Thomas Müller hätte auch einfach durchgehen können. Aber das ist nicht seine Art. Thomas Müller blieb natürlich stehen – obwohl jeder ihm seine Enttäuschung schon aus zehn Metern Entfernung ansah.
Vollstrecker gesucht
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"Ich habe viel versucht, aber es hat nicht sollen sein", sagte er voller Frust, "die Leistung heute hat zu den anderen Spielen gepasst."
Der 26-Jährige lief und rackerte, aber am Ende stand er wieder mit leeren Händen da.
Die Europameisterschaft in Frankreich war nicht Müllers Turnier, sein Auftritt bei der 0:2-Niederlage gegen die Gastgeber war symbolisch. "Kurz vor Schluss hätte ich vielleicht meinen EM-Torfluch noch beenden können, aber da hat der Torwart eine riesen Parade ausgepackt", meinte Müller.
"Das Glück war nicht auf unserer Seite, aber wir haben Fehler gemacht", gab er zu. "Wir haben den deutschen Fußball gut präsentiert, aber Fußball ist auch ein Erfolgssport. Es geht darum, Titel zu gewinnen. Die bleiben in Erinnerung."
Beim DFB-Team bleibt vor allem die Schwäche im Torabschluss in Erinnerung. Gegen Frankreich bestimmte die Mannschaft wie schon in den Spielen gegen Italien und Polen das Spiel eindeutig, ohne aber Kapital aus der eigenen Überlegenheit zu schlagen.
"Wir haben ein paar Chancen vergeben, aber man kann sie eben nicht erzwingen. Ich kann keinem einen Vorwurf machen", meinte Bundestrainer Joachim Löw.
Kahns Kritik trifft den Punkt
"Wir haben dominiert, waren aber am Ende nicht konkret genug", sagte Teammanager Oliver Bierhoff, "nach dem 0:1 wurde es schwer. Am Ende hat irgendwas gefehlt."
Gefehlt hat ein Tor. Und ein Spieler, der vorn die Chancen nutzt. "Ein Vollstrecker, das hat gefehlt", brachte es Ex-Nationaltorhüter Oliver Kahn als Experte im ZDF auf den Punkt: "Gefehlt hat einer wie Griezmann, der ein, zwei Chancen braucht und dann das Tor macht.“
Antoine Griezmann verwandelte den von Bastian Schweinsteiger verursachten Handelfmeter in der Nachspielzeit der ersten Hälfte, entzog sich der deutschen Defensive immer wieder geschickt und staubte nach einer deutschen Fehlerkette zum 2:0 ab. Es waren seine Tore fünf und sechs bei dieser EM.
Deutschland hat keinen Griezmann
Die Deutschen hatten keinen Griezmann. Sie hatten gegen Frankreich auch keinen Mario Gomez, denn der hatte sich im Viertelfinale gegen Italien verletzt. Die Deutschen hatte viele Spieler, die den Ball nett in ihren Reihen laufen ließen, die aber alle eins nicht hatten: Zug zum Tor.
"Selbst wenn wir noch eine Stunde gespielt hätten, wäre kein Ball reingegangen", sagte Gomez mit hängendem Kopf. "Ich glaube, dass wir viel besser waren. Aber im Fußball entscheiden die Tore."
Gomez hatte beim 1:0 gegen Nordirland und beim 3:0 im Achtelfinale gegen die Slowakei getroffen. Beim 2:0 gegen die Ukraine waren es Shkodran Mustafi und Schweinsteiger, gegen Italien Mesut Özil. Die beiden restlichen Treffer erzielten Jerome Boateng und Julian Draxler.
Versäumnisse in der Ausbildung
"Das Schlagwort ist Durchschlagskraft", analysierte Kahn völlig richtig. "Wir haben in der Vergangenheit über falsche Neunen und Spielertypen diskutiert, die für Kreativität stehen, nachdem Miro Klose aufgehört hat." Das Kernproblem sei doch: "Warum haben wir aufgehört, diesen Spielertypen als wichtig zu empfinden?"
Bei der EM 2012 fielen sieben Tore durch die Offensive, bei der WM 2010 waren es sogar 13. Und bei der EM 2008 fiel nur ein Treffer durch einen Abwehrspieler.
Löw hatte schon während der Gruppenphase eingeräumt, dass die Ausbildung der Stürmer in den vergangenen Jahren zu kurz gekommen sei. Klar ist: es muss etwas getan werden.
Müller überdeckte die Schwächen
Müller hatte vor der EM manche Schwächen der Mannschaft mit seinen Toren überdeckt, doch in Frankreich lief bei ihm nichts zusammen. Mario Götzes Auftritte waren genauso glücklos, er war der Mannschaft keine Hilfe und steht so auch nicht für die Zukunft im Angriff.
Julian Draxler sorgte nach Anlaufschwierigkeiten in den ersten beiden Spielen für mehr Torgefahr, aber der Wolfsburger wird das Problem im Angriff ebenso wenig allein beheben können wie Leroy Sane. Der junge Schalker war von vielen gefordert worden, der Bundestrainer wechselte ihn aber erst ein, als es schon zu spät war.
Die fehlende Durchschlagskraft ist nicht neu, sie zog sich schon wie ein roter Faden durch die EM-Qualifikation.
Gomez, der die komplette Qualifikation verpasst hatte, brachte Torgefahr, Wucht und auch durchaus spielerische Qualitäten als Zentrumsstürmer ein. Am Sonntag wird Gomez 31, er wird noch die WM in Russland erleben, aber wohl kaum noch eine EM spielen.
Um die Zukunft der Nationalelf muss man sich dennoch keine Sorgen machen. Die aktuelle Mannschaft war die jüngste des Turniers, es gibt viele aufstrebende Talente, auch in der Offensive. Doch ein Vollstrecker ist noch nicht in Sicht.