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Raphael Honigstein über den Absturz von Meister Leicester City

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Raphael Honigstein über den Absturz von Meister Leicester City

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Warum Leicesters Märchen so abrupt endete

In der vergangenen Saison gewann Leicester noch furios die Meisterschaft, jetzt kämpft das Team gegen den Abstieg. SPORT1-Kolumnist Raphael Honigstein erklärt, warum.
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© SPORT1-Grafik: Getty Images/Marc Tirl

"What goes up, must go down", sagt man auf der Insel. Mit anderen Worten: Niemand kann ewig fliegen. Schon gar nicht im Fußball.

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Die britischen Buchmacher wissen das. In der vergangenen Saison waren sie noch die großen Verlierer gewesen. Leicester City, der 5000:1-Außenseiter, wurde der überraschendste Meister in der Geschichte der Premier League.

Ungerührt von dem Fußball-Märchen schätzten die Wettanbieter vor Beginn der laufenden Saison die Chancen der Foxesauf den Abstieg dennoch höher ein (Quote 25:1) als auf die Verteidigung der Meisterschaft (33:1). Aus Sicht von City sollten sie leider Recht behalten.

Coach Ranieri unter Druck

Claudio Ranieris Team ist nach der vierten Liga-Niederlage in Folge (0:3 gegen Manchester United) auf den 16. Tabellenplatz abgerutscht, der Vorsprung auf die Abstiegsplätze beträgt nur noch einen Punkt. Im FA Cup reichte es erst in der Verlängerung des Wiederholungsspiels zum Weiterkommen gegen Zweitligist Derby County.

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"Es ist schrecklich, es ist peinlich", sagte Keeper Kasper Schmeichel nach der Pleite gegen United, "uns fehlt zwar nicht der Kampfgeist, aber das Selbstvertrauen. Es ist an der Zeit, dass wir alle - von oben bis unten in diesem Verein - Verantwortung übernehmen. Ansonsten steigen wir ab."

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Mit "oben" war Ranieri gemeint. Schmeichel gilt intern als einer der größten Kritiker des 65-Jährigen. Die Zuneigung zu dem Italiener war in der Mannschaft selbst im Vorjahr nie ganz so groß, als es von außen den Anschein hatte, doch die aktuelle Verstimmung hat vor allem sachliche Gründe.

Abstiegsangst und Frust

Ranieri hat die an ein 4-4-2 gewohnte Truppe mit vielen halb-garen, ungenügend einstudierten System-Umstellungen aus dem Tritt gebracht. Er ist in seine alte Rolle als "Tinkerman" zurück gefallen, in jene Veränderungswut, die ihn schon beim FC Chelsea vor 13 Jahren den Job gekostet hatte.

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Ein Trainer, der nicht zu wissen scheint, was er will, hat auf Dauer keine Rückendeckung bei den Spielern, egal wie nett und menschlich er sein mag.

Viele Kicker müssten beim Gang in die zweite Liga auf 40 Prozent ihres Gehalts verzichten, dementsprechend groß ist der Frust über einen Übungsleiter, der die Probleme mit jeder Intervention eher zu verschlimmern scheint.

Dass Ranieri der Mannschaft laut eines Berichts des Mirror in dieser Woche die geliebten Hühnchen-Burger nach Schlusspfiff strich und durch Pasta ersetzte, fällt da schon gar nicht mehr so stark ins Gewicht.

Ranieri trägt allerdings bestimmt nicht die alleinige Schuld für den Absturz. Die Doppelbelastung durch die Champions League, in der man das Achtelfinale gegen Sevilla bestreitet, war rein mental stärker als erwartet.

Verpflichtungen ohne Wirkung

Von den nicht gerade billigen Neuzugängen hat bisher nur Angreifer Islam Slimani (vom FC Porto) annähernd überzeugt. Das Sturm-Duo Jamie Vardy (fünf Tore) und Riyad Mahrez (drei Treffer) ist meilenweit von der Traum-Form der Vorsaison entfernt.

Mit N'Golo Kante wanderte dazu im Sommer der Schlüsselspieler zum FC Chelsea ab, ohne den überragenden Defensiv-Spezialisten im zentralen Mittelfeld wirkt die Hintermannschaft um Robert Huth und Wes Morgan nicht annähernd so souverän wie 2015/16.

Kante, ein Favorit in der Wahl zum Spieler des Jahres auf der Insel, hat in den vergangenen drei Jahren mehr Grätschen als jeder andere Premier-League-Spieler ausgepackt - und das, obwohl der 25-jährige Franzose erst zwei Jahre in England spielt.

Für Klub-Eigentümer Vichai Srivaddhanaprabha wirft die Krise fußballerische Prinzipien-Fragen auf. Ranieri hatte im Sommer 2015 vor Dienstantritt dem Klub zugesichert, auch im Falle eines Abstiegs dazubleiben.

Jeder Punkt zählt

Soll, beziehungsweise darf diese Loyalität auch umgekehrt gelten? Was sind die Verdienste der Vergangenheit angesichts des Misserfolgs in der Gegenwart wert? Kann man einen Wundertäter überhaupt feuern? Der thailändische Milliardär, so hört man, hat Ranieri nach dem 0:3 gegen ManUnited das Vertrauen ausgesprochen - vorerst.

Nach dem Zittersieg gegen Derby am Mittwochabend muss das Team im direkten Duell mit dem abstiegsbedrohten Swansea City (mit Ex-Ancelotti-Assistent Paul Clement auf der Bank) am Sonntag dringend punkten, um nicht noch tiefer abzurutschen.

"Alles, was in der letzten Saison richtig lief, läuft jetzt falsch für uns", sagte Ranieri trotzig, "wir müssen Stärke zeigen." Das Märchen ist vorbei, Leicester steckt wieder im Überlebenskampf. Happy End ungewiss.

Raphael Honigstein, geboren 1973 in München, zog 1993 nach London. Dort lebt und arbeitet er als Journalist und Autor. Für SPORT1 berichtet er in der wöchentlichen Rubrik "London Calling" über alle Themen rund um den englischen Fußball. Honigstein arbeitet unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung", das Fußballmagazin "11 Freunde", die englische Tageszeitung "The Guardian", den Sportsender "ESPN" und ist in England und Deutschland als TV-Experte tätig.