Von Reinhard Franke
Peter Neururer im SPORT1-Interview
"Ich werde auf keine Bremse treten"
München - Viel Fußball-Leidenschaft - oder kurz: VfL.
Trainer Peter Neururer lässt seinen VfL Bochum gerade neu erblühen. Die Fans sind hellauf begeistert, was sie da wachsen sehen.
In der Zweiten Liga legte der Revierklub mit vier Punkten aus zwei Spielen einen bemerkenswerten Saisonstart hin und im DFB-Pokal gab es in der ersten Runde einen 2:0-Sieg gegen den VfB Stuttgart.
Ein Dreier im Heimspiel am Montagabend gegen Union Berlin, und es winkt nach dem 3. Spieltag Platz eins (DATENCENTER: Ergebnisse und Tabelle).
Vor dem Duell mit den "Eisernen" (ab 19.45 Uhr LIVE im TV auf SPORT1, LIVE auf SPORT1.fm und im LIVE-TICKER) spricht Neururer im SPORT1-Interview über den VfL, ein Traumziel und einen verlorenen Sohn.
SPORT1: Herr Neururer, Glückwunsch zum gelungenen Saisonstart.
Peter Neururer: Der Start ist uns gelungen, keine Frage, aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir im letzten Jahr auch vier Punkte auf der Habenseite hatten und im Pokal auch in die zweite Runde eingezogen sind. Also sollte man das nicht zu hoch hängen. Wir freuen uns darüber, dass wir jetzt eine Situation erleben, in der mal keiner auf den VfL Bochum draufhaut. Wir wissen, was wir können, aber wir sind erst am zweiten Spieltag.
SPORT1: Gibt es einen neuen Geist beim VfL?
Neururer: Neu ist die Anzahl der erzielten Tore. Unser Offensivfußball, basierend auf einer guten Defensive, funktioniert in den ersten Spielen und da beziehe ich auch die Spiele in der Vorbereitung gegen Schalke und Wolfsburg mit ein. Das sieht gerade nach Fußball aus. Wir haben uns prima verstärkt, haben mehr Tempo und mehr Technik im Spiel. Das ist alles herrlich, aber das sagt nichts über die Endqualität aus.
SPORT1: Wie sieht Ihr Traum von der Endqualität aus?
Neururer: Der Traum ist der, dass das, was sich einige Leute wünschen, irgendwann auch komplett umgesetzt wird. Momentan ist alles schön. Es herrscht eine fantastische Stimmung im Stadion und das hat man beim VfL Bochum lange vermisst. Da ist eine Symbiose entstanden zwischen Publikum, Fan-Verhalten und Mannschaft. Die Ergebnisse stimmen zudem, was natürlich klasse ist. Wenn da jemand träumt, dann wird er von mir jede Unterstützung bekommen. Ich bin aber nicht für Träume zuständig, sondern für die Realisierung der Dinge, die ich für möglich halte.
SPORT1: Paderborn hat es letztes Jahr vorgemacht. Denkt man in Bochum nicht insgeheim auch an ein Sensationsjahr, das mit dem Aufstieg gekrönt werden könnte?
Neururer: Mein Traumziel ist es, mit dem VfL in die Bundesliga zurückzukehren. Daran arbeiten wir, aber dass es in diesem Jahr schon klappt, ist unrealistisch. Es gibt andere Mannschaften, die uns sportlich und finanziell weit überlegen sind. An dieser Überlegenheit kratzen zu können, das ist unser Auftrag in dieser Saison.
SPORT1: Gegen Union will man nun sicher nachlegen...
Neururer: Selbstverständlich. Wenn wir gegen die "Eisernen" gewinnen sollten, dann hätten wir gegen die drei Gegner sieben Punkte geholt, gegen die letzte Saison in vergleichbaren Situationen - Fürth und Union zuhause, Aue auswärts - null Punkte zu Buche standen. Selbst wenn wir gegen Union verlieren sollten, wovon ich nicht ausgehe, hätten wir gegen Mannschaften im direkten Vergleich also vier Punkte mehr geholt. Es ist also eine Besserung zu sehen.
SPORT1: Sie sind ein Typ, der schwer zu bremsen ist in seinen Emotionen. Müssen Sie jetzt dennoch auf die Euphorie-Bremse treten?
Neururer: Nein, im Gegenteil. Wenn ich beim VfL so etwas wie Euphorie aufkommen sehe, was bei diesem sensiblen Umfeld wichtig wäre, dann schüre ich die nochmal richtig. Ich werde da auf keine Bremse treten, aber ich werde trotz der vielen Dinge, die gerade bei uns bejubelt werden, kein neues Saisonziel ausgeben. Wir wissen, dass wir wertvolle Fähigkeiten haben, aber unsere Decke gerade im Defensivbereich ist viel zu dünn.
SPORT1: Dank Neuzugang Jan Simunek zeigt sich die Abwehr aber in hervorragendem Zustand.
Neururer: Das stimmt. Jan ist derjenige, der bisher absolut überragende Leistungen gezeigt hat. Er ist für mich mit Patrick Fabian das beste Innenverteidiger-Duo in dieser Liga. Das Gespann macht mich unheimlich glücklich. Zu den beiden gehören auch noch auf den Außen Timo Perthel und Stefano Celozzi. Wenn sich jedoch einer verletzt, haben wir zwar Alternativen, aber nicht mehr allzu viele.
SPORT1: Wird personell nochmal nachgebessert?
Neururer: Das wird nicht gehen. Wir haben finanzielle Schwierigkeiten im Verein und haben augenblicklich das Beste aus unseren Möglichkeiten gemacht. Wir haben keinen Spieler verpflichtet, der nur einen Cent Ablöse gekostet hat. Alle Spieler, die geholt wurden, sind Stammspieler. Zudem haben wir Jungs, die aus dem eigenen Verein kommen, wie Selim Gündüz, Onur Bulut oder Henrik Gulden. Da passt alles.
SPORT1: Auch bei Ihrem Stürmer Simon Terodde passt gerade alles. Er kam im Sommer von Union Berlin und ist so etwas wie Ihr verlorener Sohn. Terodde trainierte unter Ihnen bereits beim MSV Duisburg. Warum hat es damals nicht geklappt?
Neururer: Es hat schon geklappt, ich habe dem Simon nur klar gemacht, dass er bei der Konkurrenz in seinem Alter keine Chance hatte, zu der Spielpraxis zu kommen, wie er es verdient gehabt hätte. Von daher habe ich ihm einen Vereinswechsel nahe gelegt. Das hatte aber nichts mit meiner Wertschätzung für ihn zu tun. Es war einfach ehrlich von mir. Jetzt bin ich froh, dass er beim VfL Bochum das zeigen kann, was ich ihm damals schon zugetraut hatte.
SPORT1: Terodde könnte gegen seinen Ex-Klub das Zünglein an der Waage sein. Was ist gegen die Berliner drin?
Neururer: Da ist alles drin. Wir haben letztes Jahr zu Hause gegen Union 0:4 verloren und sind jetzt nach unserem Start sowas wie der Favorit. Mit einer guten Offensive, zu der mit Terodde ausgerechnet ein Ex-Unioner seinen Teil beiträgt.