Wenn seine Stimme ertönt, ist selbst der Ally Pally leise. „Ladies and Gentleman“, beginnt er seine Rede - ein höflicher Brite eben. „And the millions joining us around the world. It’s time to welcome the players.“ Spätestens jetzt weiß jeder Darts-Fan, wir befinden uns unmittelbar vor den Walk-Ons. Der Master of Ceremonies, John McDonald, eröffnet mit seinen Worten eigenhändig die tobende Darts-Party. Am 3. Januar wird McDonald das ein letztes Mal tun.
Darts-WM: "Der Abend wurde ein riesiges Desaster"
Das Abschiedsinterview einer Legende
Denn dann ist Schluss, nach 19 Jahren auf der Tour. Keine Ankündigungen mehr. Keine Ally-Pally-Bühne mehr. Die Legende setzt sich zur Ruhe. (Darts-WM vom 11. Dezember bis 3. Januar LIVE auf SPORT1)
SPORT1 traf den 65-Jährigen nun zum großen Abschiedsinterview im Alexandra Palace. McDonald bestand darauf, backstage einen Tee zu trinken. Man könne sich dabei in Ruhe unterhalten. Es spiegelt das Bild eines Mannes wider, der auf der Bühne die Massen lenkt und doch im Privaten die Augenhöhe in jeder Unterhaltung schätzt.
Abschied von der Darts-WM? „Ich werde es nicht vermissen“
SPORT1: Herr McDonald, Sie haben über 1.000 Walk-Ons bei der Darts-WM im Alexandra Palace angekündigt. Werden Sie es vermissen?
John McDonald: Nein. Ich werde es nicht vermissen. Was ich vermissen werde, sind die Leute rundherum. Es sind die besten, mit denen ich je zusammengearbeitet habe.
SPORT1: Wie kamen Sie zu dem Entschluss, nach der WM 2026 aufzuhören?
McDonald: Ich bin nicht eines Tages aufgewacht und habe beschlossen, dass ich den Dartsport verlassen werde. Ich habe lang und schwer darüber nachgedacht. Das Problem mit der Rente ist: Entweder ich gehe ganz oder gar nicht. Ich habe eine große Verpflichtung meiner Familie gegenüber. Meine Frau hat immer nach unserer Familie geschaut. Ich war nie Teil davon. Mittlerweile habe ich acht Enkel und mir ist es wichtig, noch Zeit mit ihnen zu verbringen. Es ist ein guter Zeitpunkt, um zu gehen.
Besonderer Abend für McDonald
SPORT1: Am 3. Januar haben Sie im WM-Finale Ihren letzten großen Auftritt. Denken Sie, die Emotionalität der Situation wird Sie übermannen?
McDonald: Meine Frau und meine vier Söhne werden da sein. Sie waren noch nie davor da, um mich zu sehen. Was glauben Sie also?
SPORT1: Zumal es auch für die Sportart Darts ein historischer Abend wird.
McDonald: Es geht um eine Million Pfund, das ist ein Rekord. Das höchste Preisgeld in der Geschichte, das von einem Dartspieler gewonnen wird. Das selbst sagt alles über diesen Moment aus.
SPORT1: Wie bereiten Sie sich darauf vor?
McDonald: Es wird das letzte Mal sein, dass mich jemand professionell hört. Ich muss daraus etwas ganz Besonderes machen. Ich werde intensiv darüber nachdenken. Wenn ich es schaffe, werde ich mir ein paar Stichpunkte aufschreiben.
Als John McDonald ein Leben rettete
SPORT1: Lassen Sie uns davor gemeinsam auf Ihre vergangenen knapp zwei Jahrzehnte bei der PDC zurückblicken. Sind Sie stolz auf diese Zeit?
McDonald: Sicher! Aber ich muss ehrlich sein: Es gab schreckliche Zeiten. Da habe ich mich gefragt: ‚Was mache ich hier? Das ist verrückt.‘ Es gab 2007 ein Match zwischen dem besten Spieler der BDO (British Darts Organisation, Anm. d. Red.), das war Andy Fordham – und Phil Taylor von der PDC. Barry Hearn meinte zu mir: ‚Wir wollen, dass du’s machst. Du musst nichts darüber wissen. Komm‘ einfach und mache einen guten Job.‘ Ich kam dort an, und der Abend wurde ein riesiges Desaster.
SPORT1: Erzählen Sie!
McDonald: Fordham ging’s nicht gut, sogar sehr schlecht. Vor der Halle standen Leute um ihn herum. Ich bin ein qualifizierter Sanitäter, ich habe sie alle weggeschickt, ihn auf den Boden gelegt und in Schocklage gebracht. Dann habe ich seinen Puls am Hals gespürt, und der ist nahezu durch die Decke gegangen. Also habe ich sofort den Notruf getätigt und gesagt: ‚Wir haben hier einen 45-jährigen Mann, der 240 Kilogramm wiegt. Bringt einen Defibrillator und viel Adrenalin mit, es gibt sonst keinen Ausweg, dass wir ihn am Leben halten.‘ Der Typ war dem Tod nahe. Dann musste ich auf die Bühne und habe zu den Leuten gesprochen, Phil Taylor als Sieger ausgerufen und bin nach Hause gefahren. Ich habe mir nur gedacht: Niemals wieder, oh mein Gott! Was für ein Albtraum! Am nächsten Tag hat mich Barry Hearn wieder angerufen, mir für meinen Job gedankt und gesagt: ‚Weißt du was, wieso machen wir eigentlich keine Premier League für Darts.‘ Der Rest ist Geschichte. Das müsste eigentlich ein Film werden.
Ein emotionaler Abschied von Phil Taylor
SPORT1: Würde man Ihr Leben verfilmen, dürfte ein Moment im Januar 2018 nicht fehlen. Sie haben Phil Taylor zum allerletzten Mal auf eine WM-Bühne geholt.
McDonald: Es war atemberaubend. Ich meine, ich habe ihn zum Weinen gebracht! Er hat wirklich zu mir gesagt: ‚John, du hast mich zum Weinen gebracht.‘ Und dass es herausragend gewesen sei, was ich für ihn getan hätte. Ich habe nur entgegnet: ‚Es ist okay, du verdienst es.‘ Er ist der größte Spieler, den es je geben wird.
SPORT1: Wird Luke Littler da jemals herankommen?
McDonald: Nein, er hat noch einen langen Weg zu gehen, es sind die frühen Tage seiner Karriere. Als ich vor 20 Jahren zur PDC gekommen bin, haben mir die Leute gesagt: ‚Wir sind mal gespannt, gegen wen Phil im Finale spielen wird.‘ Da war noch nicht ein Dart geworfen. So sicher waren sich alle, dass Phil das Turnier gewinnt. Das mal zum Vergleich – und trotzdem ist Luke einer der bemerkenswertesten Menschen, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Und das sage ich als einer, der seit 1982 im Sport-Business tätig ist.
SPORT1: Was macht ihn so speziell?
McDonald: Er hat einen nahezu unglaublichen Glauben an sich selbst, es ist schon fast erschreckend. Ich habe ihn im Alter von elf Jahren kennengelernt. Damals hat mir Gary Plummer, der heute sein persönlicher Manager ist, schon gesagt, was für ein Talent er ist. Dann gab es vor zwei Jahren das WM-Finale der JDC (für unter 16-Jährige; Anm. d. Red.) hier im Ally Pally – an einem Mittag vor leerer Halle. Ich saß exakt an diesem Platz backstage. Dann bin ich rausgegangen, habe ihn auf die Bühne geholt, er hat 5:3 gewonnen. Danach gehe ich zu ihm und sage: ‚Luke, herzlichen Glückwunsch. Du wirst erst im Januar 16 Jahre alt. Eines Tages spielst du hier auf der großen Bühne und der Ally Pally wird voll mit Menschen sein.‘ Er antwortete mir nur: ‚Ja, richtig. Am Mittwoch.‘ Ich habe mich also gefragt: Kann er bei seinem Debüt ein Match gewinnen? Am Ende stand er im Finale. Und gewinnt die WM im Jahr darauf. So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen.“
SPORT1: Wie haben Sie – neben Luke Littler - über zwei Dekaden die verschiedenen Spieler auf der Tour wahrgenommen und kennengelernt?
McDonald: Auf ganz unterschiedliche Weise. Manche Spieler fragen dich nach einem gemeinsamen Spaziergang am Morgen, mit manchen esse ich zu Mittag. Manche Spieler fragen mich auch um Rat. Sie kommen zu mir wegen finanzieller Probleme oder auch mit Problemen in der Ehe: Wir teilen das. Wir teilen das Desaster und den Ruhm.
Vom Ally Pally in den neuen Lebensabschnitt
SPORT1: Thema spazieren. Sie wissen, worauf ich hinauswill…
McDonald: Natürlich. Ich laufe jeden Morgen vom Spielerhotel zum Ally Pally. Das sind 1 ¾ Stunden, über acht Kilometer. Aber das ist meine Entscheidung. Wo auch immer auf der Welt ich bin, ob hier, in Deutschland oder den Niederlanden: Ich laufe. In dieser Zeit bekomme ich meinen Kopf frei. Aber natürlich ist es auch hart: Während der WM verlasse ich das Hotel um 8.30 Uhr – und komme um Mitternacht zurück. Das ist anstrengend, auch für mich.
SPORT1: Drei Tage haben Sie noch vor sich. Was folgt danach eigentlich?
McDonald: Es wird keine TV-Sachen mehr von mir geben! Ich habe noch ein paar Verpflichtungen auf Island und den Philippinen, mache noch eine Exhibition mit dem Militär und dann verbringe ich viel Zeit mit meiner Frau, den Kindern und Enkeln. Ich schulde einigen Menschen ein bisschen Zeit. Ich werde also die ersten Jahre beschäftigt sein. Und ich habe ein Wohnmobil, mit dem ich gerne herumreise und mir Orte anschaue. Ich bin sehr gesegnet, ich war schon gefühlt überall – aber noch nie in Kroatien. Dort will ich mit meiner Frau hin…