Der Beginn seiner Geschichte war für die DDR ein Moment wie später für West-Deutschland der sensationelle erste Wimbledon-Sieg von Boris Becker.
In München wurde er endgültig zum deutschen Mythos
Ein deutscher Jahrhundert-Athlet
Auch Roland Matthes aus Pößneck in Thüringen war ein 17 Jahre junges Ausnahmetalent, das mit seinem ersten großen Coup - Doppel-Gold im Schwimmen bei Olympia 1968 in Mexiko - die Welt verblüffte.
Was dann vier Jahre in München folgte, machte ihn endgültig zum wohl meist respektierten Sportler der gesamten DDR-Geschichte.
Matthes vollendete am 2. September 1972 - heute vor 53 Jahren - mit seinem Olympiasieg über 200 Meter Rücken sein zweites Doppel-Gold. Matthes, der auch von Mark Spitz, dem Superstar von München, hochgeschätzt wurde, festigte damit seinen Rang als weltweit geachteter Mythos, mit dem sich später auch das wiedervereinte Sportdeutschland gern schmückte.
„Der Rolls Royce des Rückenschwimmens“
Schon in Mexiko hatte Matthes über 100 und 200 Meter Rücken gesiegt, in München wiederholte er beide Triumphe. Sieben Jahre lang war Matthes zwischen 1967 und 1974 in allen wichtigen Wettbewerben im Rückenschwimmen ungeschlagen.
Zwischen 1968 und seinem Karriereende 1976 holte Matthes auch noch je zwei olympische Silber- und Bronzemedaillen, drei WM- und fünf EM-Titel, zahlreiche Weltrekorde und sieben Auszeichnungen als DDR-Sportler des Jahres. Bis heute ist Matthes vor „Albatros“ Michael Groß der erfolgreichste deutsche Schwimmer der olympischen Historie - und geschlechtsübergreifend die Nummer 2 hinter Kristin Otto (6x Gold).
Was oft vergessen wird: Auch abseits seiner Spezialdisziplinen bewegte sich Matthes auf Weltklasse-Niveau. Er gewann 1970 in Barcelona auch WM-Silber über 100 Meter Freistil, bei der Weltmeisterschaft 1974 in Wien wurde er über die 100 Meter Schmetterling Zweiter.
Das sportliche Lebenswerk von Matthes inspirierte viele, unter anderem nannte Franziska van Almsick Matthes ein „großes Vorbild“. Vor allem auch wegen seiner stilistischen Eleganz wurde Matthes über die Landesgrenzen hinaus bewundert. „Roland Matthes durchschneidet das Wasser wie eine Rasierklinge“, bejubelte ihn einmal die L‘Équipe aus Frankreich. Als „Rolls Royce des Rückenschwimmens“ adelte ihn die legendäre britische Schwimm-Journalistin Pat Besford.
„Ich war ein klassischer Warmduscher“
Dass die Jahrhundertkarriere des Rolls-Royce aus dem Saale-Orla-Kreis in Gang kam, war auch zufallsbasiert: Wie Matthes berichtete, waren es die Unbequemlichkeiten der Nachkriegs-DDR, die ihn als Kind in die Schwimmhallen trieben.
„Ich war ein klassischer Warmduscher“, berichtete Matthes - was er sich nur vor und nach dem Schwimmen gönnen konnte: Zu Hause gab es nur ein Waschbecken, warmes Wasser musste damals am Herd aufgekocht werden.
Eine glückliche Fügung war auch, dass er von Trainerin Marlis Grohe entdeckt wurde, die Matthes‘ Talent erkannte - und die richtige Ansprache fand, den sensiblen Jungen zu fördern und zu fordern. „Ohne sie hätte ich es niemals so weit gebracht“, erklärte Matthes in einem Interview mit dem Neuen Deutschland: „Wenn ich im Training mal nicht so wollte, weil mir das Wasser zu kalt war - und ich fror ja immer -, dann packte sie mich am Schlafittchen und schmiss mich ins Wasser.“
Auch dank der Förderung von Grohe entwickelte sich Matthes zu einem Vorzeigeathleten, ein Rang, den er - anders als manche andere - auch nach der Wiedervereinigung nicht verlor.
Roland Matthes: Der erste DDR-Sportler in der Hall of Fame
Matthes‘ Ruf ist nicht durch Doping-Enthüllungen belastet worden, die diverse andere Ost-Denkmäler beschädigt haben. Matthes und Trainerin Grohe wurden 2005 sogar aktiv entlastet von der für das Staatsdopingprogramm mitverantwortlichen Ärztin Helga Pfeifer. In einem Interview mit dem Journalisten Craig Lord sagte sie: Die 1990 tragisch früh verstorbene Grohe sei im DDR-Schwimmsport die einzige gewesen, „die immer Nein zu Doping gesagt hat und trotzdem davongekommen ist und ihren Job behalten hat. Roland Matthes brauchte keine Hilfe.“
Vor diesem Hintergrund war es kein Wunder, dass Matthes im Jahr darauf nochmal eine historische Rolle spielte: Er war der einzige DDR-Sportler, der Teil der Gründungsklasse der Hall of Fame des deutschen Sports war – in einer Reihe mit Franz Beckenbauer, Uwe Seeler, Max Schmeling und Rosi Mittermaier.
Matthes vermisste Respekt für den DDR-Sport
Matthes zog nach der Wiedervereinigung in den Westen, er hatte ein zwiespältiges Verhältnis zum DDR-Sport. Zu aktiven Zeiten war er vom Staat umschmeichelt und freute sich an Privilegien wie der Erlaubnis, ungehindert Schallplatten der von ihm geliebten Beatles und anderer kapitalistischer Musiker kaufen zu dürfen.
Später aber erkaltete das Verhältnis: Matthes selbst berichtete, dass ihm die kommunistische SED-Führung übelnahm, dass 1984 die Traumehe mit Schwimm-Kollegin Kornelia Ender zerbrach, der viermaligen Gold-Gewinnerin von Montréal 1976. Er hätte danach als „politisch unzuverlässig“ gegolten.
Mit der Art und Weise, wie der Westen auf den DDR-Sport blickte, haderte er andererseits auch: In einem Interview mit dem Spiegel 1990 beklagte er zu viel „Schwarz-Weiß-Malerei“, einen zu verengten Blick auf Doping und zu wenig Respekt und Wertschätzung für die sportlichen Leistungen der einzelnen Athletinnen und Athleten.
Matthes studierte nach der aktiven Karriere Medizin und praktizierte als Orthopäde. Am 20. Dezember 2019 starb er im Alter von 69 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit. Sein Erbe lebt unter anderem auch dadurch fort, dass die Schwimmhalle seiner früheren Wahlheimat Erfurt seinen Namen trägt.