Tim Walter (46), Trainer des Hamburger SV, gilt als selbstbewusst, meinungsstark, und emotional. Beim Karlsruher SC und dem FC Bayern München arbeitete er erfolgreich in der Jugend und für die Amateurteams. Bei Holstein Kiel und dem VfB Stuttgart waren die Ergebnisse seiner Arbeit in der 2. Liga höchst unterschiedlich.
Tim Walter: „Ich provoziere gerne“
Nun hat Walter in dieser Saison mit dem HSV gute Chancen, endlich den ersehnten Aufstieg in die Bundesliga zu schaffen. Walter hat klare Meinungen und hält damit auch nicht hinter dem Berg. Ein Gespräch mit Business-Coach und Autor Mounir Zitouni über Streitkultur, Echtheit und Authentizität.
Walter: Wichtig ist die Fähigkeit zu streiten
Offenheit ist für HSV-Trainer Tim Walter einer der großen Schlüssel seiner Arbeit und seiner Führungskultur.
„Früher waren Trainer Platzhirsche und haben immer alles von oben vorgegeben. So kommt man nicht weiter. Jeder hat seinen Standpunkt, trotzdem muss man sich auch über diese Dinge austauschen. Man kann nur dazulernen und von jeder Meinung was mitnehmen. Austausch und Kommunikation sind das A und O“, sagt Walter.
Die Fähigkeit zu streiten, sich die Meinung zu sagen, ohne das persönlich zu nehmen, das ist für Walter ein Pfeiler des Erfolgs. „In Hamburg können wir intern sehr gut miteinander, aber trotzdem versuchen wir uns offen und ehrlich die Meinung zu sagen. Das ist wie in einer Beziehung.“
Trotzdem geht es für ihn auch darum, eine gewisse Konsequenz nach außen zu tragen, Klarheit über den eigenen Weg zu haben.
Walter: „Es geht darum, sich treu zu bleiben“
„Es ist wichtig, dass du dich auf den Weg machst und den nicht infrage stellst Woche für Woche. Wenn man sich kurzfristig abhängig macht von Ergebnissen, dann erlebt man ein bitteres Aufwachen. Es wäre falsch, wenn man sich jede Woche von Ergebnissen lenken lassen würde. Es geht darum, sich treu zu bleiben und offen zu sein für Kritik“, fasst es Walter zusammen. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der 2. Bundesliga)
„Beim HSV sind wir uns einig, dass wir uns nicht von außen lenken lassen. Wir haben intern beschlossen, dass wir einen gemeinsamen Weg gehen. Es ist wichtig, dass der Verein eine eigene Identität hat, wofür er steht. Das ist die Grundvoraussetzung, um erfolgreich zu sein“, glaubt der HSV-Coach.
Das hat auch Konsequenzen für den Posten des Trainers. „Ich glaube, dass sich Vereine da unabhängiger von Trainern machen sollten und für sich eine Philosophie erarbeiten, wofür der Verein steht. Das fehlt mir ein wenig. Momentan geht es nur darum, erfolgreich zu sein. Und wenn ich nicht erfolgreich bin, dann tausche ich wieder Personalien aus.“
Die Spieler müssen selber Verantwortung übernehmen
Was den Umgang mit seinen Spielern angeht, da hat Walter klare Vorstellungen. Er will die Fußballer zu mündigen, entscheidungsfreudigen Mitarbeitern machen.
Er sieht den aktuellen Umgang mit Talenten kritisch. „Wir erziehen unsere Spieler dazu, dass sie keine Entscheidungen mehr treffen. Das merkt man dann auch auf dem Platz, dass die Verantwortung immer an den nächsten weitergegeben wird und dann nochmal an den nächsten weitergegeben wird. Keiner will mehr Fehler machen, also treffe ich keine Entscheidungen“, kritisiert er.
„Wir schaffen es, in den Nachwuchsleistungszentren alle gleich zu erziehen. Wir scheren alle Spieler über einen Kamm. Alle, die ein bisschen ausbrechen und ein wenig eigen sind, versuchen wir zu sanktionieren, versuchen wir auszusortieren, erwarten aber trotzdem, dass sie Entscheidungen treffen und dass sie anders sind als andere.“ (NEWS: Alle aktuellen Infos zur 2. Bundesliga)
Deshalb ist für ihn von großer Bedeutung: „In der Jugendarbeit ist es wichtig, dass man die Jungs dazu bringt, ihre eigene Meinung zu äußern und dass man sie nicht alle gleich macht.“
Doch Walter mag die Extreme, vor allem im Umgang mit den Spielern. „Ich provoziere gerne – in allen Bereichen. Ich versuche Anreize zu schaffen, Jungs dahin zu bringen, von innen heraus Dinge zu tun, extrinsisch durch mich motiviert.“
Dass in Hamburg der Druck riesig ist, das ist für Walter kein Problem. „Druck ist ein Privileg. Wenn man Druck hat, dann heißt es, dass man was erreichen kann. Daraus kann man nur Positives ziehen. Wenn man das hat, dann hat man schon vieles richtig gemacht. Für viele ist das negativ behaftet, aber wer um nichts spielt und nichts erreichen will, der ist fehl am Platz.“
Mounir Zitouni (51) war von 2005 bis 2018 Redakteur beim kicker und arbeitet seitdem als Businesscoach, betreut Sportler, Trainer und Führungskräfte in punkto Auftreten, Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung. Der ehemalige Profifußballer (OFC, SV Wehen, FSV Frankfurt, Esperance Tunis) hat zuletzt die Autobiographie von Dieter Müller verfasst und veröffentlicht regelmäßig eine Kolumne auf www.sport1.de.