Der Wolfsburger Stürmer Max Kruse hat sich am Samstag furchtbar über den aktuellen Zustand des Elfmeterpfiffs aufgeregt.
Bundesliga: Elfmeter-Wirbel um Max Kruse - unehrlich währt am längsten | Steudel-Kolumne
Unehrlich währt am längsten
„Es kann nicht der Fair-Play-Gedanke sein, dass ich direkt hinfalle“, sagte er nach einem verweigerten Strafstoß. Gladbachs Kouadio Koné war ihm hart auf den Fuß gestiegen, Kruse ließ sich aber nicht sofort fallen, streckte also nicht alle Viere von sich, wie man das so macht. Er besaß die Unverfrorenheit zu versuchen, trotzdem ein Tor zu schießen. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Das misslang. Kruse ging schlussendlich zu Boden. Jetzt wollte er seinen Elfmeter. Doch das Foul an ihm war verjährt.
Als er das sagte, dachte ich: Jetzt hat es auch der Letzte kapiert.
Im Netz fand ich später in einem Forum das Statement eines Lesers: „Er muss da einfach schneller fallen. Das gehört eben zum Profidasein dazu.“
Der Unterschied zwischen Kontakt und Foul
In der Bundesliga läuft es tatsächlich seit Jahren so: Unehrlich währt am längsten. Während die Abwehrspieler wie seit Jahrhunderten den Zweikampf suchen, suchen die Stürmer den Kontakt. Kriegen sie ihn, wird hingefallen. Und der arme Schiedsrichter muss Elfmeter pfeifen.
Eigentlich sind die Unparteiischen angeschmierter denn je. Früher konnten sie ja nach einem Kontakt, der „nicht so schlimm“ war, einfach weiterlaufen lassen. Heute überführt sie der Video-Assistent. Elektronenmikroskop-artig genau legt der VAR jeden Kontakt frei. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Was der VAR nicht anzeigt: wie stark der Kontakt war.
„Es gab einen Kontakt. Ich dachte immer, es müsse ein Foul geben“, fluchte Freiburgs Trainer Christian Streich letztes Jahr. Da war es schon zu spät.
Es ist offensichtlich, dass die Stürmer eine Marktlücke entdeckt haben: Weil niemand mehr den Unterschied zwischen „Kontakt“ und „Foul“ kennt, haben sie sich auf „Kontakt“ spezialisiert. Sie durchsieben förmlich den Strafraum danach. Finden sie einen, geht‘s sofort zu Boden. Manche Spieler schauen bereits auf dem Weg nach unten den Schiri an: Na?
Das Lustige daran ist: Fußballer profitieren vom Kontakt, wenn sie einen Elfer zugesprochen bekommen, und sie beklagen sich, wenn deswegen gegen sie gepfiffen wird. Sie sind gespaltene Spielerpersönlichkeiten.
Ärger auch in Freiburg
Auf das Naheliegende kommt niemand: Fair Play.
Hertha BSC kassierte am Wochenende auch so einen Kontakt-Elfer. Linus Gechter hatte Freiburgs Roland Sallai auf eine derart unsichtbare Weise berührt, dass es an Zauberei grenzte. Hertha-Geschäftsführer Fredi Bobic sprach von einer „Fehlentscheidung“ und sagte: „Ja, es ist ein leichter Kontakt da, das reicht nicht aus für einen Elfmeter.“
Doch, reicht es.
Zumindest in der Bundesliga, wo die Stürmer fallen wie reife Früchte.
Bevor wir nämlich alle in Mitleid zerfließen und die FIFA um Regeländerungen bitten: In der Bundesliga ist es besonders schlimm. Sie beklagt also einen Zustand, den sie selbst herbeigeführt hat.
Es gab eine Zeit, da verwandelten Stürmer Chancen in Tore. Heute verwandeln sie Berührungen in Elfmeter. Und zwar mit deutscher Perfektion. Manche integrieren das richtige Fallen angeblich sogar ins wöchentliche Training.
In England würden sich darüber alle kaputtlachen. Ebenfalls am Samstag sah ich zum Beispiel, wie Cristiano Ronaldo im Spiel zwischen Manchester United und Watford einem Ball in den gegnerischen Strafraum hinterherlief, als ihn der Torhüter kreuzte und deutlich kontaktierte. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
CR7 machte den Max Kruse: Strauchelte, fiel fast hin, raffte sich auf, rannte weiter. Er schoss kein Tor.
Ronaldo beklagte sich danach nicht mal.
Alex Steudel ist freier Journalist in Hamburg. Er war Bayern- und Nationalmannschaftsreporter und Chefredakteur von Sport-Bild. Heute widmet er sich in seiner Kolumne für SPORT1 auf nicht immer ganz ernstgemeinte Weise aktuellen Fußball-Themen. Die besten Steudel-Texte gibt‘s auch als Buch: Infos und Bestellung hier.