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Nationalmannschaft: Löw-Umbau nur ein Scheinumbruch - Analyse

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Nationalmannschaft: Löw-Umbau nur ein Scheinumbruch - Analyse

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Löws Umbau nur ein Scheinumbruch

Nach der WM-Enttäuschung 2018 wollte man sich bei der Nationalmannschaft komplett neu ausrichten. SPORT1-Chefreporter Florian Plettenberg hält fest: Vieles ist unerfüllt geblieben.
Das 0:6 gegen Spanien ist für die DFB-Elf ein heftiges Debakel. In der Vergangenheit gab es aber auch schon andere schwere Niederlagen.
Florian Plettenberg
Florian Plettenberg

Vor 875 Tagen hat sich Deutschland blamabel aus der Vorrunde bei der WM in Russland verabschiedet.

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63 Tage später stellten Joachim Löw und Oliver Bierhoff in der Allianz Arena ihre Analyse des WM-Debakels vor. In München leiteten sie den sagenumwobenen Umbruch ein.

Die wichtigsten selbsternannten Ziele klangen damals so:

  • Richtigen Mix aus erfahrenen, jungen und hungrigen Spielern finden
  • In der Nachwuchsarbeit wieder Weltspitze werden
  • Flexiblere Spielweise entwickeln
  • Feuer in der Mannschaft entfachen
  • Die Begeisterung der Fans zurückgewinnen
  • Deutschland zum EM-Favoriten formen

An diesen Zielen wollten sich Löw und Bierhoff messen lassen. Zwei Jahre und drei Monate später muss man feststellen, dass vieles unerfüllt geblieben ist.

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Hilfe, es ist nur ein Scheinumbruch!

Sportlich wollte man Platz schaffen für Talente. Sami Khedira wurde deshalb als erster WM-Held aussortiert. Die Ausbootung von Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng folgte nach dem Abstieg aus der Nations League. 16 Spieler debütierten seitdem unter Löw.

Sieben von ihnen haben echte EM-Chancen (Thilo Kehrer, Kai Havertz, Lukas Klostermann, Robin Koch, Florian Neuhaus, Robin Gosens und Luca Waldschmidt). Sieben haben nur Außenseiter-Chancen (Suat Serdar, Nadiem Amiri, Niklas Stark, Mahmoud Dahoud, Jonas Hofmann, Philipp Max und Ridle Baku). Nico Schulz und Marc Uth spielen vorerst keine Rolle mehr.

Nico Schulz (r.) wurde unter Joachim Löw zum Nationalspieler
Nico Schulz (r.) wurde unter Joachim Löw zum Nationalspieler

Havertz ist mit 21 Jahren der jüngste Spieler im erweiterten EM-Kader. Manuel Neuer mit 34 Jahren der älteste. Auf dem Platz stehen weiterhin Fast-schon-Routiniers wie Toni Kroos (30), Ilkay Gündogan (30), Julian Draxler (27) und Antonio Rüdiger (27). Max debütierte mit 27, Gosens mit 26. Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Serge Gnabry sind 25.

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Bezeichnend: Das Durchschnittsalter der Startelf gegen Spanien lag bei 27,3 Jahren. Das der Reservisten bei 25,3. Ein Altersumbruch sieht anders aus.

Das Problem: Es mangelt an echten Nachwuchs-Talenten! U21-Trainer Stefan Kuntz hat nicht umsonst Alarm geschlagen. Aus seinem Kader drängen sich allenfalls Baku, Florian Wirtz (17), Ismail Jakobs (21) und Dennis Geiger (22) auf.

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Löw fehlt eine richtige Spielidee

Löws Kader hat Qualität. Im Zusammenspiel hapert es aber weiterhin. Es gibt spielerische Glanzmomente, aber zu viel kollektives Totalversagen wie beim 0:6 gegen Spanien.

Ja, er ist taktisch flexibler geworden, aber weiß Löw wirklich, was das richtige System für diese Mannschaft ist?

Monatelang beharrte er auf der Dreierkette, zuletzt war es dreimal die Viererkette. Mal verteidigt er Mann gegen Mann, dann wieder nicht. Flexibilität ist wichtig, aber der FC Bayern hat unter Hansi Flick eindrucksvoll gezeigt, dass man Spielern dieser Extraklasse ein System an die Hand geben muss, was sie perfektionieren können.

Taktisch und spielerisch lässt sich nicht erkennen, wohin die Reise bei der EM gehen soll. Nur eines ist klar: Sofern sie fit sind, werden vorne Timo Werner, Gnabry und Leroy Sané auflaufen. Bestenfalls eingesetzt mit schnellem Umschaltspiel. 

Leistungsprinzip zählt in der Nationalmannschaft nicht

Was sich Löw ankreiden lassen muss: Zu viele Spieler, denen er immer wieder das Vertrauen schenkt (Julian Brandt, Jonathan Tah, Rüdiger, Kroos, Gündogan) tauchen in entscheidenden Spielen ab oder liefern viel zu inkonstant gute Leistungen ab.

Sorgen um eine Nominierung muss sich niemand machen. Oder wie es Kroos bezeichnenderweise formulierte: Der Bundestrainer müsse ihn nicht mal mehr einladen, er reist einfach von selbst an. Klingt nicht nach Druck und Leistungsprinzip. Löw setzt keine Reize. Er belohnt unentwegt.

Löw war mit der Ausbootung von Müller, Hummels und Boateng bis heute rigoros. Am gleichaltrigen und dauerverletzten Marco Reus hält er aber fest. Löw wirkt mit diesen Entscheidungen unglaubwürdig.

Nach 0:6-Klatsche gegen Spanien: Die größten DFB-Blamagen
02:47
Nach Spanien-Schmach: Die größten DFB-Blamagen

Gemischte Meinung in der Mannschaft

Innerhalb des Teams ist Löw beliebt. Zudem sehen ihm die Spieler nach, dass er die Mannschaft meistens nur einmal komplett zusammen hat: Im Abschlusstraining vor den Spielen.

Vorher teilt sich die Gruppe in aktiv und regenerativ arbeitende Spieler. Einspielen ist so kaum möglich. Dennoch gibt es Nationalspieler, die beklagen, im Vorfeld des Spanien-Spiels mit zu wenig taktischen Lösungen ausgestattet worden zu sein.

Wiederum andere Spieler berichten, dass die Ansprachen und Analysen von Löw und seinem Trainerteam gut seien, das Mannschaftsklima bis zum Spanien-Debakel sehr gut gewesen sei und Löw von allen Spielern respektiert werde.

Dennoch muss sich der Weltmeister-Trainer fragen: Gehen die Spieler für ihn und Deutschland auch durchs Feuer? Warum sitzt Neuhaus, der in seinen Auftritten für Furore sorgte, gegen Spanien auf der Bank? Sollten sich die Spieler der Zukunft gerade in solchen Spielen nicht messen lassen dürfen? Stattdessen lassen ihn Kroos und Co. im Stich.

Löw sitzt fest im Sattel

Deutschlandweit sorgt das für Tristesse und Verwunderung. Die Nationalmannschafts-Stimmung bleibt im Keller. Im Ausland wird über uns gespottet. Die TV-Quoten sinken, Länderspiele sorgen für Ernüchterung und nicht für Begeisterung. Löw steht mehr denn je in der Kritik. Er bleibt aber im Amt.

Ohnehin hat verbandsintern kaum jemand mit seiner Entlassung gerechnet. Kritiker werfen ihm vor, intern zu vieles zu beschönigen und zu viele strukturelle Mängel zu verkennen. Auch geschuldet der jahrelangen und festgefahrenen Zusammenarbeit mit seinem Trainerteam um Marcus Sorg und Andreas Köpke.

Joachim Löw muss zum Gespräch bei DFB-Präsident Fritz Keller (li.) antreten
DFB-Präsident Fritz Keller (li.) im Gespräch mit Joachim Löw

Stellt sich die Frage: Kann Löw überhaupt noch EM-Euphorie entfachen? DFB-Präsident Fritz Keller, ein Freund Löws, ist davon weiterhin überzeugt.

Auch Keller wird wissen, dass man von einer Favoritenrolle bei der kommenden EM meilenweit entfernt ist. Er selbst gab übrigens das Mindest-Ziel Halbfinale aus. Darauf zu hoffen, dass man eine Turniermannschaft sei, wäre viel zu einfach - aber irgendwie DFB-like. Diese These ist aber längst zur Mär geworden. 

DFB-Team gefangen zwischen Mitleid und Anerkennung

Zur Wahrheit gehört, dass man seit der WM 24 Länderspiele absolviert hat (Zwölf Siege, acht Remis und vier Niederlagen). Nur einen Sieg holte man gegen eine vermeintlich starke Truppe wie Holland (März 2019).

Man verlor gegen all jene Länder, mit denen man sich als Weltmeister-Land messen lassen muss: Zweimal gegen Holland, Frankreich und Spanien. Siege errang man gegen Weißrussland, Estland und Nordirland. Zuletzt gegen die Corona gebeutelten Tschechen und Ukrainer.

Löw sprach nach dem 0:6 davon, dass man dachte, man sei schon weiter in der Entwicklung. Mal wieder eine sonderbare Fehleinschätzung. Gnabry hingegen sagte, dass man jetzt wisse, wo man stehe. Irgendwo im Niemandsland des Weltfußballs, gefangen zwischen Mitleid und Anerkennung. Inmitten eines Schein-Umbruchs.