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Ex-Bayer-Trainer blickt zurück: "Als ich dort anfing, wollte man mich am liebsten gleich entlassen"

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Ex-Bayer-Trainer blickt zurück: "Als ich dort anfing, wollte man mich am liebsten gleich entlassen"

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Bayer? „Das ist ein echtes Märchen“

Bayer Leverkusen steht kurz vor dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft. Im Interview mit SPORT1 erinnert sich Erich Ribbeck an seine Erfolge und schwärmt von Xabi Alonso. Eine klare Meinung hat der Ex-Bundestrainer auch zum FC Bayern.
Auf der Pressekonferenz vor dem Bremen-Spiel, was Leverkusen durch einen Sieg erstmals zum Deutschen Meister machen würde, kündigt Xabi Alonso an, dass die Fans bereit sein können, etwas großes zu feiern.
Reinhard Franke
Reinhard Franke

Erich Ribbeck wurde zu seiner Zeit als Trainer wegen seines gepflegten Auftretens und seiner Umgangsformen gerne mal als „Sir“ und später als „Gentleman“ bezeichnet. Heute lebt er in Köln und auf Teneriffa. 1988 gewann Ribbeck mit Bayer Leverkusen den UEFA-Pokal, die heutige Europa League - sein größter Erfolg als Trainer.

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In der Saison 1992/1993 trainierte Ribbeck auch einmal den FC Bayern. Von 1998 bis nach der Europameisterschaft 2000 war er Teamchef der deutschen Nationalmannschaft. Im Exklusiv-Interview mit SPORT1 spricht der 86-Jährige über die Erfolgssaison der Leverkusener, deren Trainer Xabi Alonso und die Bayern.

SPORT1: Herr Ribbeck, was sagen Sie zur Erfolgssaison von Bayer Leverkusen?

Erich Ribbeck: Das ist ganz wunderbar, ein echtes Märchen. Es ist wirklich sensationell und einmalig. Damit hat niemand gerechnet. Xabi Alonso hat alles richtig gemacht. Aber auch ein großes Lob gebührt Simon Rolfes (Geschäftsführer Sport, d. Red.) und Fernando Carro (Vorsitzender der Geschäftsführung, d. Red.). Die richtigen Spieler wurden verpflichtet, das war eine Personalpolitik par excellence. Hier wurde kein Fehler gemacht. Alles lief in dieser Saison perfekt. Das ist wirklich außergewöhnlich.

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„Alonso hat den gesamten Verein verzaubert“

SPORT1: Was hat Xabi Alonso mit dem Klub gemacht?

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Ribbeck: Alonso hat den gesamten Verein verzaubert. Natürlich hatten die Leverkusener auch das Quäntchen Glück, aber das gehört zum großen Erfolg dazu. Es lief alles wie am Schnürchen, besonders zuletzt, als sie das Spiel gegen Hoffenheim drehten und am Ende noch 2:1 gewannen. Dass Alonso so einschlagen würde, hätte niemand gedacht. Selbst die Verantwortlichen hatten nicht mit einer solchen Geschichte gerechnet. Sie waren zwar von Alonso überzeugt, aber dass er diesen Erfolg haben würde, daran haben sie sicher auch nicht gedacht. Aber es gibt etwas Witziges.

SPORT1: Was denn?

Ribbeck: Unser UEFA-Pokalsieg fand genau an dem Tag statt, an dem die Leverkusener jetzt die Meisterschale überreicht bekommen können, nämlich am 18. Mai. Das ist schon verrückt.

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SPORT1: Was bedeutet ein Titelgewinn für Bayer Leverkusen?

Ribbeck: Alles! Dieser Titelgewinn wird die ganze Stadt in einen Ausnahmezustand versetzen. Natürlich spielt dabei auch das Bayer-Werk eine bedeutende Rolle. Es ist eine traumhafte Erfolgsgeschichte. Schon zu meiner Zeit damals hatte man gehofft, dass endlich etwas passiert. Nach dem Gewinn des UEFA-Pokals gab es in den folgenden Jahren immer wieder die Chance, Deutscher Meister zu werden oder die Champions League zu gewinnen. Doch dann ist man knapp gescheitert. Plötzlich war der Name „Vizekusen“ geboren, der dem Klub all die Jahre wie ein Klotz am Bein hing. Aber das ist nun Gott sei Dank vorbei.

Bayer? „Das ist fast eine andere Welt“

SPORT1: Wenn Sie an die Nacht mit dem UEFA-Pokal-Sieg zurückdenken. Wie wurde damals gefeiert? Einen Rathaus-Balkon hat die Stadt Leverkusen ja nicht.

Ribbeck: Stimmt. Das geht mir jetzt natürlich noch einmal durch den Kopf. Für mich ist das alles wieder ganz nah. Damals wurde das Stadion noch neu gebaut und es war halb leer, weil es eine große Baustelle war. Wenn ich das mit heute vergleiche, muss ich sagen: Das ist fast eine andere Welt. Wir haben ordentlich gefeiert. Die spätere Haupttribüne war offen, und es gab nur Betonstufen. Die Trainerbank stand darunter. Plötzlich war alles außer Rand und Band. Der Innenraum war innerhalb weniger Minuten voll mit Menschen. Die Party war ausgelassen, wir haben den Pokal randvoll mit Sekt und Champagner gefüllt.

Erich Ribbeck (l.) mit Ulf Kirsten und Reiner Calmund (r.)
Erich Ribbeck (l.) mit Ulf Kirsten und Reiner Calmund (r.)

SPORT1: Die Stadt wird Kopf stehen, wenn am Sonntag der Meistertitel feststeht, oder?

Ribbeck: Aber sicher! Leverkusen wird zur Partymeile, und das haben sie sich auch verdient. Als ich damals dort als Trainer anfing, wollte man mich am liebsten gleich wieder entlassen, weil ich mich zunächst lieber im eigenen Verein nach guten Spielern umsehen wollte. Es gab damals einige talentierte Jungs in der Jugend. Und ich wollte lieber mit den Talenten arbeiten. Mit Wolfgang Rolff kam nur ein erfahrener Spieler dazu. Aber dass wir ganz oben mitspielen konnten, daran war nicht zu denken. Der UEFA-Pokalsieg war damals außergewöhnlich.

SPORT1: Was haben Sie gedacht, als Sie gehört haben, dass Xabi Alonso auch nächste Saison in Leverkusen Trainer sein wird?

Ribbeck: Chapeau! Das war wirklich beeindruckend von Alonso. Er hat Unglaubliches geleistet. Heutzutage könnte ich selbst kein Trainer mehr sein, da der Staff viel größer ist, was ganz anders ist als früher. Ich hatte meine eigene Meinung und ließ mir nicht reinreden. Für einen Trainer ist es heutzutage viel schwieriger. Dadurch ist Alonsos Erfolg noch höher einzustufen. Man kann ihn nicht genug loben. Dieser Punkt spricht deutlich für Alonso. Seinen Erfolg kann er eigentlich nur durch den Gewinn der Champions League übertreffen. Es ist ein starkes Zeichen von Alonso, dass er bleibt.

SPORT1: Ist Simon Rolfes der neue Calli?

Ribbeck: Könnte man meinen. Rolfes macht einen großartigen Job. Er hat von Rudi Völler gelernt und zeigt nun, was in ihm steckt. Er ist auch für diesen tollen Kader verantwortlich, der der Beste in der Klubgeschichte ist.

Endlich kann der Name „Vizekusen“ weggelegt werden

SPORT1: Was glauben Sie, wie sehr nervt es die ehemaligen Leverkusener, dass sie es nicht geschafft haben, sondern nur Zweiter wurden? So entstand ja auch der Begriff Vizekusen.

Ribbeck: Der Meistertitel ist so wichtig für den Verein. Endlich kann dieses komische ‚Vizekusen‘ weggelegt werden. Da wird es keinen Neid von den ehemaligen Spielern und Trainern geben. Ganz Fußball-Deutschland freut sich mit Leverkusen, außer die Bayern-Fans. (lacht) Ich kann mir gut vorstellen, wie die Stimmung jetzt unterm Bayerkreuz ist. Ich bin hocherfreut.

SPORT1: Die Bayern wirken in dieser Saison häufig von der Rolle. Wie erklären Sie sich das? In Heidenheim verloren sie noch nach einer 2:0-Führung.

Ribbeck: Es ist schon sehr merkwürdig, wie sich Bayern in dieser Saison präsentiert. Da brennt ganz schön der Baum. Ich möchte nicht in der Haut von Max Eberl stecken. Er hat viel Arbeit vor sich. Die Entwicklung seit meiner Zeit war grandios. Die Bayern müssen einen klaren Schnitt machen. Sie kommen wie ein Häufchen Elend daher. Leverkusen hat das Bayern-Gen übernommen.

SPORT1: In der Champions League haben die Bayern beim 2:2 gegen Arsenal ihr schönes Gesicht gezeigt. Wie ist diese Diskrepanz zur Liga zu erklären?

Ribbeck: Das erfolgreiche Abschneiden des FC Bayern international kann ich nicht erklären, ist aber sehr erfreulich für den deutschen Fußball und die Bundesliga insgesamt.

Erich Ribbeck trainierte einst Bayer Leverkusen, den FC Bayern und die deutsche Nationalmannschaft
Erich Ribbeck trainierte einst Bayer Leverkusen, den FC Bayern und die deutsche Nationalmannschaft

Ribbeck: Das Mia san mia der Bayern hat schwer gelitten

SPORT1: Sie waren auch mal Trainer beim FC Bayern. Das Selbstverständnis hat im Vergleich zu Ihrer Zeit und zu den vergangenen Jahren sehr gelitten. Das merkt man an Thomas Müller.

Ribbeck: Das stimmt. Bayern ist nicht mehr wiederzuerkennen. Früher hätten sie ein Spiel wie gegen Heidenheim nicht verloren. Bayer Leverkusen gewinnt Spiele in Bayern-Manier. Das Selbstverständnis der Münchner hat sehr gelitten. Ein Mia san mia gibt es gerade nicht mehr.

SPORT1: Warum ist das mit Tuchel gescheitert?

Ribbeck: Schwer zu sagen. Er ist ein toller Trainer, keine Frage, er wurde nicht einfach so Champions-League-Sieger. Aber er hatte von Anfang an einen schweren Stand. Die Umstände, unter denen er zu Bayern kam, waren nicht leicht. Dazu kam ja auch die Trennung von Kahn und Salihamidzic. Für Alonso war es da einfacher, er hat das perfekte Umfeld, um Großes zu erreichen.

SPORT1: Thema Nationalmannschaft. Wie sehen Sie nach den zwei Siegen zuletzt die Situation um das DFB-Team?

Ribbeck: Man ist nie so schlecht, wie es sich darstellt, wenn man zwei Spiele verliert, und auch nicht so gut, nur weil man zwei Spiele gewinnt. Die Partie gegen die Niederlande war schon nicht mehr so gut. Die Euphorie kam etwas vorschnell. Aber die Voraussetzungen für eine gute EM sind gegeben, denn es gibt keine Übermannschaft bei dem Turnier. Wir haben auch keine Todesgruppe erwischt. Die Vorrunde werden wir wahrscheinlich überstehen. Ich sehe es sehr positiv, habe es aber vorher auch nicht so negativ gesehen.

SPORT1: Rudi Völler hat jetzt seinen Vertrag verlängert, viele fragen sich, warum er so ein Standing hat. Wie wichtig ist er für das DFB-Team?

Ribbeck: Dies zeigt, wie wichtig es in der heutigen Zeit ist, nicht nur die richtige Taktik anzuwenden und guten Fußball zu spielen, sondern auch die Rolle von Außendarstellung und externer Kommunikation zu beachten. Rudi Völlers Beliebtheit im Fanlager hilft sicherlich dabei, sowohl in schwierigen als auch in erfolgreichen Situationen.

„Nagelsmann wird Bundestrainer bleiben“

SPORT1: Von 1998 bis zum Ende der EM 2000 betreuten Sie die DFB-Auswahl als Teamchef. Glauben Sie, dass Julian Nagelsmann weitermacht? Eigentlich hatte er betont, dass er gerne auch wieder Vereinstrainer wäre.

Ribbeck: Es ist eine schwierige Situation für Nagelsmann. Wenn er jetzt sagt, dass er eine Entscheidung möchte, ob sein Vertrag verlängert wird, und das Team in der Vorrunde ausscheidet, was dann? Falls sie nicht mit ihm verlängern, könnte Nagelsmann mit einem anderen Verein liebäugeln. Rudi Völler hat seinen Vertrag verlängert, was möglicherweise ein Signal dafür ist, dass auch Nagelsmann bleibt. Wenn Deutschland Europameister wird und Nagelsmann seinen Vertrag noch nicht verlängert hat, hat er alle Trümpfe in der Hand. Nagelsmann wird Bundestrainer bleiben, da die Stimmung ja positiv ist.

SPORT1: Letzte Frage: Wie schätzen Sie die Chancen der Deutschen bei der Heim-EM ein?

Ribbeck: Die Möglichkeit, den Titel zu holen, besteht durchaus. Keine der anderen Nationen ist stärker als wir. Aber wir könnten auch ganz schnell ausscheiden. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen (bei der EM 2000 schied die deutsche Nationalelf mit ihm als Teamchef als Gruppenletzter bereits nach der Vorrunde aus, Anm. d. Red.).