Großen Wert auf die eigene Familie und gute Freunde legen? Ist eine Einstellung, mit der sich Martijn Kaars sicherlich nicht von der breiten Masse der Bevölkerung abhebt. Doch den 25-Jährigen spornt die reine Anwesenheit seiner engsten Mitmenschen augenscheinlich so sehr wie kaum jemand anderen an. Für 33 Familienmitglieder und Freunde hatte er Tickets für das Spiel des 1. FC Magdeburg auf Schalke besorgt. Einige Karten erhielt Kaars nach eigenen Angaben über seinen Arbeitgeber, andere ergatterte er selbst auf handelsüblichem Weg im Internet. „Ich bin schnell beim Ticketkauf“, scherzte er.
Der Mann der Stunde
Für Kaars war es schließlich nicht irgendeine Partie. „Wir haben in der Nähe von Holland gespielt. Jedes Spiel ist wichtig. Aber Schalke auswärts ist speziell“, gab der gebürtige Niederländer hinterher an. Seinen persönlichen Anhang sollte er nicht enttäuschen. Mit 5:2 schoss der FCM die Königsblauen aus dem eigenen Stadion, Kaars sorgte fast im Alleingang für das mehr als deutliche Ergebnis. „Beim Spiel in Düsseldorf waren sogar 71 Leute, da habe ich auch zwei Tore und eine Vorlage erzielt. Vielleicht müssen jedes Spiel so viele Menschen für mich kommen“, grinste der Mann der Stunde und personifizierte Schalker Albtraum vor sich hin.
Kaars mit Gala gegen Schalke
Fünf Tore, viermal davon hieß der Torschütze Kaars – der erste Viererpack seiner Karriere. Verständlich, dass der so treffsichere Stürmer an diesem denkwürdigen Abend ein Souvenir mitnehmen musste. Nach britischer Sitte entschied er sich für den Spielball, den er nach der Partie nicht mehr hergeben wollte und voller Stolz nach dem Schlusspfiff zu den Interviews in die Mixed Zone schleppte. „Vier Treffer in einem Spiel habe ich vielleicht mal in der Jugend erzielt, mit 12 oder 13 Jahren“, schmunzelte Kaars. Pflichtbewusst erledigte er zuvor alles, was vorne so an Aufgaben anfiel: Anlaufen der gegnerischen Verteidiger, Bewahren von Ballbesitz auch in Stresssituationen, Konsequenz in Offensivaktionen.
Beim 1:0 lupfte er die Kugel lässig über den Keeper Justin Heekeren hinweg, beim 2:0 schoss er nach einer Umschaltsituation trocken ins lange Eck. Im Rutschen und typischer Torjäger-Manier drückte der den Ball zum 3:0 über die Linie, ehe er sich beim 5:1 wieder aller Freiheit erfreute, Heekeren leicht wie locker umkurvte und dann problemlos einschob. Alles in allem ein nahezu perfekter Abend für Kaars – mit einem klitzekleinen Wermutstropfen: Liebend gerne hätte er seine wieder einmal beeindruckende Torschau gegen einen anderen Trainer als ausgerechnet Kees von Wonderen zelebriert.
Kaars: Einst von van Wonderen trainiert
„Er war für einige Spiele mein Trainer in der niederländischen U18-Nationalmannschaft. Ich habe viel von ihm gelernt“, klärte der Mann der Stunde auf. „Wir haben kurz vor dem Spiel gesprochen. Da hat er mir viel Glück gewünscht. Eben hat er mir dann gratuliert und gesagt, ich soll so weitermachen. Kees ist ein guter Mensch, ein guter Trainer.“ Und offenbar einer der ersten, der seine Anlagen registrierte. Immerhin konnte der 56-Jährige aus einem illustren Pool an Talenten auswählen: Donyell Malen, Justin Kluivert, Cody Gakpo oder Noa Lang - auf Kaars wollte er allerdings nicht verzichten.
Van Wonderen sei „damals gefragt worden: Warum nimmst du ihn dazu? Und ich finde“, erklärte der heutige Schalke-Coach, „dass jede Mannschaft unterschiedliche Qualitäten haben muss.“ Der bei Ajax Amsterdam ausgebildete Kaars gilt als fleißiger Arbeiter, der Tiefe, Torgefahr und Schnelligkeit in einem Paket vereint. Dennoch geriet seine Karriere auf Vereinsebene zunächst ins Stocken. Während seine einstigen Mitspieler Malen, Kluivert, Gakpo und Lang früh auf der europäischen Bühne durchstarteten, wechselte er zurück in die Zweitklassigkeit zum FC Volendam. Doch auch dort sah er nach dem Aufstieg in die Eredivisie 2022 keine Perspektive mehr.
Stattdessen blieb Kaars eine Liga tiefer und schloss sich Helmond Sport an. Eine gute Entscheidung, wie sich bald herausstellen sollte. In seiner ersten Saison erzielte er 14 Tore, im Jahr darauf waren es gar 21 Treffer in 38 Ligaspielen - die ideale Bewerbung für den Schritt ins Ausland. Dass die Elbestädter ihn auf dem Radar hatten und letztlich auch zuschlugen, lobte van Wonderen, mit Schalke Leidtragender von Kaars‘ irre guter Form, ausdrücklich: „Großes Kompliment an Magdeburg, sie haben dieses Talent erkannt. Er ist nicht groß, kein typischer Stürmer für Kopfbälle, aber unheimlich stark bei Laufwegen in die Tiefe. Diese Stärke kann Martijn jetzt perfekt ausspielen.“
Kaars auf den Spuren von Podolski und Terodde
Wohl wahr. Dass der Sommer-Neuzugang, der 800.000 Euro Ablöse kostete, für den Großteil der Abwehrspieler in Liga 2 zu schnell und immer wieder einfach zu gut ist, erfuhren die Schalker um ihren bemitleidenswerten Innenverteidiger Marcin Kaminski am Samstag nicht exklusiv. Die letzten drei Auswärtsspiele gewann Magdeburg allesamt mit 5:2 - sehr viel hatte das mit Kaars zu tun. In Düsseldorf, dem letzten Duell vor Weihnachten, steuerte er zwei Tore und eine Vorlage bei. In Elversberg folgte ein sensationeller Hattrick, den er mit zwei weiteren Assists veredelte.
Fünf Scorerpunkte in einem Zweitligaspiel hatten zuvor nur wenige geschafft. Wenige, aber dafür äußerst prominente Namen: Lukas Podolski, Nils Petersen, Simon Terodde, Marvin Ducksch und Robert Glatzel. Kaum verwunderlich jedoch, dass keiner von ihnen beim unmittelbar daran anschließenden Auftritt in Fremde einen Viererpack nachlegen konnte. Allein dem Niederländer war dieses Kunststück vorbehalten. „Die 2. Bundesliga ist perfekt für mich“, betonte Kaars zuletzt. Nach den jüngsten Gala-Vorstellungen wird ihm niemand mehr widersprechen. Mit 14 Saisontoren führt er mittlerweile sogar die Torjägerliste an.
Ein Zwischenerfolg, der nicht von ungefähr kommt, sondern hart erarbeitet wurde. Kein anderer Akteur der Liga sprintet auch nur annähernd so oft wie Kaars. „Wenn er über 40 Mal pro Spiel sprintet, kommt er irgendwann automatisch in die Position, wo er seine Möglichkeiten bekommt“, beschrieb FCM-Trainer Christian Titz die einfache Rechnung. Der Niederländer sei „unermüdlich über die komplette Spielzeit“ und habe eine „hohe Bereitschaft, immer wieder weiterzumachen“. Das zahlt sich aus. So gab Kaars nicht weniger glücklich zu Protokoll: „In die Tiefe zu laufen und Tore zu schießen, das ist meine Qualität. Wir spielen in Magdeburg viel vertikal, das kommt mir entgegen.“
Magdeburgs kuriose Heim-Auswärts-Bilanz
Die Folge: Längst hat sich Kaars für die Magdeburger, die im Sommer eine für ihre Verhältnisse hohe Investition getätigt haben, als echter Glücksgriff erwiesen. „Es war sehr schwierig für uns, uns gegen die Mitkonkurrenten durchzusetzen, da Martijn einen Markt hatte und auch international im Fokus stand“, verriet Geschäftsführer Otmar Schork. „Wir sind an unsere Grenzen gegangen, um diesen Transfer möglich zu machen.“ Nun scheint sich jeder einzelne Cent voll auszuzahlen. Allein diese eine verflixte Statistik gilt es in den kommenden Wochen noch zu übertünchen.
Derzeit hat der FCM eine wohl einmalige Heim- und Auswärtsbilanz vorzuweisen. Im eigenen Stadion konnte die Titz-Elf noch keinen einzigen Sieg einfahren, auswärts dagegen schon 28 Punkte. Ergibt: Platz eins in der Auswärtstabelle, Platz 18 in der Heimtabelle. Auch bei Kaars Zahlen drückt sich das aus. Zwölf seiner 14 Saisontore erzielte er in der Fremde. Dass Magdeburg dennoch Dritter ist, lässt hoffen, dass sie bis zum Schluss eine gewichtige Rolle spielen könnten. Das Wort „Aufstieg“ ist an der Elbe allerdings bisher tabu.