Barbaros Barut ist bestens gelaunt, als er SPORT1 in seinem Café „Baruts Coffee and Bakery“ im Münchner Stadtteil Schwabing empfängt.
FC Bayern: Ex-Talent packt aus - "Bei Hoeneß hatten wir Schiss - keiner hat Kahn verarscht"
FC Bayern: Ex-Talent packt aus - "Bei Hoeneß hatten wir Schiss - keiner hat Kahn verarscht"
„Bei Hoeneß bekamen wir Schiss“
Der gebürtige Münchner mit türkischer Abstammung genießt sein Leben, in dem der Fußball nur noch eine Nebensache ist. Barut startete seine Profikarriere 2001 in der Regionalliga-Mannschaft des FC Bayern. Von 2007 bis 2018 spielte er in der Türkei.
Im Interview spricht Barut über seine Bayern-Zeit, Hermann Gerland und wie ihm Giovane Elber einst geholfen hat.
SPORT1: Herr Barut, Ihr Spitzname ist „Barbie“. Wie kam es denn dazu?
Barbaros Barut: (lacht) Mein Name bietet sich dafür einfach an, früher bin ich damit oft geneckt worden. Es hat mich nie gestört, wenn mich meine Mannschaftskollegen „Barbi“ gerufen haben. Die anderen haben immer blöd geschaut. Ich habe nie mit Puppen gespielt, das einzige Spielzeug von mir war ein Fußball.
SPORT1: Sie haben ein bewegtes Fußballer-Leben hinter sich. Sie spielten bei den Amateuren des FC Bayern, in der 2. Liga, dann in der Süper Lig. Ihre Karriere haben Sie beim BCF Wolfratshausen ausklingen lassen. Wollten Sie zum Schluss nochmal zu den Anfängen zurück?
Barut: Meine Eltern wohnen in der Gemeinde und wir hatten dort auch ein Geschäft. Einer meiner besten Kumpels war Sportdirektor beim BCF. Und Philipp Bönig war Trainer. Mit dessen Bruder Sebastian Bönig hatte ich noch zusammengespielt. Und so konnte ich mich dort nach der aktiven Laufbahn noch etwas fit halten. Dann bekam ich einen Spielerpass und habe ein halbes Jahr mit gekickt.
Bundesliga auf SPORT1
SPORT1: Und?
Barut: Es hat riesig Spaß gemacht. Der Münchner Süden in diesen Ligen ist wirklich sehr schön. Die Plätze sind wunderbar und es war eine tolle Erfahrung.
In einer Mannschaft mit Lahm und Schweinsteiger
SPORT1: Als Achtjähriger haben Sie in der Jugend beim FC Bayern gespielt - unter anderem mit Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm. Es war ein starker Jahrgang.
Barut: Das stimmt. Man spricht ja immer vom Jahrhundert-Jahrgang. Dazu gehörten nicht nur Schweini und Philipp, sondern unter anderem auch Christian Lell, Thomas Hitzlsperger, Piotr Trochowski, Paolo Guerrero und Michael Rensing. Es war wirklich ein außergewöhnlicher Jahrgang. Wenn wir eine Länderspielwoche hatten und es waren einige Spieler verletzt, dann war fast keiner mehr beim Training dabei, weil es alles Junioren-Nationalspieler waren. Das war schon ein hohes Niveau.
SPORT1: Wie war es mit Lahm und Schweinsteiger?
Barut: Mit Philipp habe ich seit der E-Jugend zusammengespielt. Da gab es viele herausragende Jugend-Turniere. Wir wurden 2001 und 2002 A-Jugend-Meister. Das war eine Leistung, auf die wir sehr stolz sein konnten. Hermann Gerland hat es mal ganz treffend gesagt: „Der Philipp macht keine Fehler!“ Und ein Spieler, der heutzutage keine Fehler macht, ist ein herausragender Spieler. Philipp war später einfach Weltklasse. Mit 18 oder 19 hatte er einen Kreuzbandriss, da sah es nicht so gut aus. Umso mehr habe ich mich für ihn gefreut, dass er so eine Karriere hingelegt hat.
SPORT1: Mit Schweinsteiger war es ähnlich?
Barut: Bei Basti und mir war es etwas anders. Wir waren auf unserer Position Konkurrenten. Früher dachte man, dass es ein bis zwei Jungs in die erste Mannschaft der Bayern schaffen. Jetzt hatten wir 18 Junioren-Nationalspieler und deshalb gab es bei uns auch einen großen Konkurrenzkampf. Basti und ich haben viele Erfolge zusammen gefeiert, aber wir wussten, dass es knapp werden kann, wenn noch ein weiterer Jugendspieler hochgezogen wird. Bei den Profis spielten damals im Mittelfeld Niko Kovac, Pablo Thiam, Jens Jeremies, Stefan Effenberg, Thorsten Fink. Da gab es nicht so viel Platz im zentralen Mittelfeld. Basti war dann auch erstmal Linksaußen. Natürlich habe ich mich gefreut für ihn. Aber es gab schon den Konkurrenzgedanken für einen Profivertrag.
Vom FC Bayern zum großen Rivalen?
SPORT1: Den gab es wann?
Barut: Meinen ersten Profivertrag bekam ich bei der Spielvereinigung Unterhaching. Bei den Bayern war ich unter Hermann Gerland zwei Jahre Stammspieler. Danach hatte ich aus der Bundesliga und 2. Liga Angebote und hatte mich mit einem Verein auch schon geeinigt. Doch dann hatte ich mir vier Wochen vor Saisonende das Kreuzband gerissen und stand plötzlich ohne Vertrag da. Gerland war so nett und meinte, dass ich nochmal verlängern könne. Das war unfassbar, denn der FC Bayern war meine Heimat. Ich wollte aber fußballerisch erwachsen werden und mich im Herrenfußball durchsetzen. Ich bin dann nach Haching gewechselt, die damals in der 2. Liga spielten.
SPORT1: Mit welchem Klub hatten Sie sich schon geeinigt.
Barut: Mit 1860 München. Ich hatte wirklich überlegt, zu den Löwen zu wechseln. Peter Pacult (damaliger 1860-Trainer, d. Red.) war überzeugend, es hatte mich schon gereizt.
SPORT1: Als Roter zu den Blauen?
Barut: Eigentlich schwierig, ich weiß. Ich war ab und zu bei den Profis dabei und wollte das öfter erleben. Schweinsteiger und Markus Feulner trainierten schon regelmäßig in der ersten Mannschaft, Zvjezdan Misimovic und ich durften öfter rein schnuppern und wir wollten einfach nicht mehr bei den Amateuren spielen. Ich wollte immer weiter nach vorne.
„Bayern war die Ausbildung fürs Leben“
SPORT1: Wie blicken Sie auf Ihre Bayern-Zeit zurück?
Barut: Bayern war die Ausbildung fürs Leben. Die schulische und menschliche Betreuung, die wir hatten, war einfach wunderbar. Ich hatte von der U14 bis zur U16 drei Jahre Hermann Hummels, den Vater von Mats, als Trainer und er gab mir in jungen Jahren schon eine unglaubliche taktische Ausbildung mit. Unter ihm trainierten wir bereits die Viererkette.
SPORT1: Wie war Ihr Verhältnis zu Hermann Gerland, der zwei Jahre Ihr Trainer bei den kleinen Bayern war?
Barut: Da gibt es eine geile Geschichte. Ich war gerade mit der Schule fertig und fragte meinen damaligen Bayern-Trainer Kurt Niedermayer, ob ich in der Sommerpause vormittags auch mal bei den Amateuren mittrainieren könne. Er meinte nur ‚Klar, lauf doch rüber.‘ Ich habe mich also gefreut und nichts dabei gedacht, als ich einfach über den Platz lief. Plötzlich brüllte Gerland ‚Hey Du Pappnase, was machst du da?‘ Ich sagte nur: ‚Trainer, ich wollte nur fragen, ob ich morgen zum Training kommen darf, weil ich habe nichts vor.‘ Gerland lächelte und sagte nur: ‚Okay, morgen neun Uhr.‘ So kam ich das erste Mal zu den Amateuren. Nach zwei Wochen sagte Gerland: ‚Ab sofort bist du bei mir.‘
SPORT1: Sie sagten im Vorgespräch, dass Sie sein Lieblingsspieler waren.
Barut: Das stimmt. Ich war sehr lauf- und kampfstark und habe nie zurückgezogen. Wenn ich im Spiel oder im Training mal gefoult wurde, hat Gerland zu dem Physio gesagt: ‚Wenn der nicht aufsteht, dann musst du nicht auf den Platz rennen, sondern den Krankenwagen holen.‘ Wir haben uns einfach sehr gut verstanden. Hermann sagte mal zu mir: ‚Wenn Du es bei Bayern nicht schaffst, musst du im Ruhrpott spielen.‘ Dort hätte ich von meiner Spielweise sehr gut hingepasst. Jahre später, als ich bei Rot-Weiss Essen war, habe ich verstanden, was Hermann gemeint hat.
SPORT1: War Gerland auch eine Art Vaterfigur?
Barut: Ein bisschen schon. Er war unglaublich hart, aber herzlich, gerecht und ehrlich. Das haben alle im Jugendbereich geschätzt, weil da schon das Theater mit den Beratern losging. Es war ein harter Konkurrenzkampf, weil es jeder schaffen wollte.
SPORT1: Gab es einen schönsten Moment mit Gerland?
Barut: Der Tiger hat selten einen Spieler gelobt. Ich war anfangs sehr schmächtig, habe dann mit speziellem Training eine unglaubliche Schnellkraft entwickelt. Dann kam Hermann zu mir und sagte ‚Jetzt weiß ich, dass du Profi werden kannst‘. Das vom Tiger zu hören, war etwas Besonderes. Ich hatte bei ihm immer das Gefühl, dass er für mich da ist. Jahre später hat Hermann mir dann sehr geholfen…
SPORT1: Inwiefern?
Barut: Ich habe mir den Wadenmuskel gerissen und fand keinen Klub. Nach kurzer Zeit stand ich wieder bei den Amateuren auf dem Trainingsplatz und durfte ein halbes Jahr mittrainieren. Da zeigte sich das wahre Herz von Hermann.
Großer Respekt vor Oliver Kahn
SPORT1: Gab es einen schlimmsten Moment mit Gerland?
Barut: Ja. Da spielten wir gegen Viktoria Aschaffenburg und nach 20 Minuten schrie Hermann über den ganzen Platz ‚Wenn du den Ball noch einmal öfter wie dreimal antätschelst, hole ich dich runter und du kannst für immer auf der Buckelwiese kicken‘. Als junger Spieler hatte ich gerne den Ball am Fuß und habe ihn auch gerne mal gestreichelt und rum gezogen. Da wurde Gerland wirklich zum Tiger.
SPORT1: Was haben Sie von Gerland gelernt?
Barut: Dass man immer über den Schmerz und den toten Punkt hinweggehen muss. Und dass immer gilt: ‚Von nichts kommt nichts.‘ Wenn man sich nicht quält, erreicht man auch nichts. Hermann ist so ein großartiger Mensch. Leider ist der Kontakt etwas eingeschlafen.
SPORT1: Können Sie sich an ein lustiges Kabinen-Erlebnis bei Bayern erinnern?
Barut: Es war immer so witzig, wie Mehmet Scholl Oliver Kahn auf den Arm genommen hat. Olli hat nie viel mit den Jugendspielern geredet. Wir wollten auch gar nicht mit ihm reden. Wir waren schon etwas hilflos, hatten großen Respekt vor Kahn oder Effenberg. Sie waren die Chefs in der Kabine. Aber Scholli ist mit Olli besonders umgegangen. Er hat Sachen zu ihm gesagt, die sich kein anderer Spieler getraut hat. Scholli und Tarnat (Michael, d. Red.) waren die Spaßkanonen in der Mannschaft.
SPORT1: Wurde Kahn auch von anderen außer Scholl mal auf die Schippe genommen?
Barut: Nein. Es hat sich keiner getraut, Oliver Kahn zu verarschen.
SPORT1: Wer von den Profis hat Ihnen auch mal geholfen?
Barut: Pablo Thiam war für mich ein wichtiger Ansprechpartner, auch Niko Kovac hatte oft ein offenes Ohr für mich. Beim 1 gegen 1 war mein Trainingspartner Ze Roberto und Niko hat sich immer darüber aufgeregt, dass ich mich oft von Ze habe vernaschen lassen. Er lief auf der linken Seite an mir vorbei und auch, wenn wenig Platz war, ist er trotzdem an mir vorbei gekommen. Da dachte ich mir oft, dass ich mich da noch steigern kann.
SPORT1: Hätten Sie gedacht, dass Kovac mal ein Trainer wird, der schon Beachtliches erreicht hat?
Barut: Ja. Weil er mir damals schon Dinge erklärt hat, an die ich gar nicht gedacht habe. Zum Beispiel wie ich mich hinter einem Spieler lösen kann, wenn man ihn am Arm oder am Oberkörper etwas zieht, damit er aus dem Gleichgewicht kommt. Niko zeigte mir, dass Fußball mehr ist als nur kicken.
Der Durchbruch gelang nicht
SPORT1: Hat es Sie innerlich aufgefressen, dass Sie den Durchbruch bei Bayern nicht geschafft haben?
Barut: Ganz ehrlich? Nein. Ich bin sehr bescheiden aufgewachsen, wir hatten zuhause finanziell nicht die großen Mittel. Mein Vater hat als Sonderreiniger in einer Dienstleistungsfirma ehrlich und hart gearbeitet und meine Mutter war Hausfrau. Es war für mich immer klar, dass ich mit dem haushalten muss, was ich habe. Ich habe auch nie zu sehr in der Vergangenheit gelebt, sondern immer im Hier und Jetzt. Für mich war keine Option ein Verlierer zu sein. Das habe ich beim FC Bayern gelernt. Ich hätte nie den Kopf in den Sand gesteckt. Bayern München war damals schon sehr Familie. Es gab einige Spieler, die es sportlich nicht geschafft haben, dem Klub aber nach wie vor verbunden sind.
SPORT1: Gibt es eine besondere Anekdote aus Ihrer Bayern-Zeit?
Barut: Oh ja. Wir waren im Trainingslager in Rottach-Egern, waren dabei, weil immer mal Jungs aus der zweiten Mannschaft mitfahren durften. Ich war mit Lahm, Sandro Burki und Trochowski auf einem Zimmer. Und wir waren die Einzigen neben Ottmar Hitzfeld, die ein größeres Zimmer hatten. Wir wollten uns an einem Abend für die Playstation ein Spiel ausleihen. Ich klopfte dann bei Giovane Elber an der Tür und fragte ihn, ob er uns aushelfen kann. Er hatte immer viele Spiele dabei. Giovane machte kurz die Tür zu, kam einige Minuten später zurück und drückte mir 25 Spiele in die Hand. Auf dem Weg zurück kam mir Hitzfeld entgegen, aber es gab keinen Ärger. Er musste aber schmunzeln.
SPORT1: Gibt es eine weitere lustige Geschichte?
Barut: Als Misimovic und ich im Profikader waren, hatten wir am Abend vor dem Bremen-Sieg im Olympiastadion (Werder wurde 2004 dort Meister, d. Red.) nachts das Bedürfnis uns ein Nutella-Brot aufs Zimmer bringen zu lassen. Wir haben es also bestellt, hörten dann aber Uli Hoeneß an der Rezeption, als er gefragt wurde, ob das Nutella-Brot zu uns gebracht werden darf. Als wir seine Stimme hörten, bekamen wir Schiss. Es ist aber nichts passiert.
SPORT1: Sie bekamen mal vom kicker die Note 1 für ein Tor im Trikot von RWE gegen den 1. FC Köln. Was war das für ein Gefühl?
Barut: Dieses Gefühl war nicht wirklich zu greifen. Zumal der Anfang bei RWE krass war. Einmal kamen die Hools zum Training und bedrohten uns. Aber ich war erst kurz da. Einer fragte mich ‚Wer bist Du?‘ Ich meinte nur: ‚Das werdet ihr nächste Woche sehen, wenn ich gespielt habe.‘ Als Münchner wusste ich nicht, was es heißt Karneval zu feiern. Aber das war schon Party pur an der Hafenstraße. Das war schon immer ein besonderes Stadion, früher noch mehr als heute. Ich war dann ein halbes Jahr Publikumsliebling bei RWE. Ich bin dann aber in die Türkei gewechselt.
„Auf uns wurde geschossen“
SPORT1: Wie war es dort?
Barut: Irre. Auf uns wurde damals geschossen. Die Fans sind völlig durchgedreht. Ich spielte bei Ankaragücü, das ist von den Fans ein Klub ähnlich wie Borussia Dortmund. Es wurden auch mal Pflastersteine auf den Bus geschmissen. Polizeischutz war dort ganz normal. Einmal hatte ich auch Angst, als wir in Diyarbakir mit Polizei-Panzern aus dem Stadion gebracht wurden. Da war aber auch politisch einiges los in der Türkei.
SPORT1: Zum Abschluss: Sie spielen heute noch in der Hobby-Altstars-Mannschaft des FC Bello in München. Dort kickt auch Jens Lehmann. Wie ist das so mit einem ehemaligen Weltklasse-Torhüter?
Barut: Jens spielt beim FC Bello nicht im Tor, sondern im Feld. Und ehrlicherweise bin ich mir manchmal dann doch etwas zu stolz, um mir von einem früheren Torwart etwas sagen zu lassen (lacht).