Lewis Hamilton starrte vor den Kameras der BBC entsetzt auf den Monitor, wo die schrecklichen Bilder des Formel-2-Unfalls nichts Gutes verhießen.
Sicherheitsdiskussion nach Tragödie
"Oh Gott, ich hoffe, die Jungs sind okay", sagte der Weltmeister, und er ahnte wohl schon, dass das nicht der Fall war. Wenig später bestätigte die FIA, was das fast unheimliche Schweigen über der Rennstrecke von Spa längst verkündet hatte: "Der Fahrer des Wagens Nr. 19, Anthoine Hubert, ist seinen Verletzungen erlegen."
Die große Tragödie hat den Formel-Sport fünf Jahre nach dem letztlich tödlichen Unfall des Franzosen Jules Bianchi beim Formel-1-Rennen in Suzuka wieder eingeholt. "Wenn ein Einziger von euch, der diesen Sport verfolgt und genießt, nur eine Sekunde lang denkt, dass das, was wir tun, sicher ist, dann irrt er sich gewaltig", schrieb Hamilton tief erschüttert bei Instagram: "Es ist verheerend. Gott segne deine Seele, Anthoine."
Motorsport-Welt trauert um Hubert
Deutschlands Formel-2-Hoffnung Mick Schumacher, der seit Dezember 2013 weiß, dass das Leben unerbittlich sein kann, fasste seine Trauer in wenigen Worten zusammen: "Das Schicksal ist brutal, der Verlust endlos."
Huberts Fahrerkollege Louis Deletraz trauerte um "meinen besten Freund. Anthoine, die Engel werden sich um dich kümmern."
Fatale Kettenreaktion in Spa
Hubert, Protege der Renault Drivers Academy und eines der vielversprechendsten Talente des französischen Motorsports, hatte im asphaltierten Auslauf der Eau-Rouge-Senke eingangs der Highspeed-Passage Raidillon die Kontrolle über sein Auto verloren. Bei dem Versuch, seinem langsamer werdenden Landsmann Giuliano Alesi auszuweichen, geriet er ins Schleudern und löste damit eine fatale Kettenreaktion aus.
Der nachfolgende Juan Manuel Correa (USA) hatte keine Chance auszuweichen, mit ca. 270 km/h raste er in das quer zur Fahrbahn stehende Wrack von Huberts Auto, das bei dem fürchterlichen Aufprall in drei Teile gerissen wurde.
Die Überlebenszelle des Fahrers wurde an der linken Seite zerfetzt, Hubert mit ungeheurer Wucht in den Trümmern seines Monocoques über die Strecke geschleudert. Um 18.35 Uhr erklärten die Ärzte im Medical Center ihn für tot.
Correa war die ganze Zeit ansprechbar, er erlitt Brüche an beiden Beinen, eine leichte Verletzung der Wirbelsäule und wurde noch am Samstagabend im Krankenhaus in Lüttich operiert. Die FIA beschrieb seinen Zustand am Sonntag als "ernst, aber stabil".
Hamilton: "Fahrer setzen jedes Mal Lebens aufs Spiel"
Die Diskussion um die Sicherheit im Motorsport wird nach der Tragödie von Spa wieder Fahrt aufnehmen. "Die Autos werden immer sicherer, aber 100 Prozent wird man nicht erreichen", sagte der frühere Formel-1-Pilot Juan Pablo Montoya: "Unser Sport ist riskant, und daran wird sich auch nichts ändern."
FIA-Präsident Jean Todt, ein erklärter Verfechter der Risikominimierung, wird die Kommission leiten, die Huberts Unfall untersucht. In seiner Stellungnahme sprach Todt von "grenzenloser Trauer".
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Unfälle wie den von Hubert wird aber auch das beste Sicherheitskonzept nicht verhindern können. Kohlefaser-Monocoques und der aus Titan gefertigte Schutzbügel Halo über dem Cockpit können einem frontalen Aufprall mit fast 300 km/h kaum standhalten. "Wir sind wieder mal brutal daran erinnert worden, wie gefährlich unser Sport ist", sagte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto: "Ferrari wird seinen Teil dazu beitragen, das Risiko so weit wie möglich auszuschalten."
Ganz geht es nicht, glaubt Hamilton. "Alle Fahrer setzen jedes Mal ihr Leben aufs Spiel, wenn sie auf die Strecke gehen, und die Leute müssen das zu würdigen wissen", sagte der Mercedes-Frontmann, der im freien Training der Formel 1 selbst einen spektakulären Ausrutscher heil überstand. "Ich bin nur ein Mensch", hatte Hamilton danach seinen Abflug in einer schnellen Rechtskurve erklärt: "Menschen machen Fehler."
Die extremen Geschwindigkeiten der Rennwagen, die immer kürzere Reaktionszeit, dazu Streckenabschnitte wie die Eau Rouge/Raidillon-Passage in Spa, die zu den spektakulärsten und gefährlichsten im Motorsport gehört - in dieser Konstellation ist der Mensch der schwächste Faktor. "Grausam" könne der Motorsport sein, twitterte Red-Bull-Teamchef Christian Horner.
Und doch brüllten am Sonntag in Spa wieder die Motoren.