Es war diese eine, eigentlich belanglose Szene, in der Julian Brandt seine ganze Klasse zeigte.
Wie Brandt den BVB verzaubert
Raphael Guerreiro spielte in der 71. Minute - da stand es in einem einseitigen Geister-Revierderby gegen überforderte Schalker bereits 4:0 für den BVB - einen Einwurf in der eigenen Hälfte auf Mats Hummels, der im hohen Bogen zu Brandt passte. Artistisch drehte sich der Mittelfeldspieler und leitete den Ball aus der Luft mit nur einem Kontakt per Hacke weiter auf den rechten Flügel zu Achraf Hakimi.
Die rechte Hacke von Julian Brandt sollte auch vorher schon mal aufblitzen. Den 1:0-Führungstreffer durch Erling Haaland bereitete Brandt eben damit vor. Gekonnt leitete der gebürtige Bremer einen Pass von Lukasz Piszczek auf Thorgan Hazard weiter, der wiederum zu Haaland passte. Ein Spielzug zum Zungeschnalzen.
Kehl: "Julian hat ein super Spiel gemacht"
Auf die Frage, was ihn am Fußballspielen fasziniere und begeistere, sagte Brandt einmal der Wochenzeitung Die Zeit: "Wenn die pure Spielfreude durchbricht. Wenn ein Spieler etwas Besonderes, Unerwartetes, Instinktives macht. Wenn man ein Spiel sieht und in einer Szene denkt: Ich weiß schon, was jetzt passiert, und dann etwas völlig Unerwartbares geschaffen wird. Dieser Wow-Effekt, der einen von den Sitzen reißt. Eigentlich ist das der Grund, warum ich Fußball spiele: die Menschen zu überraschen."
Am Samstag überraschte er die Fans vor dem TV und die wenigen Zuschauer, darunter Sebastian Kehl, im Stadion. "Julian hat ein super Spiel gemacht und war an allen vier Toren beteiligt", lobte Dortmunds Lizenzspielerchef.
In der Tat war Brandt der Mann des Spiels. Und das, obwohl er selbst nicht traf. Nach seiner Beteiligung am 1:0 durch Haaland bereitete der 24-Jährige das 2:0 durch Raphael Guerreiro und das 3:0 durch Thorgan Hazard direkt vor. Beim 4:0 durch Guerreiro spielte er den vorletzten Pass.
"Mir wäre es natürlich lieber, wenn die Rahmenbedingungen normal wären", sagte Brandt nach dem Spiel und blickte in das leere Stadion. "Wir müssen uns da alle ein bisschen anpassen. Am Ende ist Fußball aber Fußball. Man versucht schon, seinen Spaß zu finden. Den hatten wir heute teilweise. Am Ende wurde es dann ein bisschen weniger, die Kräfte haben dann nachgelassen. Aber was gibt es Schöneres, als mit so einem Sieg wieder in die Saison einzusteigen?"
Brandt überzeugt vorne und hinten
Der Ex-Leverkusener glänzte im Revierderby gleich in doppelter Funktion. Er startete zunächst rechts "als falsche Nummer zehn" (Lucien Favre) und wurde dann in der zweiten Hälfte, als Schalke mit Guido Burgstaller einen zweiten Stürmer brachte, vom Trainer ins Zentrum zurückgezogen.
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Dort gefiel der Nationalspieler als Organisator, der seine Nebenmänner dirigierte. Immer wieder hörte man die Rufe im leeren Stadion. "Ruhig, Mo. Du hast Zeit!", "Achtung, Thomas! Hintermann.", "Bin da!"
Brandt spielte 29 Pässe in der Schalker Hälfte und lieferte fünf Flanken - BVB-Bestwert an diesem Tag.
Doch nicht nur das: Brandt führte die meisten Zweikämpfe aller Spieler (19) und gewann 15 davon. Von der Zweikampfschwäche, die ihm im bisherigen Saisonverlauf von Teilen der BVB-Fans immer mal wieder unterstellt wurde, war nichts zu sehen.
Großes Lob von Kumpel Havertz
Überhaupt durchläuft der 31-malige Nationalspieler zurzeit spürbar einen Reife- und Entwicklungsprozess. In dieser Saison kommt Brandt in 34 Pflichtspielen auf sieben Treffer und zehn Assists. Sein Kumpel und Ex-Leverkusen-Teamkollege Kai Havertz lobte vor kurzem bei SPORT1: "Für mich ist er mit Sancho und Haaland der beste Spieler bei Dortmund."
Nach dem Schlusspfiff war Matchwinner Brandt platt. Als die Mannschaft vor die leere Südtribüne trat, blieb der Blondschopf weg. "Ich saß auf der Bank und habe die Kraft nicht mehr zusammenbekommen, zur Süd zu gehen", sagte er. "Aber die Jungs haben mich würdig vertreten."
Am Samstag gastiert Brandt mit den Schwarzgelben in Wolfsburg (VfL Wolfsburg - Borussia Dortmund: Sa., ab 15.30 Uhr im LIVETICKER). Der Derbyheld blickt voraus: "Wir haben es gut gemacht gegen Schalke, es war sicher nicht alles perfekt. Für das erste Spiel nach so langer Zeit fand ich es gut. Darauf können wir aufbauen."