Geisterspiele verändern den Fußball. Sie schüren nicht nur die Diskussionen über die Bedeutung von Fans, sondern beeinflussen die Partien auch sportlich. Trainer und Mannschaften müssen sich auf die neuen Gegebenheiten auf dem Rasen einstellen. Doch welche sportlichen und taktischen Auswirkungen gibt es konkret?
Geisterspiele: Top-Teams profitieren
© SPORT1-Grafik: Getty Images/Imago
Die Abwesenheit von Fans bringt den offensichtlichen Effekt, dass der eigentliche Heimvorteil des gastgebenden Teams weitestgehend eliminiert wird. Allein am Sonntag dominierten in drei Bundesliga-Partien über weite Phasen die Auswärtsmannschaften. Wäre Fortuna Düsseldorf im Derby gegen Köln zum Schluss nicht noch eingebrochen, hätte es drei deutliche Auswärtssiege gegeben.
Die einfache Erklärung dafür lautet: Die Gastgeber erfahren nicht die gewohnte Unterstützung von den Rängen. Doch die Auswirkungen sind etwas komplexer. Aufgrund der fehlenden Heim- und Auswärtsdynamik gehen die Teams die Spiele anders an. Auswärtsteams sind weniger konservativ in ihrer strategischen Ausrichtung. Sie versuchen nicht unbedingt, Kontersituationen zu erzwingen, um dem Gegner und dessen Fans die Euphorie zu nehmen.
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Insofern kann eine Auswärtsmannschaft vor leeren Rängen genauso dominant im Ballbesitz auftreten, wie sie es vielleicht ansonsten im eigenen Stadion tun würde. Und Heimteams werden wiederum von den eigenen Fans nicht dazu getrieben, das Spiel stärker unter eigene Kontrolle zu bekommen.
Spiele ähneln dem Training
Insgesamt ist der Fußball losgelöst von den Reaktionen auf den Rängen. Spieler müssen nicht mit Pfiffen rechnen, wenn sie etwa elegant - oder auch mit einer gewissen Verspieltheit - versuchen, sich im Zweikampf durchzusetzen. Trainer befürworten natürlich nicht, dass ihre Spieler leichtsinnig agieren. Da aber Geisterspiele viel mehr dem normalen Training ähneln, können Spieler eher das umsetzen, was sie ansonsten nur zwischen den Spieltagen zeigen.
Konkret heißt das zum Beispiel, dass eine Mannschaft im Spielaufbau pressingresistenter ist, da sie in Drucksituationen nicht direkt den langen Ball spielt. Stattdessen versucht sie erst mit kurzen Dribblings, das Pressing des Gegners zu durchbrechen. Normalerweise lassen sich so manche erfolgreiche Passabfolgen oder Spielaufbausequenzen aus dem Training nicht auf den Wettkampf übertragen. In Zeiten von Geisterspielen ist dies jedoch eher möglich.
Kluge Läufe statt Tacklings
Zugleich ändern sich die Spieldynamik und damit auch der taktische Erfolg von Teams dadurch, dass die Zweikampfintensität aktuell nicht so hoch ist wie noch vor der Zwangspause. Die Laufleistung der Mannschaften ist nach dem ersten Wochenende mit Geisterspielen nun wieder nahezu auf dem vormaligen Niveau angekommen. Aber in Zweikämpfen selbst geht es etwas weniger intensiv zur Sache. Zum Vergleich: Über die gesamte Saison gesehen gab es bis dato durchschnittlich 33,2 Tacklings pro Partie, am vergangenen Wochenende allerdings nur 29,4.
Es lässt sich viel über die Psychologie von Geisterspielen diskutieren. In jedem Fall bevorteilen die aktuellen Umstände jene Teams, die sich oftmals im Spielaufbau und damit im Angriff befinden, und jene, die ihr Pressing vor allem über kluge Laufwege und Verteidigungsdruck umsetzen, statt ständig die direkten Zweikämpfe zu suchen.
Bayern und Dortmund profitieren
All diese Faktoren lassen die Schlussfolgerung zu, dass die stärksten Mannschaften der Bundesliga noch einmal mehr im Vorteil sind als ohnehin schon. Bayern München, Borussia Dortmund oder auch Bayer Leverkusen sind die ballsichersten und gleichzeitig taktisch klügsten Teams.
Das starke individuelle Leistungsvermögen half ihnen anfangs, sich auf die ungewohnte Situation schneller einzustellen. Denn hochklassige Fußballer haben es per se einfacher, auch auf Unvorhergesehenes adäquat zu reagieren.
Die Dynamik der Geisterspiele gibt ihnen jedoch einen zusätzlichen taktischen Vorteil, der sich bereits an den ersten beiden Spieltagen deutlich abzeichnete.