, als wenn man mittendrin ist und sowieso schon durchdreht, weil es nichts Geileres gibt.