2. Bundesliga>

Relegation: Als der HSV den KSC in die Krise stürzte

Ein HSV-Moment für die Ewigkeit

Vor sechs Jahren traf der Hamburger Sportverein in der Relegation auf den Karlsruhe SC. SPORT1 erinnert sich.
Marcelo Diaz rettete den HSV gegen den KSC
Marcelo Diaz rettete den HSV gegen den KSC
© Imago
Vor sechs Jahren traf der Hamburger Sportverein in der Relegation auf den Karlsruhe SC. SPORT1 erinnert sich.

In den Annalen finden sich ein 0:8, ein 0:7 und insgesamt 20 Punktspielniederlagen des Karlsruher SC gegen den Hamburger SV. Keine aber war bitterer als jene vor sechs Jahren, als es nicht um Punkte, sondern schlicht um die Bundesliga-Teilnahme ging.

Der „Dino“ setzte sich damals durch und feierte seine Rettung tagelang. Für den KSC ging es anschließend bergab in die 3. Liga. Doch nichts währt ewig – im Fußball schon mal gar nicht. (2. Bundesliga: Karlsruher SC - Hamburger SV, 20.30 Uhr im LIVETICKER)

Heute treffen sie sich im Topspiel schon zum dritten Mal seit jenen Ereignissen aus dem Frühsommer 2015 im Wildpark wieder. In der 2. Liga, die die einen verlassen und die anderen eigentlich niemals hatten betreten wollen.

Karlsruhers geglaubter Aufstieg

Mai 2015. Wie im Vorjahr beendet der HSV die Bundesligasaison auf dem 16. Platz, wieder muss er in die Relegation. So wie 2014 gegen Fürth kommt er auch gegen den Karlsruher SC zu Hause nicht über ein Unentschieden (1:1) hinaus und hat noch Glück angesichts von zwei Lattentreffern der Gäste. Die sind dank der Auswärtstorregelung bei Anpfiff des Rückspiels schon mit einem Bein in der Bundesliga an jenem wolkenverhangenen Montag des 1. Juni 2015.

3600 Fans begleiten den HSV im Grundvertrauen darauf, dass dieser Verein nicht absteigen kann. Von den 16 Gründungsmitgliedern 1963 hat nur der HSV nie gefehlt und so firmiert er 2015 längst als der letzte Dino der Bundesliga, dementsprechend sieht das Klubmaskottchen aus. Mit Stolz lassen sie im eigenen Stadion die überdimensionale Bundesligauhr laufen, die die Sekunden zählt seit dem 24. August 1963.

Viel Folklore und Kult, die der Mannschaft nicht unbedingt hilft. Der Druck, nicht absteigen zu dürfen, weil es das absolut Undenkbare wäre, lähmt die Rothosen auch in der Relegation. Das Rückspiel lebt von der Spannung, die KSC-Fans zählen die Minuten bis Abpfiff, ein 0:0 würde ja schon reichen. Ein 1:0 wäre natürlich noch besser und als es nach 78 Minuten durch Joker Reinhold Yabo fällt, tanzt der Wildpark.

Vor dem HSV-Block postieren sich die Ordner, die, je näher das Ende rückt, von einer Polizeistaffel Verstärkung erhalten. Man befürchtet einen Platzsturm, wie es längst Unsitte geworden ist bei Fans, deren Vereine absteigen. Dieser Moment ist nahe, näher denn je. Der HSV stürmt mit dem Mute der Verzweiflung, Pierre-Michel Lasogga trifft den Pfosten, Karlsruhes Manuel Gulde klärt einen Kopfball von Johann Djourou auf der Linie. Soll es diesmal nicht sein?

90+1 Die Rettung des HSV

Dann lächelt Fortuna den Hanseaten doch noch zu. In der 91. Minute schießt der aufgerückte HSV-Verteidiger Slobodan Rajkovic Karlsruhes Jonas Meffert aus nächster Nähe mit Wucht an. Meffert kann sich nicht mehr ganz wegdrehen, der Ball landet am Oberarm. Schiedsrichter Manuel Gräfe, einer der Besten seiner Zunft, sieht ein Handspiel und gibt einen umstrittenen Freistoß.

Die Frage, ob Absicht oder nicht bei Mefferts Handspiel vorgelegen habe, wird noch bis heute diskutiert. Damals gibt es noch keinen VAR, Gräfe erhält keinerlei Assistenz. Jens Todt, damals Sportdirektor des KSC, ist sich Jahre später sicher: „Der heutige Videobeweis hätte Gräfe damals korrigiert.“ Aber niemand hilft oder berät Gräfe, zumindest nicht von neutraler Seite. Dass die KSC-Bank tobt, liegt in der Natur der Sache.

Beim HSV behalten sie kühlen Kopf. Etwa 20 Meter vor dem Tor schnappt sich Marcelo Diaz, ein im WSV (dem Wintertransferfenster) erworbener Chilene, den Ball. Rafael van der Vaart kommt hinzu, will in seinem letzten Spiel Verantwortung tragen und zum Retter werden. Doch Marcelo Diaz schickt ihn lächelnd weg und sagt die längst legendären Worte: „Tomorrow, my friend, tomorrow.“ Angeblich.

So steht es nun auf T-Shirts und Kaffeebechern, denn – man ahnt es – Diaz trifft prompt mit einem sehenswerten Schlenzer über die springende Mauer und verschiebt den HSV-Abstieg um drei Jahre. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der 2. Bundesliga)

Dass die Worte so gefallen sein sollen, streitet van der Vaart übrigens später ab. „Das hat er nie gesagt, aber für die Geschichte ist es schön.“, erzählt er der Sport Bild im Mai 2017, „Diaz war einfach schneller, er ist angelaufen, hat ihn reingeschossen. Alles gut.“ Diaz wiederum hat die andere Version in einem TV-Interview bestätigt.

Vielleicht war es einfach zu laut in diesem Moment brodelnder Emotionen als dass van der Vaart sie gehört haben konnte? Für die Fans sind die Worte gefallen, so wie das Tor gefallen ist, das den HSV in die Verlängerung bringt. Wo das Drama um Leben und Tod in der Bundesliga weitergeht. Es kostet Nerven, gleich zwei HSV-Spieler (Maximilian Beister und Petr Jiracek) sehen auf der Bank Gelb. In der Verlängerung ist der HSV psychologisch im Auftrieb und er hat die besseren Joker.

Der 4,5 Millionen-Einkauf aus Mainz, Nicolai Müller schießt in der 115. Minute auf Vorlage des Brasilianers Kleber das Tor zur nächsten Bundesliga-Saison. Beide hat Labbadia eingewechselt. Nun braucht der KSC plötzlich zwei Tore und resigniert. Dass Rouwen Hennings mit seinem Elfmeter in letzter Minute an Keeper René Adler scheiterte, rundet den glücklichen HSV-Montag ab. Adler sagte nach dem Spiel: „Die Mannschaft lag am Boden, aber wir haben den Glauben niemals verloren, niemals!“ Der Kicker schrieb: „Dieser HSV ist unabsteigbar!!“

Der KSC im freien Fall

Fragt sich nur, warum. Beim KSC wittern sie Betrug. Trainer Markus Kauczinski ist noch relativ gefasst auf der Pressekonferenz, aber Kritik kann er Gräfe nicht ersparen, nennt den Freistoß noch höflich „zweifelhaft“, obwohl er eigentlich keine Zweifel hat, denn „das Kriterium der Körpervergrößerung habe ich nicht gesehen.“

Er wisse aber „dass es im Fußball Aktionen gibt, die an im Nachhinein nicht erklären kann, die aber dazu gehören.“ Da sprach ein Verlierer der besonders fairen Sorte.

Weniger gelassen drückte sich Sportdirektor Todt aus, er spricht im ersten Eifer die legendären Worte: „Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte.“ Präsident Ingo Wellenreuther, seit sieben Jahren im Amt, glaubt: „Jetzt wird ein bisschen getrauert, aber die Spieler und wir alle werden aus der Topleistung gegen den großen HSV und der gesamten Saison Kraft schöpfen.“ Irrtum.

Tatsächlich ergeht es den Badenern wie den meisten Zweitligisten, die in der Relegation scheitern. Sie lassen nach. (DATEN: Die Tabelle der 2. Bundesliga)

Platz 7 im nächsten Jahr folgt der Abstieg 2017 als Dritter und zwei Jahre Warteschleife in Liga 3. Als sie 2018 zurückkehren, ist der HSV schon ein Jahr Zweitligist. Der Abwärtsstrudel, in dem sich der Dino seit Jahren befunden hat, ist stärker als alle Folklore.

Mittendrin ist am Ende übrigens Jens Todt, der im Januar 2017 als „Direktor Profifußball“ ausgerechnet beim HSV, für den er einst kickte, einsteigt und im März 2018 wieder entlassen wird. So hat er immerhin noch 14 Monate Bundesligaluft bei dem Klub geschnuppert, der ihm im alten Job diese verwehrt hatte. Dass er ihn absichtlich auf Abstiegskurs getrimmt hat, behaupten nur böse Zungen. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur 2. Bundesliga)

Der geballte KSC-Ärger galt ja 2015 dem Schiedsrichter, der Todt „die größte Enttäuschung in meinem Fußballerleben“ eingebracht hat, wie er 2019 sagt.

Und Manuel Gräfe? Hat schon mehrmals beteuert, dass ihn keine Entscheidung mehr beschäftigt habe als jener Freistoß am 1. Juni 2015 im Wildpark. „HSV gegen Karlsruhe war das schwerste Spiel meiner Karriere“, sagte er noch im April dieses Jahres. Er pfeift immer noch Spiele in beiden Ligen, aber eine KSC-Partie hat er nie mehr geleitet.

Zufall? Eher nicht:

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