Zu Beginn der lang herbeigesehnten Länderspielpause beherrschte einer die BVB-Schlagzeilen, der gar nichts mehr mit dem Verein zu tun hat: Thomas Tuchel.
So tief sitzt das BVB-Trauma
© SPORT1-Grafik: Marc Tirl/Getty Images/Imago
Der Ex-Trainer sagte am Montag im Gerichtsprozess um das Attentat auf die Mannschaft im April 2017 aus, ließ mit Aussagen wie "Ohne den Anschlag wäre ich noch BVB-Trainer" aufhorchen.
Über Inhalt und Intention von Tuchels Worten lässt sich trefflich streiten. Der Ex-Trainer lag schon vor dem Anschlag im deutlichen Clinch mit den BVB-Bossen. Ein bisschen gingen im montäglichen Tuchel-Theater aber ohnehin die eindrucksvollen Aussagen seiner Ex-Spieler unter.
BVB-Kapitän Marcel Schmelzer, Torwart-Urgestein Roman Weidenfeller sowie die beiden transferierten Spieler Sven Bender (Leverkusen) und Felix Passlack (Ausleihe an die TSG Hoffenheim) schilderten, wie sehr das Attentat die Mannschaft geprägt hat und wie traumatisch die Erlebnisse bis heute sind.
Klar ist: Dieser Anschlag bewegt das Dortmunder Seelenleben bis heute.
Psychologische Hilfe
Die beiden aktuellen BVB-Profis ließen ehrlich durchblicken, dass sie weiter unter dem Anschlag leiden. "Wenn ein Teller runterfällt, schießt mein Puls hoch. Wenn ein Auto langsam am Bus vorbeifährt, ist die Angst wieder da. Es gibt immer wieder die Momente, in denen man denkt, welch Riesenglück wir hatten", sagte Marcel Schmelzer.
SPORT1 weiß: Borussia Dortmund hat allen Spielern nach dem Anschlag psychologische Hilfe angeboten. Bis auf wenige Ausnahmen suchten sich die meisten Akteure aber eigene Ärzte ihres Vertrauens.
Roman Weidenfeller berichtete vor Gericht: "Ich habe psychologische Hilfe angenommen und sie noch nicht abgeschlossen. Das ist immer noch ein Thema in der Mannschaft. Ich kenne Spieler, die noch immer darunter leiden."
Rückzugsort Bus
Die Sätze von Weidenfeller und Schmelzer zeigen: Dass mit dem Mannschaftsbus einer der intimsten Orte der Fußballprofis betroffen war, prägt das Team bis heute. "Der Bus war sonst immer ein Rückzugsort", erklärte Weidenfeller.
Freilich bereitet sich das Team auch jetzt noch im Bus auf die Spiele vor. Hier wird die Konzentration hochgefahren, hier steigt der Puls. Unvorstellbar, welche Kraft die Profis aufbringen müssen, um gegen ihre traumatischen Erlebnisse anzukämpfen.
Beispiel Marc Bartra
Auch in Abwesenheit drehten sich die Aussagen der Spieler vor allem um Marc Bartra. "Marc hat nach dem Knall laut geschrien, ich habe mich auf den Boden geschmissen und bin vom Fenster weggekrabbelt. Der Bus stoppte, Bartra schrie immer noch", berichtete etwa Felix Passlack.
Bartra ist ein gutes Beispiel für die Nachwirkungen des Attentats. Der Spanier wirkte nach dem Vorfall laut Vereinsinsidern wie ausgewechselt. Sie berichten, dass Bartra, sonst abseits des Platzes ein besonnener Zeitgenosse, hektischer wurde.
Auch auf dem Platz zeigte der 27-Jährige nicht mehr seine gewohnt stabilen Leistungen, bat die Vereinsbosse nach katastrophaler Hinrunde im vergangenen Winter um einen Wechsel zurück in die Heimat zu Betis Sevilla. Die Devise: Tapetenwechsel als Ablenkung.
Verarbeitung unmöglich
Ähnliches galt auch für den mittlerweile in Leverkusen spielenden Sven Bender: "Der Anschlag war auch eine Überlegung, bevor ich wechselte. Er hat neben dem Sportlichen eine Rolle gespielt", sagte der Mittelfeldspieler am Montag.
Bender schaute im Moment des Anschlags aus dem Fenster - genau ins grelle Licht der Explosion. Verarbeiten konnte er dieses traumatische Erlebnis lange nicht. "Wir mussten schnell wieder im Alltag sein. Im Nachhinein war es ein Fehler, einen Tag später wieder zu spielen. Wir haben das falsch eingeschätzt", meinte Bender.
Aussagen wie diese zeigen, wie tief das Bombentrauma wirklich noch sitzt. Es wäre sicherlich zu einfach und auch falsch, die schwankenden BVB-Leistungen in dieser Saison nur mit dem Erlebten aus dem April 2017 zu erklären.
Das Attentat nimmt in der Dortmunder Entwicklung des letzten Jahres aber offenbar eine größere Rolle ein als das vielen bisher bewusst war.
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