Bundesliga>

Wie Jens Lehmann den FC Schalke bei Borussia Dortmund ins Glück köpfte

Als Jens Lehmann den BVB schockte

Heute vor 28 Jahren trifft Jens Lehmann in der 90. Minute für Schalke 04 im Revier-Derby bei Borussia Dortmund zum Ausgleich. SPORT1 erinnert an den denkwürdigen Moment.
Jens Lehmann wird nach seinem Kopfballtor zum 2:2 von Olaf Thon umarmt und von seinen Mitspielern gefeiert
Jens Lehmann wird nach seinem Kopfballtor zum 2:2 von Olaf Thon umarmt und von seinen Mitspielern gefeiert
© Imago
Heute vor 28 Jahren trifft Jens Lehmann in der 90. Minute für Schalke 04 im Revier-Derby bei Borussia Dortmund zum Ausgleich. SPORT1 erinnert an den denkwürdigen Moment.

Für die alte Fußballerweisheit, dass Torhüter und Linksaußen eine Macke haben, gibt es zahllose Belege. Auch in der Bundesligageschichte. Die Verrücktheiten, die sich etwa ein Jens Lehmann leistete, sind Legende. Zumindest den Schalke-Fans war es einmal aber außerordentlich angenehm, dass ihr Torwart wieder mal aus der Rolle fiel.

Der 19. Dezember 1997. Das 108. Revier-Derby zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 stand unter ganz besonderen Vorzeichen. Erstmals und seither nie wieder trafen die Ruhrpott-Nachbarn als amtierende Europapokalsieger aufeinander. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)

Seit Mai 1997 nämlich spielten Europas Könige im Westen; Schalke holte den Uefa-Pokal, der BVB gar die Champions League-Trophäe. Die Messlatte lag also besonders hoch an jenem Dezemberfreitag, an dem die gastgebende Borussia ihren 88. Geburtstag feierte.

Unter Huub Stevens steht die Null

Allerdings hatte sie ansonsten wenig zu feiern, unter Ottmar Hitzfelds Nachfolger Nevio Scala war sie dramatisch abgestürzt und ging als Tabellenzehnter in die Partie. Schalke 04 war immerhin Fünfter, weil unter Huub Stevens die Null ziemlich häufig stand, keiner hatte weniger Gegentore (16 nach 18 Spielen). Dies war mit das Verdienst von Torwart Jens Lehmann, damals 28 Jahre alt.

Doch an diesem letzten Spieltag vor der Winterpause war er nicht ganz auf dem Posten, jedenfalls nicht in seiner eigentlichen Funktion als Torhüter. Schon nach sieben Minuten hatte er mit einer unglücklichen Abwehr Borussias Heiko Herrlich bedient, dieser aber die Großchance zum 1:0 vergeben.

Dafür sorgte dann der Russe Vladimir But nach 26 Minuten mit einem Freistoßtreffer, den sich zumindest der ehrgeizige Lehmann selbst ankreidete: „Da sehe ich schlecht aus, das ist meine Ecke.“ Auch der kicker schrieb, But habe „den falsch reagierenden Lehmann“ überwunden.

Lange musste Lehmann also befürchten, der Sündenbock des Abends zu werden – jedenfalls für die Schalker Fans. Dann glich der Russe in Schalker Diensten, Denis Klujew aus – nach 75 Minuten hieß es 1:1.

Stevens tadelt Lehmann

Doch der Jubel im Gäste-Block war kaum verhallt, als wieder die Borussen feierten: auch Andreas Möller überlistete Lehmann mit einem Freistoß, aus 20 Metern (79.). Trainer Huub Stevens tadelte ihn dafür, er habe „zu weit im kurzen Eck gestanden“. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)

Zu dem Zeitpunkt wusste er das noch nicht, dennoch brodelte es in Jens Lehmann. „Wenn ich zwei Gegentore kriege, habe ich immer ein schlechtes Gewissen“, gestand er hinterher was ihn zu dem in der Bundesliga erstmaligen Ereignis, das nun folgen sollte, trieb.

Es gab aber noch einen Antreiber: Libero Olaf Thon forderte ihn auf, mit nach vorne zu kommen – das bereits in der 80. Minute. Lehmann gehorchte, war aber überrascht: „Der hatte die Zeit wohl auch nicht im Kopf.“ Es war damals kein Novum mehr, dass Torhüter von zurückliegenden Mannschaften mitstürmten – jedenfalls bei Standards.

Lehmann stürmt bei Standards mit

Aber das Risiko, das entscheidende Tor zu kassieren, schwang stets mit und so wurden derartige Hasardauftritte gewöhnlich in die allerletzten Schlussminuten verlegt. Lehmann aber war quasi ab der 80. Minute der elfte Feldspieler, spielte einen schlimmen Fehlpass auf Michael Zorc und machte seinen Patzer mit einer Glanzparade wieder gut (87.).

Als es dann in der 90. Minute noch eine Ecke für Schalke gab, die Linienrichter Margenberg übrigens zu Unrecht erkannte, denn Schalkes Marc Wilmots war zuletzt am Ball gewesen, eilte Lehmann wieder mit nach vorne.

Er selbst erzählte von der Tat, die ihn berühmter als jede Parade machte, in dem Buch von Manni Breuckmann – „50 Legendäre Szenen des Deutschen Fußballs“: „Wieder ging ich mit nach vorne. Das war ein spontaner Impuls, ich dachte, ich könnte etwas bewegen. Vorher abgesprochen war es nicht, auch dazu aufgefordert wurde ich nicht. Olaf Thon schlug die Ecke, von der rechten Seite, relativ kurz und weg vom Fünfer zu Linke, der verlängerte den Ball auf den langen Pfosten. Ich sprintete los, und ich wusste sofort: den Ball erwischst du, den machst du rein – die Flugbahn war einfach ideal. Er kam direkt auf meinen Kopf, ich köpfte aus kurzer Distanz gegen die Laufrichtung vom Dortmunder Keeper Klos – 2:2!“

Stevens witzelt über Lehmann

Danach war Feierabend. Das 33.325 Bundesliga-Tor war das erste eines Torwarts aus dem Spiel heraus, zuvor hatten einige Kollegen immerhin Elfmeter verwandelt. Vergleichbares schaffte seitdem nur Bremens Frank Rost, der am 31. März 2002 nach einer Ecke gegen Hansa Rostock (4:3) den Ausgleich schoss, und Augsburgs Marwin Hitz am 21. Februar 2015 gegen Leverkusen. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)

In der Kabine feierten die Schalker ihren Helden mehr oder weniger herzlich. Huub Stevens knurrte: „Jens, heute hast Du drei Tore gemacht“. Vor der Presse witzelte er über „Lehmanns Hattrick“. Die Mitspieler hingegen sangen fröhlich: „Lehmann in den Sturm.“

Das war in jenen Tagen nach Rückständen in der Schalker Kurve noch öfter zu hören, doch sein Husarenstreich blieb ein einmaliges Kunststück. Immerhin wurde es Tor des Monats. Zum Tor des Jahres reichte es nicht, die Freude verdarb ihm ausgerechnet ein Dortmunder – Lars Rickens Lupfer im Champions League-Finale gegen Juventus Turin war sporthistorisch wohl doch etwas bedeutsamer.