Eigentlich war alles vorbereitet für die große Party danach.
Attacke gegen Wilmots - aus dem eigenen Team
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Gleich mehrere Hotelketten, die ihre Hochhaus-Herbergen direkt neben das neue Stade Pierre-Mauroy in Villeneuve-d'Ascq, der Kleinstadt vor den Toren Lilles, errichtet hatte, boten auch nach dem Viertelfinale zwischen Wales und Belgien noch Bier und Live-Musik an. Eigentlich hatten die Flamen und Wallonen ein schönes Freudenfest feiern wollen, doch nach der 1:3-Pleite ihres Teams tanzten und sangen hier in der Nacht zu Samstag allein die Gäste von der Insel.
Ausgerechnet in der Hauptstadt von Französisch-Flandern zerplatzten alle Titelträume der Roten Teufel. Wer aus Belgien über die nahe Grenze gekommen war: Wischte sich die schwarz-gelb-rote Schminke von den Wangen. Wenn sie nicht ohnehin verlaufen war. Von den Regenschauern. Oder den Tränen.
"Wir sind am Boden zerstört. Wir haben das Spiel nicht so auf den Platz bekommen, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir haben Tore kassiert, die wir nicht hätten kassieren dürfen", gestand Mittelfeldspieler Axel Witsel in seinem ersten Statement.
Courtois kritisiert Wilmots-Taktik
Noch weiter ging Torwart Thibaut Courtois, der gleich mal indirekt seinen Coach anging. "Wir hatten die gleiche taktische Aufstellung wie gegen Italien - und wieder hat es nicht funktioniert", giftete der Schlussmann vom FC Chelsea, der sich als Erster zu den eigenen Fans gewendet hatte und dafür stehende Ovationen erhielt.
Für den 24 Jahre alten Courtois stand fest, dass es kein Zufall war, dass die Belgier wie schon in der EM-Qualifikation (0:0, 0:1) am von Teamchef Chris Coleman glänzend eingestellten Underdog sich die Zähne ausbissen. "Mit dieser Taktik haben wir schon seit langer Zeit ein Problem. So eine Chance bekommen wir nie wieder." Er habe dazu auch in der Kabine gesagt, "was gesagt werden muss".
Damit war die Debatte um seinen eigenen Nationalcoach Marc Wilmots schon unmittelbar nach Spielende eröffnet. Von einem der eigenen Schützlinge. Und Wilmots wehrte sich nicht einmal: "Ich habe kein Problem mit der Aussage von Thibaut, ich kann sie verstehen."
Der Coach selbst selbst habe am Seitenrand versucht, mit Händen und Füßen auf die Spieler einzuwirken - aber er hat sie nicht erreicht. "Probleme in der Kommunikation" räumte er ein. Wilmots lag jedoch grundfalsch damit, den erst 21 Jahre jungen Jordan Lukaku, Bruder von Mittelstürmer Romelu Lukaku, als Linksverteidiger zu bringen. Der Mann mit der Rasta-Frisur stolperte von einer Verlegenheit in die andere, trug Mitschuld am 1:1-Ausgleich von Ashley Williams (31.).
Wilmots: "Ich bin kein Magier"
"Ich musste 50 Prozent meiner Abwehr ersetzen", meinte Wilmots. In der Tat hatten nach den Verletzungen vor der WM von Kapitän Vincent Kompany und Nicolas Lombaerts nun auch noch der gesperrte Thomas Vermaelen und der im Abschlusstraining umgeknickte Jan Vertonghen (doppelter Bänderriss) auf der Ausfallliste gestanden.
"Ich bin kein Magier. Du kannst so viel Erfahrung nicht ersetzen", sagte Wilmots. "In den letzten drei Spielen haben wir kein einziges Gegentor kassiert. Aber wir haben Fehler gemacht, die man nicht machen darf. Vielleicht liegt es daran, dass die Mannschaft zu jung ist, aber ich trage die Verantwortung."
Spätestens dieser Satz ließ aufhorchen. Kaum jemand erwartet, dass der 47-Jährige nach diesem letztlich unbefriedigenden Turnier noch die Kraft hat, seinen bis 2018 laufenden Vertrag zu erfüllen. Die Pressekonferenzen im "Le Haillan", dem Trainingsgelände von Girondins Bordeaux, trugen teilweise inquisitorische Züge, so wurde Wilmots von einem Teil der belgischen Presse infrage gestellt.
"Ich werde meine Entscheidung nicht sofort treffen. Ich will alles analysieren. Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken", ließ er auf der Pressekonferenz wissen. Danach stand er auf und ging.
Dass sich Wilmots nach dem ernüchternden Match von allen Akteuren einzeln per Handschlag verabschiedete, war ein weiteres Zeichen dafür, dass bald ein anderer diese Nationalelf trainiert.