Wie so manche berufliche Laufbahn begann auch diese mit einer Probezeit. Exakt vor 20 Jahren ernannte Zweitligist Mainz 05 seinen Spieler mit der Rückennummer 4, den gerade verletzten Jürgen Klopp, zum Trainer. Nur für die beiden nächsten Heimspiele, die binnen fünf Tagen zu absolvieren waren.
Klopp feiert Trainer-Jubiläum
Er war schon der vierte Trainer der Saison nach Rene Vandereycken, Interimscoach Stefan Lorenz und Weltenbummler Eckhard Krautzun, den die Mainzer am Faschingsdienstag 2001 nach nur 99 Tagen wieder entließen. Immerhin mit Stil.
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"Wir haben Herrn Krautzun keine konkreten Versäumnisse anzukreiden – im Gegenteil. Er hat sich unglaublich in seine Aufgabe hineingekniet", sagte der junge Manager Christian Heidel. Doch auf Platz 17 riss den Mainzern der Geduldsfaden und es galt "neue Reize zu setzen".
"Was will denn der Kloppo da?"
Also setzten sie den 33-jährigen Klopp gleich mit aufs Podium am Tag von Krautzuns Entlassung. Was die anwesenden Reporter im Bad Kreuznacher Parkhotel an jenem 27. Februar 2001 verwunderte.
"Was will denn der Kloppo da?" fragte einer und als Heidel die Antwort gab, "gab es ein Gelächter", erinnert sich der Manager von einst, der auch heute wieder in Mainz ist. Nun als Vorstand.
Was für eine Sensation war das damals! Jürgen Klopp, seit elf Jahren FSV-Profi und mit allen am Mainzer Bruchweg gut Freund, bei den Fans beliebt, eine wahre Stimmungskanone und gewiss kein Kostverächter – hatte der die nötige Autorität? Vom Fachwissen ganz abgesehen? Diese Fragen las man auf den Gesichtern der Anwesenden.
Heidel war davon überzeugt, dass Klopp den erfolgreichen Weg, den Mainz unter Trainer Wolfgang Frank gegangen war – 1997 klopften sie ans Tor zur Bundesliga – wieder beschreiten würde können. Er teilte seine Spielphilosophie (mit Raumdeckung) und einen Trainer-A-Schein hatte er auch.
Die Fachpresse war skeptischer: Den Weltenbummler Krautzun gegen den Rookie Klopp mitten im Abstiegskampf zu tauschen war für den Kicker "der Beleg dafür, dass die FSV-Führung kein Konzept hat."
Klopp geht von Zimmertür zu Zimmertür
Klopp war das egal, er stürzte sich in seine neuen Aufgaben. Schon am nächsten Tag, dem 28. Februar, stand das Nachholspiel gegen Duisburg an. Er hat nie vergessen, wie er vor dem Spiel im Hotel von Zimmertür zu Zimmertür ging und jedem Reservespieler erklärt hat, warum er nur auf der Bank sitze oder gar auf der Tribüne.
Er glaubte es seinen nun ehemaligen Mitspielern schuldig zu sein, aber als er seine Tour, die zur Tortur geworden war, beendet hatte, beschloss er: "Das mache ich nie wieder!"
Dann ging sie los, eine der furiosesten Trainerkarrieren des deutschen Fußballs. Vor 4576 Zuschauern wurde an einem kalten Mittwochabend Bundesliga-Absteiger MSV Duisburg 1:0 geschlagen, erster Torschütze eines Klopp-Spiels war ein gewisser Christoph Babatz.
Am Samstag drauf stand das Heimspiel gegen Chemnitz an und wieder gab es einen Sieg (3:1), "Kloppo"-Sprechchöre hallten durch den fast leeren Bruchweg. Sie hatten einen neuen Helden in Mainz. "Ich bin froh, dass die fünf Tage rum sind", bekannte der Umjubelte, doch aus der Verantwortung entließen sie ihn nicht mehr.
Am Rosenmontag: Heidel befördert Klopp
Er wurde vorerst zum Cheftrainer bis Saisonende befördert, "wir haben uns diesen Schritt reiflich überlegt" (Heidel). Es war die wohl beste Idee in der Vereinsgeschichte des selbst ernannten Karnevalsvereins, die Heidel passenderweise am Rosenmontag 2001 gekommen war.
Der Rest ist bekannt. Klassenerhalt, zwei dramatisch verpasste Aufstiege, im dritten Anlauf der Sprung in die Bundesliga. Dort hielt Klopp den Verein drei Jahre, auch den Abstieg 2007 überstand er. Denn er war das Gesicht des Vereins und es war ein sympathisches. Es war logisch, dass man einen wie ihn eines Tages abwerben würde.
2008 holte ihn Dortmund, wo es fortan "Vollgasveranstaltungen" (O-Ton Klopp) gab. Der durch seine Rolle als TV-Experte bei der WM 2006 bundesweit bekannte und beliebte Typ mit der Harry-Potter-Brille schrieb auch im Ruhrpott eine phantastische Erfolgsgeschichte, wurde zweimal Meister und zog 2013 ins Finale der Champions League ein.
Als er Deutschland 2015 gen England verließ, hatte er von 488 Punktspielen 234 gewonnen und nur 128 verloren.
In Liverpool, wo er seit 2015 wirkt, verlernte er das Verlieren. Nach 30 Jahren feierten sie an der Anfield Road vergangenen Sommer wieder eine Meisterschaft. Zweimal, 2018 und 2019, erreichte Liverpool das Finale der Champions League, 2019 holte er den Henkelpott.
Klopp: der logische nächste Bundestrainer
Selbst ohne Titel würde gelten: Jürgen Klopp ist Kult, da wo er war und da wo er ist. Wer ihn hat, will ihn nicht mehr hergeben. Weder in Mainz noch in Dortmund ging die Trennung von Verein aus, auch in Liverpool macht trotz der ersten größeren Krise niemand Anstalten, ihn vor die Tür zu setzen.
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Sie würden ja einen Welttrainer entlassen, von der FIFA zweimal in Folge (2019, 2020) gekürt. Weil ihn Empathie auszeichnet, Identifikation mit seinem Verein und Leidenschaft für das, was er tut. Vielleicht wird er einmal zu den wenigen großen Trainern gehören, die man niemals entlassen hat – obwohl angeblich ja gerade das zu einer großen Trainerkarriere gehört.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Klopp Maßstäbe versetzt. Er ist auch der erste Trainer, der in Deutschland und England Meister wurde und seit mittlerweile acht Jahren der letzte, der einen Meisterschaft der Bayern verhinderte.
Für viele ist er der logische nächste Bundestrainer. All das ahnte niemand von denen, die da so herzlich lachen mussten am Faschingsdienstag heute vor 20 Jahren, als der Spieler Klopp zum Trainer wurde.