Home>Fußball>

Vor 30 Jahren: Das letzte Länderspiel der DDR

Fußball>

Vor 30 Jahren: Das letzte Länderspiel der DDR

{}
{ "placement": "banner", "placementId": "banner" }
{ "placeholderType": "BANNER" }

Das verrückte Finale Furioso der DDR

Am 12. September 1990 bestritt die DDR-Nationalelf in Brüssel ihr 293. und letztes Länderspiel – heute vor 30 Jahren. Unter absurden Bedingungen. Ein Rückblick.
Andreas Wagenhaus (l.) im Zweikampf mit Marc Wilmots
Andreas Wagenhaus (l.) im Zweikampf mit Marc Wilmots
© Imago
Udo Muras
Udo Muras

Wenn ihm 1989 jemand gesagt hätte, dass er im Jahr 1990 vor einer Liste von 22 Fußballernamen sitzen würde, Eduard Geyer hätte gewiss sofort eingeschlagen. 1990 war schließlich ein WM-Jahr und ein WM-Kader bestand damals aus 22 Spielern. Doch im September war die WM in Italien, die von der BRD gewonnen worden war, längst vorbei und die Liste, vor der der letzte Trainer der DDR damals saß, enthielt die Namen der Nationalspieler, die mit diesem Staat angesichts der nahenden Wiedervereinigung schon nichts mehr zu tun haben wollten.

{ "placeholderType": "MREC" }

22 Absagen gab es vor dem Freundschaftsspiel in Brüssel, das einmal ein WM-Qualifikationsspiel hätte sein sollen, ehe auch dieses Vorhaben vom Windhauch der Geschichte ausgepustet wurde. Gespielt werden aber sollte noch einmal und Geyer kratzte zusammen, was nicht bei drei auf den Bäumen war. In seiner Biographie schrieb er: "Ich habe wie ein Blöder rumtelefoniert, dass wir überhaupt 16 Spieler zusammen bekommen, doch einer nach dem anderen gab mir einen Korb."

Mit 14 Mann zum Länderspiel

Mit 14 Spielern musste er schließlich auskommen, zwei weniger als erlaubt. Auf der Bank und dem Spielberichtsbogen blieben Plätze frei. Was blieb, war eine Notbesetzung. Außer Matthias Sammer, damals bereits beim VfB Stuttgart, und dem Dresdner Jörg Stübner, mit 47 Einsätzen mit weitem Abstand der Erfahrenste, hätte wohl unter normalen Umständen keiner in der Startelf gestanden.

"Null Bock auf Länderspiel", titelte die in Ostdeutschland populäre "Fußball Woche". In Schwaben wurde sie nicht so sehr gelesen, Matthias Sammer jedenfalls wurde unangenehm überrascht. Als er zum Treffpunkt ins Olympiazentrum Kienbaum in Brandenburg kam, erblickte er viele unbekannte Gesichter. "Das wurde so nicht kommuniziert. Ich war sauer, ich kam mir blöd vor", gestand er in einer MDR-Doku von 2015.

{ "placeholderType": "MREC" }

Kein Thom, kein Kirsten, kein Doll, kein Ernst, kein Bräutigam und wie sie alle hießen – da wollte auch er nicht mehr und erkundigte sich spontan nach der nächsten Maschine von Berlin nach Stuttgart. Es ging aber keine mehr und Geyer überredete seinen Star und Kapitän mit Engelszungen zum Bleiben. Einen guten Abgang, mehr wollten sie ja nicht, nur mit Debütanten wäre das wohl nichts geworden im Stadion des RSC Anderlecht. Reichlich unerfahren und bunt zusammen gewürfelt war die Elf dennoch.

Lesen Sie auch

Als die Mannschaft in ihren weißen Hemden und blauen Hosen sich ein letztes Mal zur Nationalhymne stellte, klang der Text "Auferstanden aus Ruinen" wie Hohn. War doch von der Mannschaft, die erst im letzten Qualifikationsspiel die WM 1990 verpasst hatte, nur noch eine Ruine übrig geblieben. Der Länderspielschnitt dieser letzten DDR-Auswahl betrug 10,63.

Schaulaufen für die Bundesliga

Torwart Jens Schmidt aus Chemnitz und Mittelfeldspieler Jörg Schwanke aus Cottbus debütierten, Heiko Bonan (BFC Dynamo) machte sein zweites, Andreas Wagenhaus (Dresden) sein drittes Länderspiel. Abwehrchef Heiko Peschke (Jena) lief ebenso wie der heutige Düsseldorfer Trainer Uwe Rösler (Magdeburg) zum fünften Mal auf, neben ihm stürmte der Hallenser Dariusz Wosz, der ebenso wie Heiko Scholz mit sieben Spielen in die Annalen einging. Geradezu routiniert neben Sammer (23. Einsatz) und Stübner war der Dresdner Detlef Schößler (18).

Das belgische Fernsehen hatte auch so seine Schwierigkeiten, verwechselte bei der Vorstellung Bonan mit Reservist Stefan Böger und Schwanke mit Torsten Kracht, der ebenfalls auf der Bank saß. So also zogen sie ins letzte Gefecht. Dezimiert, demotiviert, ein bisschen beschämt. Ede Geyer immerhin trug Krawatte.

{ "placeholderType": "MREC" }

Werde Deutschlands Tippkönig! Jetzt zum SPORT1 Tippspiel anmelden

Da die sportliche Bedeutung der Partie hinter der historischen weit zurückblieb, fanden sich nur rund 10.000 Zuschauer im Vandenstock-Stadion ein. Sie hofften vergeblich auf Tore der belgischen Mannschaft, Enzo Scifo traf vor der Pause den Pfosten. Die Gäste wurden von einer Handvoll Getreuer begleitet, die die letzte Gelegenheit nutzten die DDR-Fahne bei einem Länderspiel zu schwenken.

Interessierte Beobachter auf der Tribüne: die Bundesligatrainer Christoph Daum, Willi Entenmann und Hannes Löhr sowie Gladbachs Manager Rolf Rüssmann – alle noch auf der Suche nach weiteren Billig-Importen aus dem zerfallenden Osten. Die meisten, die das letzte DDR-Spiel bestritten, hat man später noch in der Bundesliga gesehen – nur Torwart Jens Schmidt nicht.

Ein letzter Sieg

Das mag auch an der Leistung gelegen haben. Eduard Geyers Notbesetzung wehrte sich nach Kräften und die reichten am Ende des Fußballtages zu einem Überraschungssieg. Matthias Sammer entschädigte sich selbst für seinen Verbleib in der Mannschaft und erzielte, jeweils auf Vorlage Bonans, die Tore Nummer 500 und 501 im 293. Spiel der DDR-Auswahl seit der Premiere am 21. 9. 1952 in Warschau (0:2 gegen Polen). Das 0:1 (74.) artistisch aus kurzer Distanz mit rechts, das 0:2 nach einem Konter, bei dem er noch Torwart Michel Preud’homme ausspielte, mit links (89.).

Geyer belohnte danach mit Jens Adler auch den letzten Mohikaner seines Kaders, der Torwart aus Halle durfte eine Minute Länderspielluft schnuppern und kam nicht mehr an den Ball. Zuvor hatte er Böger und Kracht eingewechselt – alle die noch mal wollten durften am letzten Tag der DDR-Auswahl. Dann, um 21.53 Uhr, wurde diese Episode deutscher Sportgeschichte abgepfiffen.

DAZN gratis testen und internationale Fußball-Highlights live & auf Abruf erleben | ANZEIGE

Der TV-Reporter des DDR-Fernsehens, Uwe Grandel, sprach zum Abschied von "einem der bemerkenswertesten Ergebnisse unserer Geschichte" und Geyer noch 25 Jahre später von einem "im Nachhinein betrachtet historischen Abgang." Belgien war bei der WM immerhin ins Achtelfinale gekommen. Länderspielsieg Nummer 138 brachte den Spielern, die sich allmählich ans West-Geld gewöhnten, immerhin 5000 DM Prämie ein. Das hatte es im Sozialismus nicht gegeben.

Die neue Zeit hatte längst begonnen, während sich Geyer und sein Assistent Eberhard "Matz" Vogel um ein Uhr morgens im Brüsseler Mercure Hotel noch eine Havanna ansteckten und mit etwas Wehmut über die alte nachdachten. Erfolgreich war sie nicht. Nur einmal, 1974, nahm die DDR an einer WM teil mit dem Höhepunkt des 1:0-Sieges im Bruderkampf mit dem Westen. EM-Endrunden fanden komplett ohne sie statt und über den Medaillen bei Olympia (u.a. Gold 1976) lag stets der Schatten, mit der A-Mannschaft, die offiziell keine Profis waren, meist gegen Amateure angetreten zu sein.

Noch etwas bekümmerte den Trainerstab: Im Gegensatz zu ihren Spielern wurden sie nicht mit Angeboten überhäuft. Umso wichtiger war der gelungene Abgang – damals in Brüssel.