Für die entscheidendste Personalie benötigte der SC Freiburg im Sommer keinen Cent.
Das Phänomen Christian Streich
Während die Breisgauer insgesamt 21 Millionen Euro für Transfers wie die Rückkehrer Vincenzo Grifo und Jonathan Schmid hinblätterten, sehnte sich der wohl wichtigste Mann des Klubs nur nach etwas Ruhe.
"Unser wichtigster Neuzugang ist ein erholter Trainer", sagte Jochen Saier Anfang Oktober im CHECK24 Doppelpass auf SPORT1 über Christian Streich, der mit seinem Team aktuell den deutschen Fußball aufmischt.
"Streich", so verriet der Sportvorstand der Breisgauer bemerkenswerte Details, "will in der Pause nichts vom Fußball wissen". Erst am Ende der Transferphase wird der 54-Jährige, der seinen Scouts und Vorgesetzten vertraut, integriert.
Streich ist authentisch
Es ist eine dieser Besonderheiten dieses Klubs und dieses Mannes, der immer noch nicht in das monströse Fußball-Geschäft hineinzupassen scheint - und der ihm gleichzeitig mit seiner riesigen Authentizität, mit seiner menschlichen, einzigartigen Art so gut tut.
"Viele meinen vielleicht, dass er sich als jemand anderes gibt, als er eigentlich ist", sagte Timo Waslikowski bei SPORT1: "Aber wenn man ihn kennt, dann weiß man ganz genau: So wie er sich im Fernsehen gibt, so ist er auch wirklich."
Der ehemalige Junioren-Nationalspieler und Jugendspieler des SC Freiburg, der unter Streich menschlich und sportlich lernte, bezeichnet seinen früheren Förderer als "positiv Verrückten".
Streich zeigt Haltung
Streich fährt noch immer zu Heimspielen mit dem Fahrrad, auch auf Auswärtsreisen will er nicht auf seinen Drahtesel verzichten.
"Fahrrad fahren, lesen, im Stuhl sitzen, mit Kindern spielen - und wenn es geht, ab und zu lachen", erklärte Streich auf einer Pressekonferenz seine Methoden, um abzuschalten.
In den Medienrunden zeigt er sich mal als Philosoph, mal als Komiker, mal als Gesellschaftskritiker - aber immer mit Haltung.
"Christian ist in ganz wichtigen Themen neben dem Fußball ein sehr ernsthafter Mensch, der dann auch den Mut hat, Stellung zu beziehen", erklärte der frühere Freiburger Trainer Volker Finke im SPORT1-Interview.
Gerade weil der Fußball so im Fokus stehe, "ist es auch wichtig, dass man sich dieser Vorbildfunktion stellt und Position bezieht, und bei den Themen Hautfarbe und Rassismus den Mut hat, Farbe zu bekennen. Da ist Christian auf jeden Fall einer."
Streich fördert Sportler und Menschen
Seine Profis sind für ihn nicht nur Sportler, sondern vor allem Menschen, die er auch in diesem Bereich fördern will.
"Vor allem Demut", habe er vom Menschen Streich gelernt, verriet Nils Petersen im SPORT1-Interview: "Dass man dankbar ist für diesen Job, den wir tagtäglich ausüben dürfen. Er erinnert einen daran, nicht die Bodenhaftung zu verlieren."
Streich passt mit seiner Art perfekt in den familiären Klub, in dem jeder jeden zu kennen scheint. Jeder Spieler kennt den Platzwart und grüßt die Mitarbeiter der Geschäftsstelle mit Vornamen.
Ein Verhalten, das Streich, aber auch Sportvorstand Saier und Sportdirektor Clemens Hartenbach vorleben. Es ist ein Umfeld, das gute Energie hervorbringt - und keine Krawalle.
Streich genießt und schenkt Vertrauen
Selbst in schlechten Phasen kommt keine Unruhe auf. Abstiege wie 2015 werden nicht als Drama angesehen. So stieg der Klub eben ein Jahr später wieder auf.
"Wir strampeln alle gemeinsam jeden Tag. Wir haben im Innenverhältnis eine echte Zusammenarbeit. Da sind wir stabiler als andere Vereine. Wir arbeiten alle sehr eng und lange zusammen. Wir kennen uns in- und auswendig", erklärte Saier.
Streich habe sich "mit viel Fleiß, Disziplin und Geduld erarbeitet, dass er eben auch nach einem Abstieg mal unantastbar bleibt", analysierte Petersen: "Er hat die Leute rund um den Verein hinter sich, die auch nicht groß poltern, wenn es mal nicht läuft, sondern die Verantwortlichen in Ruhe arbeiten lassen."
Streich entwickelt Spieler
Junge Akteure kommen gerne in den Breisgau, dort erhalten sie Spielzeit und können sich entwickeln.
"Die Spieler, die mit Kritik und guter Arbeit umgehen können, für die sind wir der richtige Standort", sagte Saier über die "Wohlfühloase", die zahlreiche Jugendnationalspieler und zuletzt mit Robin Koch und Luca Waldschmidt zwei Debütanten bei Joachim Löw hervorgebracht hat.
Streich moderiert seinen 29 Mann großen Kader exzellent. Zwar ist auch in Freiburg jeder Spieler enttäuscht, der nicht spielt.
"Aber er hat eine sehr vernünftige Art und Weise, das den Spielern beizubringen. Er ist sehr kommunikativ und sucht dann auch mit jedem Einzelnen das Gespräch", sagte Petersen, der sich bereits häufig in der Rolle des Jokers wiederfand: "Außerdem lebt er selbst von morgens bis abends diese Professionalität vor, alles für den Verein zu tun."
Streich äußert Kritik
Streichs menschliche und sportliche Kompetenz sowie das ruhige Umfeld spiegeln sich derzeit in den Ergebnissen wider. Als Abstiegskandidat gehandelt, steht Freiburg nach neun Bundesliga-Spieltagen auf dem dritten Tabellenplatz. Nur zwei Zähler hinter Spitzenreiter Mönchengladbach, nur einen hinter dem FC Bayern.
Kurios: Die einzigen Niederlagen kassierte Streichs Team gegen die Kellerkinder 1. FC Köln und zuletzt am 19. Oktober gegen Union Berlin. Ein Spiel, über das sich Streich "sehr, sehr geärgert" hat.
Wegen unverbesserlicher Fans, die Pyro zündeten, aber auch wegen der Leistung.
"Von erfahrenen Spielern erwarte ich gewisse Dinge. In der Haltung und in der Überzeugung", wurde Streich deutlich: "Denn wenn wir diese Dinge nicht haben, gewinnen wir kein Bundesligaspiel. Dann haben wir richtig Probleme."
Streich geht ans Limit
Andererseits, merkte er an, könne man "an einem guten Tag" mit "fast jedem mithalten". Das zeigte sich eine Woche später, als ein 2:1-Sieg über Titelkandidat RB Leipzig gelang.
Gegen Union bietet sich am Dienstag die Chance zur Revanche. Im eigenen Stadion empfängt der Sport-Club die Berliner zum Zweitrundenduell im DFB-Pokal.
Die Erfolgsgeschichte soll auch dort fortgeschrieben werden. Streich geht voran, seine Spieler folgen ihm.
"Er geht jedes Jahr an sein Limit, um alles dafür zu tun, dass wir erfolgreich sind. Und das lebt er allen anderen vor", schwärmt Petersen - und verspricht: "Wenn man seinen Weg mitgeht, kann man darauf vertrauen, dass etwas Gutes dabei herauskommt."