Im Bemühen, den Umbruch der deutschen Nationalmannschaft voranzutreiben, ist Joachim Löw auf ein Problem gestoßen, das sich nicht kurzfristig aus der Welt schaffen lässt: "Den typischen Mittelstürmer, der von klein auf vorne drin spielt und eine Weltklasse-Qualität mitbringt, haben wir in Deutschland jetzt nicht", stellte der Bundestrainer fest. "Daher müssen wir andere Möglichkeiten finden."
So geht Löw das Sturmproblem an
Löws aktueller Lösungsansatz ist die Rückkehr zur "falschen Neun" oder "Neuneinhalb", wie er ihn selbst benennt. Deren Attribute: Schnelligkeit, Technik, Spielvermögen, kleiner Wendekreis.
Beim 0:0 gegen Frankreich im ersten Pflichtspiel nach dem WM-Debakel hatte Marco Reus im Sturmzentrum gespielt. Flankiert wurde er von Timo Werner und Thomas Müller. Gegen Peru (2:1) wurde Müller durch Julian Brandt ersetzt. Beim 0:3 gegen die Niederlande versuchte es Löw mit dem Schalker Mark Uth in der vordersten Reihe.
Seine Königslösung aber, auf die der Bundestrainer wohl auch heute im Länderspiel gegen Russland (Länderspiel: Deutschland - Russland ab 20.45 Uhr im LIVETICKER) setzen wird, testete er erstmals beim 1:2 gegen Weltmeister Frankreich. Da begann Serge Gnabry vorne drin und sorgte mit den pfeilschnellen Flügelstürmern Leroy Sane und Werner für mächtig Belebung im deutschen Spiel.
Löw: "Ein Topstürmer wäre wünschenswert”
Hundertprozentig zufrieden macht Löw allerdings auch diese Variante nicht. "Es wäre wünschenswert, wenn wir einen Topstürmer haben, der im Zentrum alles vereint", erklärte der Bundestrainer.
"Da gibt es in Europa sicherlich einige, die das Anforderungsprofil auf allerhöchstem Niveau erfüllen – ob das Edinson Cavani (Paris Saint-Germain, d. Red.), Luis Suarez (FC Barcelona, d. Red.) oder Robert Lewandowski (FC Bayern, d. Red.) ist, die nicht nur da stehen und warten, bis sie ihre Chance bekommen, sondern auch gut sind im Mitspielen. Darin, die anderen Spieler auch in Szene setzen zu können, die kopfballstark und am Boden stark sind."
Was aber sind die Alternativen für Löw? In einem Land, das sich seit jeher vor allem über Sturm-Legenden wie Gerd Müller, Jürgen Klinsmann, Rudi Völler und Karl-Heinz Rummenigge definierte, in der jüngeren Vergangenheit über Miroslav Klose oder Lukas Podolski.
Typische Stoß-Stürmer wie Mario Gomez (33/Stuttgart) oder Sandro Wagner (30/FC Bayern) sind zurückgetreten. Und Spieler wie der Freiburger Nils Petersen (29), Wolfsburgs Daniel Ginczek (27), Kevin Volland (26) aus Leverkusen oder die spielerisch starken Lars Stindl (30/Mönchengladbach) oder Max Kruse (30/Werder Bremen) spielen aktuell bei Löw keine Rolle.
Schnelle Abhilfe unwahrscheinlich
Auf dem Radar hat der Bundestrainer sicherlich Davie Selke. Der 23-Jährige kommt in Berlin aber derzeit nur von der Bank. Maximilian Philipp (24) und Marius Wolf (23) kommen auf Sicht in Frage, haben in Dortmund aber auch keinen Stammplatz.
Aus den U-Nationalmannschaften wird der von Löw erhoffte "typische Mittelstürmer" zeitnah ebenfalls nicht nachrücken. Der 20 Jahre alte Augsburger Marco Richter ist eher ein weiterer Vertreter der "spielenden Neun". Bliebe noch 1,93-Meter-Stürmer Janni Serra, der aktuell eine gute Rolle beim Zweitligisten Holstein Kiel spielt (13 Spiele/vier Tore/vier Assists), aber noch einen weiten Weg vor sich hat. Erstmals in den U21-Kader berufen wurde der Nürnberger Törles Knöll, der in der Bundesliga bisher einmal traf.
Bei den unter 19-Jährigen ist Hamburgs Jann-Fiete Arp die Sturm-Hoffnung. Das Supertalent traf in der zweiten Liga aber bisher auch noch nicht.
Klose schlägt Füllkrug vor
Ex-Weltklasse-Stürmer Klose, der derzeit die U17 des FC Bayern trainiert, hat daher einen ganz anderen Vorschlag für Löw: Niclas Füllkrug (25).
Der Hannoveraner hat eine bärenstarke Vorsaison hinter sich mit 14 Toren und drei Assists. In dieser Spielzeit kommt er auf bisher zwei Saisontore. "Er bringt vieles mit, was einen guten Mittelstürmer ausmacht", sagte der Weltmeister von 2014 der Bild. "Er ist schnell und kann den Ball halten. Ich habe seine Entwicklung von Werder über Nürnberg bis nun nach Hannover verfolgt. Was er bei 96 aktuell zeigt, gefällt mir sehr gut."
Der DFB hat das Sturm-Problem längst erkannt – und will dagegen ansteuern. "Wir sind der Auffassung, dass es auch künftig echter guter Stürmer bedarf. Wir benötigen Angreifer wie Miro Klose oder Robert Lewandowski", erklärte Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften, der Welt. "Daher müssen wir diese auch ausbilden. Am Ende sind die Tore das Salz in der Suppe – und die müssen erzielt werden."
Klar ist, dass Löw auch weiterhin viel experimentieren wird und muss. Doch er schätzt seine schnellen, technisch starken Optionen. Sie seien in der Lage, "Räume zu machen, Räume zu bespielen und zu kombinieren”, meinte der Bundestrainer. "Das war ja über viele Jahre hinweg unsere große Stärke, dass fast alles, was wir uns an Toren erarbeitet haben, auch über Kombinationen geschehen ist."