Normalerweise ist Phil Harres, im Sommer aus der Regionalliga zu Holstein Kiel gewechselt, eher Fragezeichen rund um seine Person gewohnt. Sie haben seine Karriere in den vergangenen Jahren immer wieder begleitet. Doch in den vergangenen Wochen und speziell am Samstag, als der KSV überraschend mit 5:1 gegen Augsburg gewann, drehte der 22-Jährige den Spieß um. Statt der üblichen Fragezeichen setzte er dicke Ausrufezeichen.
Auf Kloses Spuren
Neben Shuto Machino, der zwei Tore und zwei Vorlagen beisteuerte, glänzte auch Harres mit einem Doppelpack. Innerhalb von drei Minuten traf der Stürmer zweimal und legte in der zweiten Halbzeit sogar noch ein drittes Tor nach, das der VAR nach Ansicht der TV-Bilder allerdings zurücknahm. Dennoch ein bemerkenswerter Erfolg für Harres.

„Es war einfach surreal auf dem Platz. Plötzlich hat alles geklappt“, sagte er im Anschluss mit Blick auf den Kantersieg, aber auch wegen seines speziellen Werdegangs.
Harres: „Ich wurde herumgescheucht“
Der erste Doppelpack in der Bundesliga? Für Harres war sofort klar - das ist für ihn das schönste Weihnachtsgeschenk.
„Ich freue mich brutal. Kann man so mitnehmen“, strahlte er nach dem überraschend klaren Erfolg gegen Augsburg. Man habe gesehen, „was in uns steckt und was wir können“, fügte der Stürmer hinzu und meinte: „Vielleicht haben wir das einfach mal gebraucht. Natürlich macht es keinen Unterschied, ob wir 2:1 oder 5:1 gewinnen. Aber es ist gut für den Kopf.“
Und sicher auch für ihn persönlich. Denn dass der 22-Jährige einmal in der Bundesliga Fuß fassen würde, war in den Jahren zuvor wahrlich nicht abzusehen. In den Leistungszentren des VfL Bochum und von Borussia Dortmund wurde er aussortiert, bei Dynamo Dresden durfte er zu Beginn der Saison 2022/23 immerhin ein wenig Drittliga-Luft schnuppern. Doch dann ging die harte Zeit erst richtig los: „Ich wurde herumgescheucht“, erinnerte sich Harres in einem Gespräch mit der FAZ.
Dynamo lieh ihn an den SSV Ulm aus, erst über Viktoria Berlin kam er zum FC Homburg - wo es dann endlich passte. Trainer Danny Schwarz erkannte das Potenzial von Harres, beim einstigen Bundesligisten aus dem Saarland avancierte er schnell zur absoluten Stammkraft und erzielte in der Vorsaison 24 Tore in der Regionalliga Südwest.
Zudem traf der Youngster in der 1. Pokalrunde gegen Darmstadt und damit gegen den Ex-Klub von Kiels heutigen Geschäftsführer Carsten Wehlmann. So spielte er sich auf den Scouting-Zettel der Norddeutschen. Doch der Weg in den Profikader schien in den ersten Monaten noch zu weit.
Was Rapp an Harres besonders gefällt
„Phil hatte Anlaufschwierigkeiten“, sagte Marcel Rapp nach dessen Bundesliga-Debüt am 8. Spieltag. Allerdings ordnete er auch ein: „Er kam aus der Regionalliga.“ Dem Trainer habe dagegen imponiert, welchen Wille und Bereitschaft der Angreifer von Beginn an zeigte: „Er wollte lernen, war sich nicht zu schade, auch für unsere U23 zu spielen.“
Im Training holte Harres die entscheidenden Schritte auf, deshalb ging es plötzlich ganz schnell. Inzwischen steht er bei vier Tore und einer Vorlage in erst acht Einsätzen - eine gute Ausbeute, die große Lust auf mehr macht.
Was Harres dazu motivierte, geduldig zu bleiben und das positive Gefühl weiter zu verinnerlichen, war vor allem das familiäre Umfeld an der Förde - selbst in den so schwierigen Anfangswochen.
„Marcel Rapp hat mir gesagt, dass ich meine Chance bekommen werde, wenn ich an mir arbeite“, schilderte der Stürmer: „Ich habe mich nicht verkrochen und gesagt, hier sei alles doof, sondern weitergemacht.“
Das zahlt sich offenbar aus. Harres entwickelt sich immer weiter zur Hoffnung machenden Symbolfigur im Abstiegskampf.
Klose als Vorbild für Harres?
Für Rapp ist Harres gar der beste Repräsentant für den Kieler Weg: „Er war sich nicht zu schade, Zwischenschritte zu gehen. Ich rede mit ihm, ich arbeite mit ihm. Er ist fleißig und reflektiert. Seine Entwicklung ist nicht am Ende“, erklärte der KSV-Trainer, der es so schaffte, Harres stets bei Laune zu halten.
„Auch andere Spieler haben Umwege genommen“, sagte der Torjäger wiederum: „Ich habe mir gezielt Karrieren angeschaut, die nicht linear verlaufen sind.“
Einer der bekanntesten Karriere, die nicht linear verlaufen ist, ist übrigens die des jungen Miroslav Klose. Wie Harres spielte auch der Weltmeister von 2014 einmal in Homburg. Seine Bilanz damals: 18 Spiele, ein Tor. Da hat ihm Harres mit 28 Treffern in 43 Partien einiges voraus.
Aber es wäre sicher nicht verkehrt, wenn sich für die nächsten Schritte trotzdem ein gutes Beispiel am ehemaligen Nationalspieler nimmt. Einen Salto nach Toren hat er passenderweise schon drauf.