Von Raphael Honigstein
Erst verspottet, jetzt gefürchtet
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Bastian Schweinsteiger hat sie alle zum Tanzen gebracht, die kleinen, dicken Kinder mit Sonnenbrille, alte Männer, bärtige Glaubensbrüder aus dem Nahen Osten.
Tausendfach wurden in den sozialen Netzwerken am vergangene Wochenende Vines und GIFs verschickt, die scherzhaft den Jubel von imaginären Manchester-United-Fans über den Transfer des deutschen Nationalmannschaft-Kapitäns zeigen.
Auch Ed Woodward, der Geschäftsführer von United, wurde von der roten Gemeinde viral als brillanter Transfermarkt-Künstler gefeiert, mit Sprüchen wie "Gestatten, meine Name ist Butter - bei mir läuft es wie geschmiert", oder als "Wolf von Old Trafford".
In Wallung geratene Fans
Man kann sich nicht daran erinnern, dass Anhänger des englischen Rekordmeisters zuletzt in einer Sommerpause derart in Wallung geraten sind. Nach der Übernahme durch die amerikanische Glazer-Familie 2005 erklärte Alex Ferguson oft, warum der Markt überteuert sei und man deshalb lieber auf Nachwuchs- und Perspektivspieler setzen wolle.
Die Vertragsverlängerungen von Wayne Rooney (2010 und 2013) wurden den Fans als großer Coup verkauft.
In seinem ersten Sommer als CEO (2013) blamierte sich Woodward mit unrealistischen Offerten für Gareth Bale und Cristiano Ronaldo, um letztendlich Marouane Fellaini für 38 Millionen Euro (heutiger Wechselkurs) zu holen. Der Belgier wäre ein paar Wochen vorher wegen einer Ausstiegsklausel für 8,4 Millionen Euro weniger zu haben gewesen.
Ähnlich stümperhaft gestalteten sich die Bemühungen vor einem Jahr. Woodward ließ sich für 38 Millionen Euro den kreuzbraven Linksverteidiger Luke Shaw (Southampton) andrehen, zahlte 70 Millionen Euro für Angel di Maria und holte kurz vor Ende der Wechselperiode Radamel Falcao (AS Monaco) auf Leihbasis. Der Kolumbianer kostete United in der Spielzeit 14/15 26 (!) Millionen an Gehaltszahlungen und zusätzlich eine Leihgebühr von 8,5 Millionen.
Durchlässige Kommunikationspolitik
'Good business' war das eher nicht. Der 29-Jährige erzielte ganze vier Tore. Die Kritik in den englischen Gazetten wäre um einiges harscher ausgefallen, wenn Woodward sich nicht mit einer gewollt durchlässigen Kommunikationspolitik viele Freunde bei der schreibenden Zunft gemacht hätte.
United und Woodward haben allerdings aus ihren Fehlern gelernt. Nach neuerlichen Absagen von Gareth Bale und Thomas Müller versuchte man es in diesem Jahr nicht auf Red Devil komm raus weiter bis tief in den August hinein, sondern konzentrierte sich schnell auf gute Spieler, die frühzeitig und relativ problemlos den Kader verstärken.
Flügelstürmer Memphis Depay (PSV), Rechtsverteidiger Matteo Darmian (Torino), Mittelfeldmann Morgan Schneiderlin (Southampton) und Schweinsteiger kosten zusammen nur fünf Millionen mehr, als die Nachbarn von Manchester City für Raheem Sterling (70 Millionen Euro, inklusive Boni) hinlegen.
"Bastion der Vernunft und der Sparsamkeit"
Im Vergleich mit dem Klub von Scheich Mansour aus Abu Dhabi sei United "Bastion der Vernunft und der Sparsamkeit" schrieb der Evening Standard am Dienstag, "Schweinsteiger kommt angesichts seiner Bilanz mit Deutschland und Bayern quasi mit der Garantie, dass er sich gut einleben und die Herausforderungen der Premier League sturmfest annehmen wird."
Nach seinem Wechsel ist Louis van Gaals Elf in der öffentlichen Meinung binnen eines Wochenendes zum echten Meisterschaftskandidaten aufgestiegen. Bei der Londoner Konkurrenz (Chelsea und Arsenal) macht sich dagegen bereits erste Unruhe breit.
Es gibt auf der Insel auch Stimmen, die dem bald 31-jährigen nicht den ganz großen Erfolg im Theater der Träume zutrauen - "Er wird wohl nach dem ersten Jahr zunehmend weniger spielen”, schrieb Times-Journalist Rory Smith - aber eines hat Schweinsteiger schon vor dem ersten Spiel geschafft. Sein Wechsel hat die Atmosphäre verändert. ManUnited und Woodward werden nicht mehr belächelt, sondern so langsam aber sicher (wieder) gefürchtet.